
Hilfe für Unternehmen in Not
19. Mai 2025 | von Barbara DörmerHerr Pastor Waterstraat, wie sind Ihre Erfahrungen mit Unternehmen, in denen sich plötzlich etwas Schlimmes ereignet?
Ich habe oft erlebt, dass die Menschen im Unternehmen dann überfordert waren. Ich habe aber auch erlebt, dass sie es nicht waren und einander sehr gut geholfen haben. Was viele nicht wissen, ist, dass es die Struktur der Notfallseelsorge gibt. Diese kann man in Hannover über die Leitstelle der Feuerwehr alarmieren, also über 112. So ist rund um die Uhr – also 24/7/365 - eine Pastorin oder ein Pastor, eine Diakonin oder ein Diakon oder eine ehrenamtlich tätige Person bei plötzlich auftretenden, hoch belastenden Situationen erreichbar.
Wie geht es nach einem Anruf bei der Leitstelle weiter?
Jemand, der eine Zusatzausbildung für solche gravierenden Situationen hat, geht in die Situation ins Unternehmen hinein und bietet an, die Menschen seelsorglich zu begleiten. Ich würde übrigens empfehlen, dass zum Beispiel der Notarzt, der Rettungsdienst oder eine andere Einsatzkraft diesen Anruf tätigt. Es kann aber auch jemand anderes in so einer Lage die Leitstelle anrufen.
Wie schnell würde jemand kommen?
Das ist von den örtlichen Gegebenheiten wie zum Beispiel Entfernung zum Ereignisort, Wetter- und Verkehrslage und Verfügbarkeit abhängig. Als Richtwert: Möglichst innerhalb einer Stunde sollte jemand vor Ort sein können
Unternehmen können auch direkt mit Ihnen Kontakt aufnehmen?
Ja, genau, und zwar bei allem, was in irgendeiner Form belastend und überfordernd sein kann, beispielsweise Arbeitsunfälle mit schweren Verletzungen oder tödlichen Folgen. Oder wenn im Umfeld eines Unternehmens technische Unglücke passieren, wenn es zu Feuer oder Explosion kommt. Aber auch bei einem plötzlichen Krankheitsfall, etwa wenn jemand im Betrieb einen Herzinfarkt erleidet. Oder eine Kollegin oder ein Kollege auf dem Weg zur Arbeit einen schweren oder sogar tödlichen Unfall haben. Unternehmen können bei solchen, plötzlich eintretenden gravierenden Ereignissen die Notfallseelsorge oder mich rufen. Je nachdem, wie lange die Anfahrt dauern würde, komme ich oder ein anderer Seelsorger oder eine andere Seelsorgerin.
Und jenseits des Akutfalls – können sich Unternehmen auch vorbereiten?
Ich verstehe mich auf jeden Fall auch als jemand, der Unternehmen dahingehend berät: Wie kann ich mich auf solche Vorfälle vorbereiten? Also nicht nur da sein, wenn das Ereignis eingetreten ist. Dann um Hilfe zu rufen, ist völlig in Ordnung. Aber auch, um sich darauf einzustellen, zum Beispiel eine Todesnachricht zu überbringen. Ich habe zusammen mit der Polizei oft Todesnachrichten überbracht. Und wenn man sich in keiner Weise darauf vorbereitet hat, dann ist die ohnehin hoch belastende Situation noch schlimmer. Mein Rat an Unternehmen wäre, sich auf mögliche gravierende Ereignisse im Betrieb oder im Umfeld des Betriebs im Rahmen des Möglichen vorzubereiten.
Wer im Unternehmen sollte das tun?
Ganz wichtig sind Führungskräfte. Wenn etwas passiert, schaut die Belegschaft darauf, wie sich Führungskräfte verhalten. Wenn man dann den Eindruck hat, dass sie wissen, was sie tun, dass sie eine Idee von dem haben, was jetzt sinnvoll ist und sie umsetzen – und zwar mit Empathie und Sensibilität.
Und außerhalb der Führungsriege?
