
Horizons-Kongress: Standortbestimmung in der digitalen Transformation
05. September 2025 | von Klaus PohlmannDie Zukunft an sich, die Zukunft der Arbeit: Beides stand groß auf dem Programm beim Digital-Kongress “Horizons by Heise” in Hannover. Der machte sich auf zu einer Standortbestimmung der digitalen Transformation in unsicheren Zeiten.
KI wird uns nicht retten. Jedenfalls nicht einfach so, nur weil es sie gibt. Wenn uns etwas in die Zukunft bringt, dann ist es das: Haltung. Vielleicht lässt sich in dieser Kürze ein wesentlicher Strang des Digitalkongresses „Horizons by Heise“ zusammenfassen.
Es ging, klar, um Horizonte, Anfang September in Hannovers Altem Rathaus. Sagt ja schon der Name des Kongresses. Den eigenen Horizont erweitern, darüber nachdenken, was hinter dem Horizont ist und was derlei Sprachbilder mehr sind: Wir lassen sie einfach. Aber wo steht Deutschland bei der digitalen Transformation, vor allem mit Blick auf KI: noch dabei oder schon abgehängt? Und was ist mit der Zukunft der Arbeit? Mit Kreativität in Zeiten Künstlicher Intelligenz? Solche Themen – und weitere Veranstaltungen am Rand – zogen 760 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, doppelt so viele wie im Vorjahr.

Wo anfangen? Mit dem Positiven: Was alles möglich ist und wie man es erreicht? Nein, lieber mit der anderen Seite.
Entleerung der Kultur
KI wird uns nicht retten. Im Gegenteil. Sagt Richard David Precht, als einer von zwei Populärphilosophen beim Horizons-Kongress eindeutig Publikumsmagnet. Sie wird uns nicht retten, weil sie sowieso in mancher Hinsicht das Ende ist. Die Precht’sche Sicht: „Wir entleeren gerade unsere Kultur.“ Und höhlen, sagt er weiter, unsere Kreativität aus. Zweitens: „Wir werden kein führender KI-Standort in der Welt.“
„Oijoijoi“, kommentierte das einigermaßen überrascht Prechts Gesprächspartner Carsten Bergmann, Chefredakteur der Neuen Presse in Hannover. Und machte damit unbewusst eine in Deutschland vorherrschende Grundhaltung deutlich: Werden wir nicht? Wie kann das sein? Wir waren doch immer eine führende Wirtschafts- und Wissenschaftsnation, erfreuten uns jahrzehntelang weltweiter Nachfrage.
Erfolg und Wohlstand, höchstens mal mit einigen Dellen, als Teil unserer DNA, „quasi als natürlich empfundener Zustand.“ So wiederum Precht.
Deutschland muss sich neu erfinden
Was aber eben nicht bedeutet, dass es so weitergehen wird. „Zu viele alte Leute, die zu viel zu verlieren haben“ – Precht beschrieb das Problem von Gesellschaften, die in die Jahre gekommen sind. Er sprach vom „großen, lange, schweren, rostigen Tanker“ Deutschland, einer alten Firma, die sich neu erfinden muss. Nur: „Die Notwendigkeit ist groß. Die Mentalität gering.“

Womit wir bei der Haltung wären. Mentalität, das ist das Ding von Anders Indset, wie Precht philosophischer Bestseller-Autor. Indset, der vor rund 25 Jahren als Handballspieler nach Deutschland kam, beherrscht die deutsche Sprache wirklich gut – und kommt doch zu ziemlich interessanten Wortschöpfungen. Untotigkeit ist so eines. Gemeint ist eine Art Zombie-Haltung, ziellos einfach nur reagieren. Tauscht man nur einen Buchstaben aus, wird daraus: Untätigkeit. Passt irgendwie beides.
Hauptsache was tun
Denn in einer solchen reaktiven Haltung sieht Indset Deutschland gerade gefangen. Und will, ganz Trainer, den Mentalitätswandel. Mit haarfeinen Nuancen: „Wir müssen was tun“, heißt es überall angesichts des Gebirges an Aufgaben. Indset setzt dagegen: „Wir dürfen was tun!“ Lebendigkeit, das sei sein Lieblingswort. Lebendig und vor allem tätig, dann geht’s: „Wenn 80 Millionen ein bissle was tun …“
Und er kämpft auch sonst gegen die deutsche Bewahrer-Mentalität. „Freu‘ Dich nicht zu früh.“ Dieser so erhobene Zeigefinger werde hierzulande, gerne in Talkshows, mit allerlei Studien unterstützt. Um zu erklären, warum die Zukunft eben doch nicht so wird, sondern anders. Warum das, zum Beispiel, nichts wird mit den Elektroautos und der erneuerbaren Energie.
