Yakup kam aus der Türkei nach Deutschland und absolviert nun eine Anpassungsqualifizierung bei ContiTech in Hannover-Vinnhorst. Foto: Henning Scheffen

IHK startet Welcome & Business Center: Eine große Chance

04. Februar 2025 | von Georg Thomas

Um ihre Mitgliedsunternehmen bei der Gewinnung von Fachkräften noch besser zu unterstützen, hat die IHK Hannover das Welcome & Business Center ins Leben gerufen. Ein neues Team berät bei der Suche, den Formalitäten und den Regeln zur Fachkräfteeinwanderung.

 

Eine Freundin hatte zufällig den Beitrag bei Instagram gesehen. Sonst hätte Yakup (Auf die Nennung des Nachnamens wurde bewusst verzichtet.) wohl nie von dem Projekt JobTurbo erfahren, das gezielt Geflüchtete in den Arbeitsmarkt bringen soll. Womöglich würde der heute 32-Jährige immer noch in Versandlagern Artikel scannen oder verpacken. Vor vier Jahren kehrte er seiner Heimat den Rücken, um in Deutschland ein neues Leben zu starten. Da seine Familie und Verwandten noch in der Türkei leben, möchte er die genauen Hintergründe dieser Entscheidung nicht offenlegen.

Den Beitrag, mit dem Continental interessierte Menschen mit Migrationshintergrund zu einer Informationsveranstaltung in Hannover einlud, fand Yakup auf jeden Fall sehr interessant. „Ich sah darin eine große Chance, um hier in Deutschland in meinem gelernten Beruf als Elektriker arbeiten zu können.“ In gut einem Monat wird er seine Anpassungsqualifizierung bei ContiTech in Hannover-Vinnhorst abschließen, wo er über die Jobvermittlungs-Tochter ContiMotion angestellt ist. Diese Praxisphase fehlte ihm noch, um die vollständige Anerkennung seines in der Türkei erworbenen Berufsabschlusses zu erreichen. ContiMotion arbeitet hier bereits seit mehr als einem Jahr eng mit der IHK Hannover zusammen, die fast als einzige Industrie- und Handelskammer in Deutschland die Anerkennung selbst durchführt. 

Die IHK hat mögliche Teilnehmende für das Vorhaben im Rahmen ihrer Arbeit als zuständige Stelle im Anerkennungsverfahren identifiziert, war an der Vorauswahl der rund 100 Geflüchteten für die Infoveranstaltung in der Continental-Unternehmenszentrale beteiligt und kümmert sich jetzt um die Anerkennungsverfahren und Qualifizierungspläne für die Anpassungsqualifizierung der 17 Teilnehmenden in Hannover. Derzeit unterstützt die IHK Hannover Continental auch bei der Ausweitung der Initiative auf weitere Standorte in Niedersachsen und darüber hinaus. 

IHK hilft bei Fachkräftesicherung

Was zwischen Continental, beziehungsweise ContiMotion oder dem Continental Institut für Technologie und Transformation (CITT) und der IHK bereits gut funktioniert, wird nun auf alle Mitgliedsunternehmen und in die gesamte Region ausgebaut - mit dem neuen Welcome & Business Center der IHK Hannover. Das Thema Fach- und Arbeitskräftemangel wird die Wirtschaft mindestens bis Mitte der 2030er Jahre begleiten, da bis dahin 750 000 Babyboomer aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Um die Lücke zu schließen, müssen alle Potenziale aktiviert werden. Mit dem Welcome & Business Center baut die IHK Hannover die zentrale Einrichtung auf, in der Ideen und Initiativen zur Fachkräftesicherung gebündelt werden – als erste Anlaufstelle für Unternehmen und ebenso für Menschen, die ihre berufliche Zukunft in der IHK-Region suchen. Beim Aufbau des Welcome & Business Centers kann die IHK auf ihre langjährigen Erfahrungen in der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen, im Ausbildungsmarketing und in der Ausbildungsberatung zurückgreifen und diese gezielt ausbauen und intensivieren. Für die Umsetzung des Projekts in den nächsten fünf Jahren hat die IHK ein Budget von 4 Mio. Euro bereitgestellt. 

In der aktuellen Situation – geprägt durch multiple Krisen und die 4 D – Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Deglobalisierung – ist es umso wichtiger, dass den Unternehmen Fachkräfte mit den richtigen Kompetenzen in hinreichender Qualität und Quantitat zur Verfügung stehen. Laut einer Auswertung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fehlten im Jahresdurchschnitt 2023/2024 in Niedersachsen knapp 60 000 qualifizierte Arbeitskräfte. Damit gab es für 47,2 Prozent aller offenen Stellen keine passend qualifizierten Arbeitslosen. Am häufigsten fehlten auf dem Arbeitsmarkt beruflich Qualifizierte mit dualer Ausbildung. Dies spüren auch die Unternehmen: Mehr als die Hälfte der Unternehmen, zeitweise waren es sogar mehr als 60 Prozent, nennen in der IHK-Konjunkturumfrage regelmäßig den Fachkräftemangel als eines der wesentlichen Geschäftsrisiken. In der Zukunft könnte sich der Arbeits- und Fachkräftemangel weiter verschärfen. Denn demografisch bedingt verliert der deutsche Arbeitsmarkt ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2035 laut einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sieben Millionen Arbeitskräfte. In Niedersachsen sind fast 25 Prozent der Beschäftigten älter als 55 Jahre, bis Mitte der 2030er Jahre scheiden rund 750 000 niedersächsische Beschäftigte aus dem Berufsleben aus.

