Wirtschaftsfaktor Kirche: Mehr als Geld allein
28. Mai 2025 | von Klaus PohlmannTausende Beschäftigte, ein große Zahl teils historischer Gebäude, Kitas und Krankenhäuser: Kirchen sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Das gilt aber nicht nur für die Finanzen. Sondern es geht auch um Werte und Seelsorge.
Kirche und Geld. Beziehungsstatus: kompliziert. Will man die Kirchen als Wirtschaftsfaktor umreißen, ist das nicht ganz einfach. Was verschiedene Gründe hat. Vor allem: Die Gewinn- und Verlustrechnung bildet eben nicht das Kerngeschäft der Kirchen ab. Der seelsorgerische Erfolg, nicht der unternehmerische ist das Ziel.
Wenn man trotzdem abschätzen will, welche Bedeutung Kirche wirtschaftlich hat, steht man vor einer äußerst vielschichtigen Struktur: Es gibt in Niedersachsen fünf evangelische Landeskirchen und zwei katholische Bistümer – sowie eine münstersche Enklave in Oldenburg – mit einer vierstelligen Zahl von rechtlich selbstständigen Gemeinden und weiteren Einrichtungen. Das Spektrum reicht auf protestantischer Seite von der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) als bundesweiter Dachorganisation, die als Körperschaft öffentlichen Rechts ihren Sitz in Hannover hat, bis zur Comramo AG, ebenfalls in der Landeshauptstadt zu Hause. Dieses Unternehmen, heute bundesweit als IT-Dienstleister tätig, entstand vor 50 Jahren als kirchliches Rechenzentrum und gehört verschiedenen Landeskirchen.
Zahl der Kirchenmitglieder geht zurück
Kompliziert ist die wirtschaftliche Situation der Kirchen aber auch angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung. Nicht nur aus demografischen Gründen geht die Zahl der Kirchenmitglieder zurück, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Finanzen. Und dann ist das Thema Geld und Kirche auch vorurteilsbelastet.
Das alles macht es nicht unbedingt leichter, sich mit dem wirtschaftlichen Effekt der Kirchen auseinanderzusetzen. Wo anfangen? Das Diakonische Werk in Niedersachsen, dessen Einzugsbereich nahezu das gesamte Bundesland umfasst, hat als landesweit größter Wohlfahrtsverband etwa 600 Mitglieder mit 3000 Einrichtungen. Die wirtschaftliche Bedeutung wird noch klarer, wenn man allein auf die rund 89 000 hauptamtlich Beschäftigten verweist, die in den Einrichtungen der Diakonie arbeiten. Auf katholischer Seite zählen die drei Caritas-Verbände des Landes insgesamt rund 1500 Einrichtungen mit etwa 45 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Gesamtumfang schwer abschätzbar
Bei derart vielen Mitgliedsorganisationen von Diakonie und Caritas einen Gesamtumsatz auch nur zu schätzen, fällt äußerst schwer. Auch deshalb richtet sich der Blick schnell auf die Landeskirchen und Bistümer. Die Evangelische Landeskirche Hannover gilt gemessen an der Mitgliederzahl von rund 2,3 Millionen als größte in Deutschland. Sie umfasst weite Teile Niedersachsens – neben dem Räumen Hannover, Hildesheim und Göttingen auch Osnabrück, Lüneburg, Stade sowie Ostfriesland-Ems. Für 2023 rechnete die Landeskirche mit ordentlichen Erträgen von 707 Mio. Euro. Zum Vergleich: In der Nord/LB-Rangliste der 100 nach Umsatz größten Unternehmen läge sie mit diesem Haushaltsumfang im Mittelfeld, irgendwo zwischen der Verlagsgruppe Madsack und Bahlsen.
Löwenanteil bei der Kirchensteuer
Der weitaus größte Teil der Einnahmen stammt aus der Kirchensteuer, mit knapp 617 Mio. Euro – ein Rückgang um 15 Mio. Euro gegenüber dem Jahr zuvor. Und, wenig überraschend: „In der mittelfristigen Finanzplanung wird die Landeskirche mit abnehmenden Kirchensteuererträgen rechnen müssen.“ Die reale Finanzkraft werde abnehmen, schrieb Oberlandeskirchenrat Fabian Spier bereits im Finanzbericht für 2022. Spier ist für die Finanzwirtschaft Landeskirche zuständig.
Seine katholischen Gegenüber im Bistum Hildesheim sehen das im Grundsatz genauso. Im Geschäftsjahr 2022 – die jüngsten vorliegenden Daten – verweisen sie aber noch auf Kirchensteuereinnahmen in einer Rekordhöhe von knapp 184 Mio. Euro. Die Gesamterträge des Bistums lagen damals bei gut 203 Mio. Euro.
Das Bistum Hildesheim mit seiner so langen und bedeutenden Geschichte ist in einer anderen Situation als die hannoversche Landeskirche. Es ist das nach Fläche hinter Hamburg und Berlin drittgrößte Bistum in Deutschland. Darauf verteilen sich gut eine halbe Million Mitglieder. Ein Viertel von ihnen lebt im Raum Hannover, weitere Schwerpunkte sind Hildesheim und das niedersächsische Eichsfeld. Eine derart zerstreute Struktur nennt man üblicherweise Diaspora.
