
Olaf Lies: Wettbewerbsfähigkeit des Standorts steigern
20. Mai 2025Vertrauen in den Staat, den richtigen Rahmen für E-Mobilität setzen. Klimaziele, Energiekosten: Olaf Lies, heute als Nachfolger von Stephan Weil zum niedersächsischen Ministerpräsidenten gewählt, im Interview.
Die Fragen stellte Sandra Bengsch.
Herr Ministerpräsident, die Wirtschaft wünscht sich seit langem spürbare Fortschritte beim Bürokratieabbau und digitalere Verwaltungsprozesse. Welche konkreten Schritte werden Sie in Niedersachsen einleiten, um Unternehmen endlich effizientere und schlankere Verfahren zu bieten?
Olaf Lies: Das Thema Bürokratieabbau begleitet uns seit Jahrzehnten, aber selten war es so dringlich wie heute. Viele Menschen und Unternehmen haben das Gefühl, unser Staat ist zu schwerfällig geworden. Deshalb müssen wir Ballast abwerfen – etwa bei überflüssigen Berichtspflichten.
Dazu brauchen wir auch die Kommunen als Partner: Sie kennen die Prozesse vor Ort am besten und können uns helfen, unnötige Hürden zu identifizieren. Beispiele gibt es da viele: In der Ernährungswirtschaft dürfen anlasslose Kontrollen doch nicht auch noch Kosten verursachen, wenn nichts zu beanstanden war. Oder: Warum braucht es eine Umweltverträglichkeitsprüfung für einen Radweg entlang einer Landesstraße? Und: Ein Geschäftsführer im Logistikbereich sorgt doch schon aus eigenem Antrieb für gute Arbeitssicherheit, ohne dass wir ihm einen Leiterbeauftragten vorschreiben. Solche Vorgaben blockieren Fortschritt – das müssen wir ändern. Wir müssen da als Staat präzise werden: Da regeln, wo es notwendig ist und da den Verantwortlichen vertrauen und loslassen, wo Regeln überholt oder überflüssig sind. Mit der Novellierung unserer niedersächsischen Bauordnung sind wir diesen Weg bereits konsequent gegangen.
Und ja, Digitalisierung ist wichtig – aber nicht als Selbstzweck. Ein digital verschickter unnötiger Bericht ist nicht besser als ein ausgedruckter. Wir brauchen intelligente Verwaltungsdigitalisierung, die wirklich entlastet und das Leben der Bürgerinnen und Bürger vereinfacht. Darauf werden wir in Niedersachsen jetzt einen ganz neuen Fokus legen. Ich bin auch zuversichtlich, dass es gelingt: Bund, Länder, Kommunen und EU haben erkannt, dass es nur gemeinsam geht – und dass es jetzt voran gehen muss.
Das Sondervermögen des Bundes eröffnet Spielräume für dringend benötigte Investitionen. Welche Projekte stehen für Sie in Niedersachsen an erster Stelle – und wie stellen Sie sicher, dass die Mittel auch zügig und wirksam zum Einsatz kommen?
Lies: Das Sondervermögen ist eine historische Chance – und wir werden diese jetzt nutzen, auch um Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates zurückzugewinnen. Wenn marode Brücken repariert, Schlaglöcher beseitigt oder – ganz plastisch – Tempo-10-Schilder abgebaut werden, wird das für die Menschen sichtbar. Und gute Infrastruktur ist dabei ja nicht nur Standortfaktor, sie ist auch ein Konjunkturmotor. Damit die Mittel auch wirklich da ankommen, wo sie benötigt werden, stellen wir gerade unsere Bundes- und Regionalpolitik neu auf. Auch die Kommunen werden mit dem Pakt für Kommunalinvestitionen kräftig profitieren.
Als Land mit einer starken Automobil- und Zuliefererindustrie steht Niedersachsen im internationalen Wettbewerb. Welche industriepolitischen Maßnahmen planen Sie, um die Transformation der Branche zu begleiten und den Standort nachhaltig zu stärken?
