Werte und Wirtschaft: Eine Frage der Haltung
06. Mai 2025 | von Klaus PohlmannWas bedeuten Werte angesichts der aktuellen Herausforderungen? Der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer Deutschland und die IHK Hannover hatten anlässlich des Kirchentages eingeladen, darüber zu diskutieren. Schnell wurde klar: Statt über Werte sollte man über Haltung sprechen.
Es war Jasmin Arbabian-Vogel, die das Tor aufstieß zu einer Grundsatzfrage. Diversität, das machte die Chefin eines interkulturellen Sozialdienstes in Hannover mit rund 180 Beschäftigten deutlich, sei heute als Erfolgsfaktor in der Wirtschaft angekommen. Zwar bleibe offen, ob Diversität in einem Unternehmen tatsächlich auch gelebt werde. Oder nur die Firmenwebsite schmückt. Aber eigentlich gilt: Was unter Wertegesichtspunkten inzwischen von vielen als richtig angesehen wird, ist auch unternehmerisch sinnvoll.
Was aber, wenn plötzlich ein Schreiben auf dem Schreibtisch flattert, das drohend verlangt, man möge Diversitätsprogramme im Unternehmen streichen? Wenn Moral und Erfolg nicht mehr im Einklang stehen, sondern sich widersprechen? Dann ist Haltung gefragt, könnte man sagen. Aber wäre Stoff für eine eigene, weitere Diskussionsrunde gewesen.
Kirchentag bis in die IHK
Denn auch so gab es genug zu besprechen in der IHK Hannover: Der Kirchentag reichte bis in die Industrie- und Handelskammer. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer (aeu) hatte die IHK eingeladen, vor rund 100 Teilnehmenden diskutierten Martin Kind, Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr und eben Jasmin Arbabian-Vogel über Werte und deren Bedeutung angesichts der aktuellen Herausforderung, gesellschaftlich wie ökonomisch. Und die drei waren sich schnell einig: Besser als von Werten sollte man von Haltung sprechen. Sie mag den Begriff Werte nicht, sagte etwa Petra Bahr. Haltung dagegen, das habe etwas Körperliches. Martin Kind sprach davon, dass Werte dehnbar seien und missbraucht werden können. Und Moderator Daniel Hoster aus dem aeu-Vorstand pflichtete bei: Vielleicht sogar abgedroschen sei der Begriff.
Ausgangspunkt Soziale Marktwirtschaft
Haltung also. Und tatsächlich, dieses Wort zog sich durch die gesamte Veranstaltung.
Friedhelm Wachs als aeu-Vorsitzender etwa erinnerte daran, dass die Soziale Marktwirtschaft in einer gegen politisch gegen Diktatur, wirtschaftlich gegen Monopole gerichteten Haltung erdacht wurde. „Und heute?“, fragte er.
Der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in Deutschland lädt alle zwei Jahre anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentages zu einem Empfang - in diesem Jahr in die IHK Hannover.
Verantwortung und Vertrauen
Christian Grascha, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer, wies auf die vielfältige Verantwortung bei der Leitung von Unternehmen hin, insbesondere von Familienunternehmen:

„Für die Familie, die Beschäftigten, aber auch für die Umwelt.“ Dieser Haltung könne und müsse man dann aber auch Vertrauen entgegenbringen, so Grascha: „Verantwortung setzt Vertrauen voraus.“
Eine Steilvorlage für Martin Kind. „Verantwortung ist super“, betonte er nicht nur einmal. Kind, der den elterlichen Betrieb zu einem international tätigen Hörgeräte-Unternehmen machte, nahm aber gleichzeitig Menschen in Führungspositionen in die Pflicht, innerhalb und außerhalb des Unternehmens: „Wer führt, muss Vorbildfunktion haben.“ Er bezeichnete sich als „radikalen Anhänger der Demokratie: Wir müssen sie stützen, müssen sie stärken.“ Dabei sieht er Unternehmerinnen und Unternehmer in gesellschaftlicher Verantwortung. „Keine Zeit? Das Argument kann man akzeptieren. Muss man aber nicht.“
Den Wettbewerb annehmen - oder?
Was man als Kind’sche Haltung aus vielen Äußerungen kennt, wurde auch in der IHK deutlich: Leistungsbereitschaft. „Ich bin dankbar, arbeiten zu dürften“, sagte er. Leistungsbereitschaft hält er gerade heute für unverzichtbar, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Allerdings, so Kind mit einer vielleicht durch das Alter abgeklärten Sicht: Man müsse ja den Wettbewerb nicht annehmen. „Aber wenn man es nicht will, muss man es auch sagen.“ Und die Konsequenzen tragen.