Für die Rekord-Kirchensteuereinnahmen des Bistums sorgten 2022 nicht zuletzt Lohn- und Gehaltsteigerungen bei Kirchensteuerzahlerinnen und -zahlern. Künftig werde sich aber die hohe Zahl der Austritte auch in den Finanzen niederschlagen, wenn auch noch nicht unmittelbar, hieß es dazu.
Unabhängig von der Höhe und Entwicklung wird über Kirchensteuern ohnehin gerne emotional diskutiert. Die EKD greift das Thema Geld umfassend auf. Trennung von Staat und Kirche? Die gilt, trotz Kirchensteuer, betont die evangelische Kirche. Zwar zieht der Staat die Steuern ein, dafür zahlen aber die Kirchen. Und die vertraglich geregelten Staatsleistungen – 2023 erhielt die Evangelische Landeskirche Hannover dadurch gut 28 Mio. Euro – gehen auf bereits lange zurückliegende Enteignungen der Kirchen durch den Staat zurück. Die evangelische Kirche ist offen für Verhandlungen, diese Staatsleistungen durch ein endgültige Ablöseregelung in Zukunft auslaufen zu lassen.
Gehälter für Geistliche …
Sieht man die Kirchen als Wirtschaftsfaktor, ist allerdings weit wichtiger, wohin das Geld fließt. Zum Beispiel in Gehälter. Fast 1600 Pastorinnen und Pastoren zählt die Landeskirche Hannover, weiter mehr als 450 Diakoninnen und Diakone. Auf katholischer Seite ist es eine dreistellige Zahl von Mitarbeitenden allein auf pastoraler Ebene.
Das ist aber nur der engere Kreis. Die hannoversche Landeskirche nennt für das Jahr 2022 eine Zahl von knapp 25 000 Beschäftigten. Die arbeiten aber wiederum zum Teil in Einrichtungen der Diakonie, sind also auch dort erfasst. Was einmal mehr zeigt, wie komplex die Strukturen sind.
Für Unternehmen – und deren Beschäftigte – ein wichtiger Faktor: Rund 700 Kitas mit etwa 58 000 Plätzen fallen in den Bereich Landeskirche. Kitas ermöglichen Eltern zu arbeiten. Außerdem finden sich in ihrem Bereich 13 Krankenhäuser und 135 Alten- und Pflegeheime. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich auch kein leichtes Pflaster. Ebenso wie die Bildungseinrichtungen werden sie auch auskirchlichen Mitteln finanziert.
Und dann wären da als Wirtschaftsfaktor die Immobilien. Rund 8000 Gebäude gehören Einrichtungen im Bereich der Landeskirche, vor allem den Gemeinden – „von der Marktkirche in Hannover bis zur Garage“, sagt Fabian Spier. Etwa 1400 sind es im Bistum Hildesheim. Nach dem Staat sind die Kirchen insgesamt größter Grundeigentümer im Land. Die hannoversche Landeskirche beschäftigt etwa 60 Architektinnen und Architekten.
… und Erhalt historischer Häuser
Die teils historischen Gebäude müssen erhalten werden – was zu Aufträgen für Unternehmen führt. Allerdings werden das beide Kirchen künftig nicht mehr wie bisher tun können. „Wir müssen an die Gebäude ran“, so Spier. Im Geschäftsbericht des Bistums Hildesheim steht es konkret: Viele kirchliche Immobilien hätten einen Instandhaltungsstau und würden damit ein hohes finanzielles Risiko bergen: „In den nächsten 10 bis 15 Jahren soll die Zahl der Immobilien um die Hälfte verringert, der verbleibende Rest nachhaltig und energetisch saniert werden.“ Gerade, wenn Kirchengebäude aufgegeben werden, ist das ein hoch emotionales Thema.
Alte Gebäude sind aber nicht das einzige wirtschaftliche Risiko. Stichworte sind unter anderem Altersvorsorge und Beihilfe - mit der Notwendigkeit, entsprechende Rückstellungen zu bilden. Beide Kirchen arbeiten daran, sowohl ihre Finanzstrukturen als auch die Berichterstattung transparenter aufzustellen. Vor etwa 15 Jahren wurde in der Landeskirche die Doppik im Rechnungswesen eingeführt. Das Bistum Hildesheim hat seit 2016 ein Risikomanagement aufgebaut.
Neben den Gebäuderisiken geht es dabei zum Beispiel um die Finanzanlagen. Denn auch die gehören zur wirtschaftlichen Seite der Kirchen, sind sowohl konservativ als auch nachhaltig ausgerichtet. Was nicht unbedingt die Erträge verbessert. Zudem werfen unter den Risiken die Kirchenaustritte ihre Schatten voraus: Je nachdem, wie sich die entwickeln, könnten Einnahmen sprunghaft und ungeplant einbrechen, schrieb Anja Terhorst, Finanzdirektorin im Bistum Hildesheim, schon zum Geschäftsbericht 2022.
Letztes Ziel: Kerngeschäft Verkündigung und Seelsorge
Es geht also für die Kirchen darum, so Fabian Spier, die „großen Hebel“ zu finden, um sich vorzubereiten. Nicht nur bei den Immobilien. Sondern ebenso in der Organisation. Um zwar schlanker zu werden - aber das Kerngeschäft Verkündigung des Evangeliums und Seelsorge auch künftig erfüllen zu können.
Werte und Seelsorge: Auch das verbindet Kirche mit der Wirtschaft. Im Rahmen des Kirchentages etwa wurde beim Empfag des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer über Werte und Haltung diskutiert. Es gibt auch seelsorgerische Angebote für Unternehmen.