
KnowledgeMove: Was wir erkennen müssen
23. Juni 2025 | von Klaus PohlmannDie Professoren Henning Vöpel und Günther Schuh lieferten das Intro zur KnowledgeMove Mitte Juni in Hannover. Der hohe Stand deutscher Wissenschaft, das enge Korsett des Hochschulpersonalrechts, das Tal des Todes für Ideen durch finanzielle Austrocknung: Darum ging es. Aber auch um die Frage, was sich in der Gesellschaft ändern muss, um in Zeiten vieler Krisen Fortschritt zu ermöglichen.
Und wir haben doch ein Erkenntnisproblem. Nicht, was die Wissenschaft selbst angeht: Da gib es jede Menge Erkenntnisse. Forschung in Deutschland gehört nach wie vor zur weltweiten Spitze.
Es gibt aber ein Erkenntnisproblem, was den Stellenwert des Fortschritts angeht. Was er gesellschaftlich bedeutet. Dass er gerade in Demokratien und Marktwirtschaften unverzichtbar ist. Denn dort lässt sich Forschritt nicht ignorieren oder verbieten. Aber er ist gleichzeitig immer auch eine Zumutung. Denn es gibt in aller Regel nicht nur Gewinner, sondern auch Fortschrittsverlierer. Das muss man erstmal akzeptieren.
Wobei das gerade heute besonders schwer ist. Henning Vöpel, Ökonomie-Professor mit einer ganzen Reihe beruflicher Stationen und aktuell unter anderem Direktor des Centrums für Europäische Politik, beschäftigte sich bei der KnowledgeMove in Hannover damit, wie die vielfältigen Krisen und Veränderungen sich auf Fortschritt und dessen gesellschaftliche Aktzeptanz auswirken.
Im Grenzbereich zwischen heute und morgen
Es sind die K-Wörter. Krieg, Klima, KI und Kommunikation. Vöpel beschrieb eine Stimmung des Übergangs, der durch Krisen und Umwälzungen erzeugt wird. Die Gegenwart zerfällt, die Zukunft ist noch nicht erreicht. Oder anders: Wir haben einen stabilen Zustand verlassen, ein neues Gleichgewicht aber noch nicht erreicht. Sind in einem Grenzbereich des „no longer, not yet“ – nicht mehr, aber noch nicht. Die Bezeichnung für einen solchen Schwellenzustand, den auch Vöpel verwendete, ist Liminalität.
Keine guten Zeiten für Innovation und Fortschritt. Denn wenn man nicht sicher ist, zukünftig überhaupt noch festen Boden unter den Füßen zu haben, hält man sich am Bewährten fest. Hinzu kommt etwas, das Vöpel als Veränderungsenttäuschung bezeichnete: Was als Fortschritt verkauft wurde, hielt den Erwartungen nicht stand. So Much Ado About Nothing – viel Lärm um nichts. Und wenn dieser vermeintliche Fortschritt sich dann auch noch so schnell unterwegs ist wie niemals zuvor, sorgt das für den Eindruck eines rasenden Stillstands: Diesen Begriff verwendete Vöpel in Anlehnung an den Gesellschaftsphilosophen Paul Virilio. Für Vertrauen in Fortschritt sorgt das alles nicht.
Immer wieder an einer Schwelle
Nun sind solche Schwellenzustände keineswegs neu. Die Entdeckung Amerikas, der Beginn der Reformation und die kopernikanische Wende erschütterten in einem halben Jahrhundert geografisch, theologisch und insgesamt das bis dahin vorherrschende Weltbild. Mit dem Untergang der Titanic versank an Ansicht vieler der Glaube an den grenzenlosen technischen Fortschritt. Und das, was vielleicht noch übrig war, verglühte im 1. Weltkrieg. Nur zwei Beispiele, an weiteren gibt es keinen Mangel.
Kommen wir allerdings heute mit solchen Schwellenzuständen schlechter zurecht? Weil wir mehr zu verlieren haben? Weil wir als Gesellschaft zu alt sind – was die durchschnittlichen Lebensjahre der Menschen ebenso meinen kann wie die Erschöpfung einer alternden Gesellschaft 200 Jahre nach Beginn der Industrialisierung, die sich einfach nicht mehr aufraffen kann?
Mehr als nur resilient
Henning Vöpel brachte das Konzept der Antifragilität ins Spiel, bekannt geworden durch den Publizisten und Mathematiker Nassim N. Taleb. Antifragil: Das beutet mehr als nur resilient sein. Also Krisen, Störungen, Unvorhergesehenes nicht nur abwettern und überstehen, sondern durch solche Schwarzen Schwäne stärker werden.
Aber dazu muss man erstmal die Unwägbarkeit als Teil des Systems akzeptieren. Vöpel warf bei der KnowledgeMove zwei Sätze in den Raum: Wer Komplexität beherrschen will, scheitert an ihr. Und: Wer Unsicherheit ausschließen will, setzt sich ihr aus. Das Erkenntnisproblem, vor dem wir stehen, mag genau darin liegt: Komplexität und Unsicherheit zulassen. Und nicht mit aller Gewalt vermeiden wollen.
Dran bleiben - auf jeden Fall

Was gleichzeitig auch bedeuten kann, ein Scheitern in Kauf zu nehmen. Zumindest vorläufig. Aber Wohlstand macht vorsichtig, und die Staatsquote bestimmt die Fehlerkultur. Sagt Günther Schuh, Professor an der RWTH Aachen und wie Henning Vöpel Impulsgeber der KnowledgeMove. Er wies auf das Top-Niveau deutscher Wissenschaft hin, mit einem charmanten Lob Richtung Hannover: Die Leibniz-Uni sei so etwas wie der Lieblingsgegner der RWTH, im Sinne gegenseitiger Motivation.
Aber den Forschungsstand in Deutschland bestreitet ja auch niemand. Nur: Wie die PS auf die Straße bringen? Klar, Geld ist nötig. Aber ebenso oder noch mehr Zeit, meint Schuh. Und die Gelassenheit, in dieser Zeit auch Geld zu verbrennen. Hauptsache dran bleiben: „Don’t stop. Wenn Sie noch nicht erfolgreich sind, sind Sie noch nicht fertig.“