Zwei Personen sitzen auf einer Bank am Ballhof, Scherrers Ballhof, entspannte Atmosphre vor Natursteinmauer Dirk und Frank Scherrer, (l./r.) vor dem Ballhof-Theater in Hannover. Foto: Pohlmann

Frank und Dirk Scherrer: Trotz allem weiter unterwegs

02. Oktober 2025

Mit wenig dazustehen nach über 30 Jahren Unternehmertum: Für Dirk und Frank Scherrer Realität. Wie es dazu kam? Anders als andere gingen die Brüder mit ihrem Weg in die Öffentlichkeit.  

 

„Die Scham einer Insolvenz ist in Deutschland bekanntermaßen groß.“
Dirk und Frank Scherrer,  nach 30 Jahren unternehmerischer Tätigkeit. 

Es regnet leicht. Ob es eine gute Idee war, sich am Ballhof in Hannovers Altstadt zu treffen? Doch der Ort hat seinen Grund. „Hier fing unsere Reise an“, sagt Dirk Scherrer.
Denn genau hier brachten er und sein Zwillingsbruder Frank im Februar 1997 den Generationswechsel beim Familienunternehmen Scherrerdruck über die Bühne, und das im wahrsten Wortsinn: mit einem Theaterstück vor 250 geladenen Geschäftspartnern. Auch ihr Vater, Wolfgang Scherrer, zog mit und spielte sich selbst. Firmengründer Franz Scherrer erhielt durch einen Schauspieler Gestalt und Stimme. 

An der Schwelle vom Druck- zum Digitalzeitalter

Das Stück bewegte sich an der Schwelle vom Druck- ins Digitalzeitalter und versuchte, die Wahrheiten des Bleisatzes auf den Computerbildschirm zu übertragen. „Wie viele Gestaltungen können einem Text gegeben werden und doch sind nur wenige darunter, die schön und wirksam zu gleicher Zeit sind“, hatte Franz Scherrer geschrieben. Vor mehr als 100 Jahren. Verzeihen wir ihm also, dass er nicht gendert: „Die Aufmerksamkeit des Lesers ... muss gefesselt werden.“ Der Kampf um Aufmerksamkeit jedenfalls ist im Digitalen geblieben. 
Mit dem Wechsel der Generationen wurde Scherrerdruck folgerichtig für die digitale Zukunft umbenannt: „Scherrer Druck ∙ Neue Medien“. Damit jedoch waren die letzten sechs Jahre eines Familienunternehmens eingeläutet, dessen Wurzeln noch tiefer gehen als bis zum Gründungsjahr 1889. Schon Jahrzehnte davor waren Scherrers, aus Österreich kommend, mit Hannovers Druckereien vielfältig verbandelt. Wie viel von dieser langen Kaufmannsgeschichte liegt allein in diesem Satz, den Wolfgang Scherrer auf der Ballhof-Bühne sagte: „Wir sind eine Druckerei, die ihre Rechnungen nach acht Tagen mit Skonto bezahlt.“ 
Aber schon damals stand es nicht zum Besten. „Reise“, hatte Dirk Scherrer gesagt, und meinte wohl: Auf der Theaterbühne im Ballhof begann für die beiden Brüder 1997 eine Achterbahnfahrt zwischen zwei ungünstigen Alternativen: ein Spagat. Investitionsstau in allen Bereichen, zu viel Personal im Verhältnis zum Umsatz, schwieriger Standort in der hannoverschen Innenstadt. Das Familienunternehmen verkaufen? Abgesehen von der emotionalen Frage waren die Zeiten dafür schlecht: „Negative Verkaufspreise für Druckereien“ waren bereits ein Thema.

Weg in den Ruin oder Schlüssel zum Erfolg?