Deutschland hat jedoch aus seiner Sicht alles, was es braucht, um wettbewerbsfähig zu bleiben: „Wir sind ja noch gut“, so die leicht zurückhaltende Einschätzung Kinds. Was aber aus seiner Sicht jedoch als Haltung unverzichtbar ist: Veränderungsbereitschaft. Offenheit gegenüber Neuem, gegenüber Innovationen. Und Kind erklärte in diesem Zusammenhang: „Innovationen brauchen Freiraum – auch mit den Risiken.“
Zuversicht als Grundüberzeugung
Und, fast etwas überraschend, traf er sich hier mit Petra Bahr. Denn weder Optimismus noch Zuversicht wollte sich Kind absprechen lassen. Auch die Regionalbischöfin sprach genau das an, und zwar mit einem christlichen Impuls: „Zuversicht heißt auch, volles Risiko zu gehen – mit Gottvertrauen.“ Was sicher nicht bedeutet: ohne Verantwortung. Bahr machte aber deutlich, wo diese grundsätzliche Zuversicht für die Wirtschaft bedeutsam ist: für Forschung, Innovation, Gründung zum Beispiel. Als christliche Grundüberzeugung formulierte sie: „Die Zukunft ist offen, sie liegt nicht in einer besseren Vergangenheit.“
Ebenfalls bedeutsam für die Wirtschaft: Migration. Unverzichtbar angesichts der demografischen Entwicklung, so Martin Kind und wies insbesondere auf das Gesundheitssystem hin. Bereits an anderer Stelle aber hatte Jasmin Arbabian-Vogel aber den christlichen Aspekt der Nächstenliebe ins Spiel gebracht. Die sei „unverhandelbar.“ Und: „Wer migriert, verliert seine Heimat“, machte die Unternehmerin mit iranischen Wurzeln deutlich. Und Petra Bahr ergänzte: Migrantinnen und Migranten bringen nicht nur ihre Arbeitsleistung mit, sondern kommen mit einer eigenständigen Würde – „unabhängig davon, ob sie so gut deutsch sprechen, wie wir uns das vorstellen.“ Sie wandte sich dagegen, pauschal und undifferenziert über Migration zu sprechen.
Wieder mehr Wertschätzung erreichen
Überhaupt, die Gesprächskultur: Hier lagen Kind, Bahr und Arbabian-Vogel auf ganz und gar auf einer Linie. „Wir brauchen wieder mehr Wertschätzung“, so Martin Kind. Es gehe darum, „was und wie man etwas sagt,“ und auch um das Zuhörenkönnen. Jasmin Arbabian-Vogel: „Wir haben verlernt, wie man gut miteinander diskutiert.“ Die Erfahrung von Bischöfin Petra Bahr: Menschen gehen in ein Gespräch schon mit der Vorstellung: „Ich will gar nicht mit Dir diskutieren, ich will Dich anschreien.“ Streiten können als Wert: Hinter diesem Ziel versammelten sich alle drei.
Gewinne. Gewinne. Gewinne
Wobei sich auch die Gelegenheit geboten hätte, das noch auf dem IHK-Podium zu testen. Denn noch einmal war es Jasmin Arbabian-Vogel, die eine Grundsatzfrage aufwarf. Dass Unternehmen Gewinne machen, war zwischen ihr und Martin Kind unstrittig. Moderator Daniel Hoster hatte ein Zitat des wenige Tage zuvor verstorbenen Papstes in die Runde geworfen: „Ich bewundere Unternehmer, die nicht nur an Gewinne denken“, hatte Franziskus vor einigen Jahren gesagt. Sie sei ein Fan von Gewinn, der öffne Handlungsmöglichkeiten, sagte Arbabian-Vogel. Unternehmen erwirtschaften idealerweise einen möglichst hohen Gewinn, so Kind. Bereits zuvor hatte er angesichts der aktuellen Wirtschaftslage deutlich gemacht: „Wir brauchen Wachstum.“ Seine Unternehmerkollegin dagegen sprach vom Klimawandel als größter Herausforderung, fragte nach den Grenzen des Wachstums und danach, ob es um es aktuell noch um Wohlstandserhalt oder schon um Überkonsum geht. Aber auch das würde Stoff bieten für eine weitere Diskussionsrunde.