“Freu' Dich nicht zu spät”
Indset hält dagegen, spricht von den vielen möglichen Zukünften, die doch aber alle unplanbar sind. Er verheddert sich diesmal ein wenig grammatikalisch und macht die Zukünfte zum Verb: Wir müssen zukünften, sagt er. Um mit allem zurechtzukommen, was da unbekannterweise an Zukünften hinter dem Horizont wartet. Das kam an beim Horizons-Publikum. Fest steht nur eins: Welche Zukunft auch immer, sie kommt schneller, als man denkt. Also sagt Indset: „Freu‘ Dich nicht zu spät.“
Die allgegenwärtige Unsicherheit nicht nur bezogen auf die Zukunft, sondern auch auf die Gegenwart hat – wie sich das heute gehört – auch eine Abkürzung: VUKA. Volatilität, Unsicherheit, Komplexität. Und Ambiguität, was schlicht für Mehrdeutigkeit steht. Aber „Vukm“ lässt sich so schlecht sprechen.
Lasse Rheingans brachte bei der Horizons VUKA ins Spiel. Der Bielefelder ist Chef einer Unternehmensberatung, die mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt. Und wurde bundesweit bekannt, als er den Fünf-Stunden-Tag für seine Mitarbeitenden einführte, bei vollem Gehalt. Funktioniert, sagt er.
Nichts mehr lässt sich planen
Womit wir bei der Zukunft der Arbeit wären. VUKA: Nichts lässt sich mehr planen, das Warum wird wichtiger als was und wie, es kommt auf Beziehungen an, sagt Rheingans. Und auf Emotion: „Ratio war gestern, Gefühl ist heute.“ Was eine andere Form der Führung erfordert: Mehr Selbstwirksamkeit, weniger Druck: „Nicht mehr schreien und mishandeln.“
Eigentlich jedenfalls. Denn Marion King, die vielfältig als Expertin für die Zukunft der Arbeit unterwegs ist, sieht angesichts der grassierenden Unsicherheit eine Rückkehr zum Hierarchischen Von-oben-nach-unten: „Mikromanagement verdrängt zurzeit New Work.“ Unsicherheit, gepaart mit Ressourenmangel: Keine Zeit für reflektierendes Denken – genau das wäre aber nötig, machte Lasse Rheingans deutlich.
Und KI? Davon war nun lange nicht mehr die Rede. Immerhin wissen wir schon, dass sie uns nicht retten wird. Und im Verlauf der Diskussion wurde es nicht besser. Das Freischalten von Copilot ist keine KI-Strategie: „Eine Strategie ist aber erforderlich für mehr Produktivität“, sagte etwa die Arbeitspsychologin Dr. Nicole Deci. Und sie warnte vor einem „algorithmischen Management“, bei dem Leistung und Ziele KI-gesteuert werden.
Erst selber denken
ChatGPT, so Deci, sei ein wesentliches Instrument, das aber nicht nur einen Zuwachs, sondern auch einen Verlust an Wissen bringen, in eine Abhängigkeit vom digitalen Informations- und Textlieferanten führen kann. Konkret machte das Sprachfachfrau Anne-Kathrin Gerstlauer: Erst selber denken vor dem Prompt. Hand aufs Herz: Wie halten Sie’s damit? Achtung: Wer es umgekehrt macht, bei dem ist die Gehirnaktivität deutlich niedriger, später die Erinnerung an die geprompteten Inhalte deutlich geringer. Hätte eine Studie herausgefunden, so Gerstlauer. Und sie zeigte auch, dass ein Prompt, der die Kreativität tatsächlich unterstützt, eine ziemlich komplizierte Sache ist. Ansonsten, wäre die Schlussfolgerung, überlassen wir der KI die Kreativität. War es nicht Richard David Precht, der eben noch von ihrer Aushöhlung gesprochen hatte?
Es war dann Arbeitsexpertin Marion King, der die Diskussion bis dahin auf den Punkt brachte: „Zukunft der Arbeit? Keiner weiß es.“ Hört sich nach wenig an. Ist aber in einer Transformation, in der wir uns nicht nur bei der Arbeit befinden und die bei der „Horizons by Heise abgebildet werden soll, unvermeidlich. Anders Indset jedenfalls hätte bei diesem Ergebnis vermutlich seinen Spaß: Natürlich ist alles ungewiss. Also macht was draus. Denn: “Es geht immer weiter.” Hinter dem Horizont.
Weitere Veranstaltungen bei der Horizons by Heise beschäftigten sich mit der Verwaltungsdigitalisierung und mit ethischen Fragen.