Streiflicht - die Freitags-Kolumne: Unzeitgemäß
30. Mai 2025 | von pmSchutzzölle – ein unzeitgemäßer Rückgriff! Hört sich nach kontrolliertem Stoßseufzer an, mitten in der aktuellen US-europäischen Hängepartie zwischen Drohen und Aufschieben. Vorerst nächster Termin, also bis zur nächsten Wende: 9. Juli.
Das Rückgriff-Zitat ist aber überhaupt nicht aktuell. Sondern stammt aus einem Vorläufer der Niedersächsischen Wirtschaft, dieser Zeitschrift: Es stand im Hannoverschen Wochenblatt für Handel und Gewerbe vom 3. Juli 1875. Jene Zolldiskussion ist 150 Jahre alt! Was zeigt, welchen Rückgriff wir gerade erleben.
Worum ging’s? Im Vorfeld der Weltausstellung ein Jahr später, 1876 in Philadelphia – übrigens: bald ist Expo-Jubiläum in Hannover - wurde in England gestritten, ob man sich daran überhaupt beteiligen solle. Denn wegen der hohen US-Zölle könne man ja in den Staaten sowieso nichts verkaufen.
Aber nein, heißt es in der englischen Zeitschrift Exporter, das Geld sei (Wortlaut der Übersetzung!) keineswegs „in die Gosse“ geworfen. Sondern man setzt auf Nachfragedruck: Den Amerikanern sei einfach nicht klar, was sie die Zölle kosten. Also: Wenn jemand, der in New York ein englisches Messer für 1 Dollar kaufen kann und merkt, „daß derselbe Artikel ohne Zoll zu ¼ Dollar verkauft werden könne, während ihm unter der Firma ,Zoll‘ ¾ Dollar darauf geschlagen würde, so werde er voraussichtlich näher mit sich zu Rathe gehen, ob das übertriebene Schutzzollsystem nicht ein unzeitgemäßer Mißgriff sei.“
Der Plan: So treibt man einen Keil in das Zollbarrieren, das habe 20 Jahre zuvor in Frankreich auch funktioniert. Und die öffentliche Meinung in den USA sei doch noch viel mächtiger als in Frankreich. Unzeitgemäßer Mißgriff: Stand der Erkenntnis vor eineinhalb Jahrhunderten. Eigentlich unglaublich.