Erklärtes Ziel der IHK Hannover ist, ihre Mitgliedsunternehmen bei der Fachkräftesicherung bestmöglich zu unterstützen, um die negativen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Mit dem Welcome & Business Center schafft sie für die IHK-Region einen Ort, an dem Ideen, Kräfte und Initiativen gebündelt werden. Das Fachkräftezentrum orientiert sich dabei konsequent an den Bedürfnissen der Wirtschaft und trägt diese in die Politik. Es wird für Mitgliedsunternehmen der Ort, an dem sie bei allen Fragen der Arbeits- und Fachkräftesicherung fachkundige Beratung sowie tatkräftige Unterstützung erhalten. Das Welcome & Business Center wird in vier Handlungsfeldern arbeiten. 

Der 32-Jährige erreicht Anfang März die vollständige Anerkennung seines Abschlusses aus der Türkei. Foto: Henning Scheffen.

Handlungsfeld 1: IHK als Partnerin der Politik 

Um beim Fachkräftemangel gegensteuern zu können, benötigen Unternehmen passende Rahmenbedingungen. Hierzu ist es wichtig, dass die Bedürfnisse der Unternehmen der Politik stärker verdeutlicht werden. Dabei ist es sinnvoll, auf alle Optionen der Fachkräftegewinnung – wie etwa die Intensivierung der Aus- und Weiterbildung, die Zuwanderung, die noch stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren, flexible Arbeitszeitmodelle sowie Produktivitätssteigerungen und Automatisierung – zu setzen und diese entsprechend auszugestalten. Die IHK Hannover möchte mit dem Fachkräftezentrum die Wünsche und Bedürfnisse der Unternehmen erfüllen. Um diese zu platzieren, müssen die von der IHK gesetzten Handlungsschwerpunkte den politischen Entscheiderinnen und Entscheidern erläutert werden. Als konstruktive Partnerin der Politik gilt es, zusammen mit weiteren Akteuren, wie zum Beispiel Arbeitsverwaltungen, Berufsschulen und Bildungsträgern, pragmatische Lösungswege für den Arbeits- und Fachkräftemangel aufzuzeigen. 

Handlungsfeld 2: Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland

Der Fachkräftemangel ist ohne Menschen aus dem Ausland nicht zu bewältigen. Insbesondere in Mangelberufen, beispielsweise in verschiedenen industriell-technischen Berufen oder im Gastgewerbe, aber auch in vielen anderen Branchen ist der Arbeitsmarkt in Deutschland leer gefegt. Durch gezielte Zuwanderung lässt sich hier entgegenwirken. Damit Zuwanderung gelingt, müssen der Weg sowie die Integration von Fachkräften aus Drittstaaten in die Unternehmen deutlich leichter werden. Und Unternehmen brauchen bei der Umsetzung der komplexen gesetzlichen Regelungen zur Zuwanderung in der Praxis mehr Hilfe. Dann könnten mit der Arbeitsmigration große Potenziale zur Fachkräftesicherung erschlossen werden. 

Handlungsfeld 3: Integration von Menschen mit Migrationshintergrund

Ein großes Potenzial liegt bei Menschen mit Migrationshintergrund. Die IHK Hannover ist überzeugt, dass zahlreiche Fach- und Arbeitskräfte gewonnen werden könnten, wenn diese Menschen noch stärker in Ausbildung und Arbeit gebracht würden. Dabei geht es auch darum, dass noch mehr Geflüchtete dual ausgebildet werden oder eine Beschäftigung aufnehmen. Mit Maßnahmen zur Integration und Qualifikation, zum Spracherwerb sowie zur Anerkennung von Abschlüssen, lassen sich Potenziale erschließen. Würde es zum Beispiel gelingen, allein die Beschäftigungsquote der Menschen mit ausländischem Pass (aktuell etwa 54 %) um fünf Prozent zu steigern, entspräche das etwa 500 000 zusätzlichen Beschäftigten. 

Handlungsfeld 4: Qualifizierung Un- und Angelernter

Eine weitere wichtige Zielgruppe sind die An- und Ungelernten, einer wesentlichen Gruppe von Menschen, die ihre Beschäftigungsfähigkeit sichern müssen und die mit zunehmendem Fachkräftemangel immer mehr in den Fokus gerückt sind: Laut Berufsbildungsbericht 2024 ist die Zahl junger Erwachsener ohne Berufsabschluss auf einem hohen Niveau. Demnach betrug die Ungelerntenquote 2022 allein bei den 25- bis 34-Jährigen 20,1 Prozent – das sind mehr als 2 Millionen junge Menschen, Tendenz steigend. Hinzu kommen zahlreiche weitere An- und Ungelernte in den anderen Altersgruppen. Diese Gruppe verstärkt für eine Qualifizierung zu gewinnen, kann perspektivisch viele tausende neue Fachkräfte bringen.

Kontakt: Arne Hirschner Tel. 0511 3107 344 arne.hirschner@hannover.ihk.de 

Weitere Informationen zum Welcome & Business Center der IHK Hannover

Lesen Sie die weiteren Teile unserer Hauptsache-Strecke:

Kurzinterview mit Marcel Verweinen von Continental

Fachkraft aus dem Ausland: IHK Hannover hilft H+K Strahltechnik

Validierung: Ein neuer Weg zur beruflichen Anerkennung

Fachkräfte-Projekt Adelante Colombia!: Aus Südamerika nach Südniedersachsen