Also investierten sie gegen alle Widrigkeiten an – rund 4 Mio. DM von 1996 bis 2000. Der Königstransfer, so würde man im Sport sagen, war eine Sechs-Farben-Druckmaschine vom Premiumhersteller aus Heidelberg. Die habe den Ruin gebracht: Das machte später die Runde in Hannover. Nein: Sie wäre der Schlüssel zum Erfolg gewesen. Sagen die Scherrerbrüder. 
Sie sehen auch andere Gründe. Hannovertypisches Pech, dass durch die E.on-Fusion mal wieder eine Unternehmenszentrale die Stadt verließ. Und damit ein wichtiger Scherrer-Kunde. Die Expo-Sonderkonjunktur war ein Glück, aber Ende 2000 vorbei. Und im Jahr drauf platzte nicht nur die Dotcom-Blase: Der 11. September veränderte die Welt und damit auch die Auftragssituation von Scherrer ganz entscheidend.
Dagegen halfen alles Sparen, alle Ideen, alle Ansätze zur Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen nichts. Für die Rettung des Familienunternehmens war zu viel Fremdkapital nötig gewesen. Das wirkte in der Krise fatal. 2003 wurde der Insolvenzantrag gestellt. 
Aber die Scherrerbrüder blieben Unternehmer, gründeten eineinhalb Jahre später eine Medienagentur, wieder als Grenzgänger zwischen Druck und Neuen Medien. Fünf hoch qualifizierte Mitarbeitende aus Mediengestaltung und IT im Team: ein Zehntel der ehemaligen Scherrer-Belegschaft. Zahlreiche Kunden, lange gut verdient und keine Kredite bei Banken: „Fast wäre es uns gelungen, alle Altverbindlichkeiten, die nach dem Insolvenzantrag aus 2003 entstanden sind, abzubauen.“ Das war 2019. Fast. Dann kam Corona. Ein Albtraum begann mit einem Umsatzverlust von 50 Prozent.

Nicht das Ende der Geschichte

Die Scherrers hatten zwar Verbindlichkeiten ab-, aber nicht Rücklagen aufbauen können. 2023 war erneut Schluss. Was Frank Scherrer, der heute auch als Berater und Manager auf Zeit unterwegs ist, galgenhumorig sagen lässt: „Ich kann Krise, fallen und wieder aufstehen.“ Denn zu Ende ist die Geschichte hier nicht. Kann sie auch nicht sein. Alles auf Anfang: Mit knapp über 60 stehen beide Brüder jetzt vor einem Neubeginn. Was für sie bedeutet, wieder – auch – unternehmerisch zu arbeiten: Eigentlich sei sein Beruf Abenteurer, habe Frank Scherrer mit einem Augenzwinkern einmal einem Kunden gegenüber gesagt, denn er ist auch Mitgründer eines bundesweiten, professionell ausgerichteten Netzwerks für ganzheitliche Gesundheit. Für beide Scherrers aber rot unterstrichen: „Wir geben nicht auf.“ Optimisten? Frank: „Ja, auf jeden Fall.“ Pause. „Oder?“ Dirk (etwas zögerlicher): „Jo.“ Könnte auch Teil eines Bühnendialogs sein.
Und noch einmal, wie zu Beginn, gehen sie in die Öffentlichkeit. Anders als viele andere in ähnlicher Situation: „Die Scham einer Insolvenz ist in Deutschland bekanntermaßen groß.“ Anders als etwa in den USA. Außerdem: „Acht Jahre drucken. 20 Jahre Agentur. Wir waren ja erfolgreich.“ Was sie sich nicht nehmen lassen wollen. 
Also arbeiteten sie ihre Geschichte auf, als sie von Freunden ihres Vaters danach gefragt wurden, erzählten ihre Sicht auf die Dinge und bekamen äußerst positive Resonanzen.

“Wir haben unseren Frieden gemacht.”

Auch für sie selbst war das alles wichtig. Es lohnt sich, Wörter auf die Goldwaage zu legen: „Wir haben unseren Frieden gemacht.“ Was bedeutet: Wie jeder Frieden musste auch dieser erst erarbeitet werden. Davor herrschte etwas anderes. Manchmal scheint das auch an anderen Stellen durch. Wenn Frank Scherrer zum Beispiel sagt, dass es ihm heute leichtfällt, über die ganze Entwicklung zu sprechen. Leicht deshalb, da es zwar ein langer und schwerer, aber am Ende doch bereichernder Prozess mit vielen, neuen und wertvollen Erfahrungen und der Gewinnung neuer Kompetenzen gewesen sei, von denen auch andere profitieren können.
Und es lohnt sich, genau hinzuhören, wenn die beiden ein Wort sagen: „Frei.“ Das sind sie heute, nach dem Kampf mit einem Wortungetüm: „Außergerichtliches ­Schuldenbereinigungsverfahren“. Es klingt durch, welche Last da von ihnen abgefallen ist. 
Positiv gerichteter Blick in die Zukunft: ein glückliches Ende in vielerlei Hinsicht. Jetzt, am Ende des Gesprächs, ist auch das Wetter am Ballhof besser geworden.