Lies: Ja, gerade die Automobilbranche befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Unsere Aufgabe als Politik ist es, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass E-Mobilität nicht nur ökologisch, sondern eben auch ökonomisch in der Breite attraktiv ist. Es ist doch richtig, wir können noch zehn Jahre Verbrenner kaufen und wer daran Freude hat, kann diese auch noch viel länger fahren. Aber die Zukunft wird elektrisch – gerade, wenn ich an die Bezahlbarkeit individueller Mobilität denke. Denn ab 2027 wird auch der Verkehrssektor Teil des Emissionshandels. Das wiederum wird zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Kraftstoffpreise haben. Wenn wir also über richtige Rahmenbedingungen sprechen, dann bedeutet das: Energiepreise runter, Ladeinfrastruktur weiter ausbauen und den Kauf und auch das Leasing von E-Fahrzeugen anreizen. Bei all dem dürfen wir jetzt keine Zeit verlieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden.
Verteidigungspolitik: Noch als Wirtschaftsminister haben Sie sich für eine stärkere Einbindung industrieller Kapazitäten zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit ausgesprochen. Welche Rolle kann dabei die niedersächsische Wirtschaft konkret spielen?
Lies: Niedersachsen wird in den kommenden Jahren das Land sein, das im besonderen Maße von den notwendigen Investitionen in unsere Sicherheit und Resilienz profitieren kann, und aufgrund unserer geografischen Lage auch muss. Wir sind größter Bundeswehrstandort der Republik. Mit Blick auf Truppenbewegung und Logistik werden wir unsere Infrastruktur weiter stärken. Unsere Häfen sorgen für Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit mit Gütern und zunehmend auch mit Energie. Und die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist hier so stark, dass wir uns konjunkturell leicht vom Bundestrend absetzen konnten.
Sicherheit, industrielle Stärke und strategische Lage machen Niedersachsen zum zentralen Standort einer modernen, zukunftsfähigen Sicherheitsarchitektur. Unsere niedersächsischen Unternehmen sind damit ein unverzichtbarer Partner für die notwendige Stärkung unserer nationalen und europäischen Verteidigungsfähigkeit.
Niedersachsen hat sich ambitionierte Klimaziele gesetzt: Klimaneutralität bis 2040 und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 75 Prozent bis 2030. Viele Betriebe leiden jedoch schon heute unter hohen Energiepreisen.
Welche konkreten Anreize und Unterstützungsmaßnahmen planen Sie, um Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen, ohne deren Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden?
Lies: Unsere Klimaziele sind ehrgeizig – und das müssen sie auch bleiben. Klar ist aber auch: Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts und damit unserer Unternehmen wieder steigern. Hier sieht nun der neue Koalitionsvertrag in Berlin, den ich für den Energieteil als Verhandlungsführer der SPD mit verhandeln durfte, endlich sehr konkrete Lösungen vor. Die werden gerade bei den Energiepreisen zügig Entlastung bringen. Dazu gehört die Deckelung der Netzentgelte und genauso die Senkung der Stromsteuer.
Darüber hinaus setzen wir auf einen verlässlichen Industriestrompreis. Das ist eine langjährige Forderung aus Niedersachsen, die jetzt endlich umgesetzt werden muss. Und wir brauchen Leitmärkte, die Anreize für klimafreundliche Produktion schaffen. Wenn wir also unsere Schieneninfrastruktur sanieren, dann sollten die Schienen aus grünem Stahl sein. Oder wenn wir On- und Offshore-Windräder ausschreiben, sollte grüner Stahl standardmäßig Bedingung für die neuen Anlagen sein. Wir brauchen diese Leitmärkte. Das gilt auch nicht nur für Stahl, das gilt genauso für Chemie, Glas und Papier.
Für uns gilt: Klimaziele erreichen wir nur gemeinsam mit der Wirtschaft, nicht im Gegeneinander. Deshalb setzen wir auf eine Politik, die Klimaziele erreichbar macht – technologisch, sozial und ökonomisch. Und wir wollen zeigen: Wer in Nachhaltigkeit investiert, investiert in die Zukunftsfähigkeit seines Standorts.
Zur Person
Geboren in Wilhelmshaven, wurde Olaf Lies vor wenigen Tagen 58 Jahre alt. Wehrdienstbei der Marine, Elektrotechnik-Studium und Arbeit als Entwicklungsingenieur. Seit 2008 Mitglied des Landtags, seit 2013 als Minister zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Ab 2017 dann im Umweltministerium mit den Bereichen Energie, Bauen und Klimaschutz. Seit Ende 2022 war Lies dann erneut Wirtschaftsminister und auch für Verkehr und Bauen sowie zudem für Digitalisierung zuständig. Am 20. Mai wurde er zum niedersächsischen Ministerpräsidenten gewählt.