Es gibt ja zum einen Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die wissen, was zu tun ist, wenn es beispielsweise brennt. Was noch nicht so weit verbreitet ist, sind Menschen, die in psychosozialer erster Hilfe und Unterstützung ausgebildet sind. Das ist ein Projekt, das wir gerade zusammen mit der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Hildesheim planen: Wir wollen in den Unternehmen Menschen ausbilden, die dort sehr basal, also sehr grundsätzlich, helfen können. Wir erwarten dabei Menschen, die wissen, was sie zu tun haben, wenn etwas Gravierendes passiert ist, zum Beispiel Betroffene in der Akutsituation zu unterstützen und bei Bedarf die Notfallseelsorge oder andere Strukturen der Krisenintervention zu verständigen.
Was ist, wenn jemand erst später feststellt, dass er psychisch belastet ist?
Auch dafür gibt es durch die bestehenden Strukturen der Seelsorge oder psychotherapeutischen Regelversorgung das Angebot der Nachsorge nach einer gewissen Zeit - und das ist bewusst so unpräzise ausgedrückt. Dieser Bedarf kann nach wenigen Tagen, aber auch erst nach Wochen oder Monaten sichtbar werden, so dass Betroffene sagen: Wir würden gern noch einmal darüber reden.
Ihr Angebot für Unternehmen umfasst also welche Bausteine?
Wir bieten den Dreischritt Prävention, Begleitung, Nachsorge an – eng orientiert an den Bedürfnissen der Unternehmen und verbunden damit, ein jeweils individuell passendes Konzept zu entwickeln.
Wie würde die Entwicklung eines solchen Konzepts funktionieren?
Ich würde vorschlagen, dass sich ein kleiner Kreis von Mitarbeitenden mit mir oder Kolleginnen und Kollegen aus der Seelsorge vor Ort im Unternehmen trifft. So kann man ein Gefühl dafür bekommen, wie die jeweiligen Bedingungen sind. Und dann zusammen überlegen: Können wir einen Schematismus „Umgang mit gravierenden Ereignissen“ entwickeln, um auf hoch belastende Vorfälle vorbereitet zu sein? Ich würde das immer gemeinsam mit den Menschen vor Ort tun, weil ich mich an deren Bedürfnisse orientiere. Eine Baufirma beispielsweise hat andere Bedürfnisse als eine Verwaltung. Dialog und Austausch sind mir daher sehr wichtig, ebenso wie die Einbindung der jeweiligen Berufsgenossenschaft.
Zur Person:
Frank Waterstraat berät seit Ende 2023 im Team „Arbeit und Wirtschaft“ der Serviceagentur der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers (deren Gebiet die Sprengel Hannover, Hildesheim - Göttingen, Ostfriesland - Ems, Osnabrück, Stade und Lüneburg umfasst) Unternehmen, deren Mitarbeitende plötzlich eingetretene gravierende Ereignisse zu verarbeiten haben. Der Grundgedanke ist, Menschen in ihrer Arbeitswelt zu begleiten. Der 62-jährige Pastor und Freiwillige Feuerwehrmann hat jahrelange Erfahrungen in der Bewältigung belastender Erfahrungen bei Feuerwehr, Rettungsdiensten und in der Polizeiseelsorge. Beim Zugunglück in Eschede 1998 kümmerte sich Frank Waterstraat um die Feuerwehrleute und die Opfer.
Hilfe im Notfall
Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst > Tel. 112
Pastor Frank Waterstraat >>>>>>>>>>>>>>> Tel. 0511 1241-405
Handreichung der „Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers“ für Unternehmen zum praktischen Umgang mit Todesfällen - Download:
Ein Beispiel für die organisationsspezifische Begleitung im Kontext hoher Belastungen sind die Internetseiten der Gesetzlichen Unfallversicherung der Feuerwehr. Unter dem Titel der Psychosozialen Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV-E) informiert die Feuerwehr-Unfallkasse in Onepages über psychosoziale Unterstützung, etwa über „Posttraumatische Belastungsstörung“ oder „Begleitung von Angehörigen schwer verletzter oder getöteter Einsatzkräfte“, die nach entsprechenden Änderungen auf Unternehmen übertragbar sind:
www.fuk.de/medien/info-blaetter
Die Fragen stellte Barbara Dörmer.