Indien war in diesem Jahr vor allem mit Nachrichten über Corona in der Presse. Wir wollten deshalb von Stefan Halusa, dem neuen Hauptgeschäftsführer der Deutschen Auslandshandelskammer in Indien (AHK), etwas genauer wissen, wie es aktuell um Indien bestellt ist und wie es der indischen Wirtschaft geht.
Herr Halusa, Ihr Start als Hauptgeschäftsführer der AHK Indien war durch die Corona-Pandemie sicherlich nicht einfach. Wann wird Indien wieder zur Normalität zurückfinden?
Halusa: Es ist schwierig, zu sagen, wann Indien wieder zurück zur Normalität finden wird. Es läuft ein Wettrennen zwischen der Impfkampagne und der von vielen erwarteten dritten Welle. Anders als nach der ersten Welle im vergangenen Jahr verharrt die Anzahl der Neuinfektionen auf einem Niveau von 30.000 bis 40.000 Fällen pro Tag. Auf der anderen Seite sind bis jetzt fast 440 Millionen Impfungen verabreicht worden, etwa 90 Millionen Inder und Inderinnen sind doppelt geimpft.
Das sind aber immer noch weniger als 8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zum dritten gibt es Untersuchungen, die besagen, dass fast zwei Drittel der Bevölkerung Antikörper gebildet haben. Das Bild ist also alles andere als eindeutig und die Behörden bereiten sich auf eine nächste Welle im September vor, damit diese wesentlich weniger dramatisch verläuft als die vergangenen.
Wie geht es den indischen und deutschen Firmen in Indien?
Halusa: Die Wirtschaft hat sich in der zweiten Welle überraschend robust gezeigt. Das lag auch daran, dass es dieses Mal keinen zentral verhängten Lockdown für das gesamte Land gab. Die Welle ist von West nach Ost über das Land gezogen und die einzelnen Bundesstaaten haben die Maßnahmen entsprechend des Verlaufes ergriffen. Während also im Westen, zum Beispiel in Maharashtra, schon Ausgangssperren verhängt worden waren, lief die Wirtschaft in anderen Staaten noch weiter. Unternehmen und Unternehmensteile, die mit dem Außenhandel befasst waren, durften weiter arbeiten. Dass hat dazu geführt, dass der Einbruch der Wirtschaft wesentlich geringer war als im Vorjahr, ebenso das Anwachsen der Arbeitslosigkeit.
Der German-Indian Business Outlook, den wir gemeinsam mit KPMG von Ende Februar bis Ende April 2021 durchgeführt und im Juni vorgestellt haben, zeigt, dass die Unternehmen weiterhin positiv in die Zukunft schauen.
Indien galt in der Vergangenheit immer als ein Land mit einer unübersichtlichen Bürokratie, die einen Unternehmensstart in Indien schwierig macht. Es gab verschiedene Initiativen, um dies zu ändern. Spürt man schon eine Änderung oder ist noch alles beim Alten?
Halusa: Auch da kann ich auf die Befragung unseres Business Outlooks verweisen. Nach den größten Herausforderungen ihres Indien-Geschäftes befragt, antworteten 60 Prozent der Befragten, dass dies nach wie vor die bürokratischen Hürden seien. Dennoch kann man konstatieren, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen. Die Einführung einer einheitlichen Goods and Service Tax sei hier genauso genannt wie die elektronische Steuererklärung. Für Investoren soll die Anzahl der Ansprechpartner drastisch gesenkt und für Ausländer beispielsweise die Anmeldung bei der Ausländerbehörde deutlich vereinfacht werden. Insbesondere in Bezug auf den letzten Punkt kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Es funktioniert.
Der Unternehmensstart ist das eine. Die Etablierung auf einem Markt ist das andere. Wie sehen deutsche Unternehmen in Indien, die schon länger auf dem Markt sind, ihre Aussichten?
Halusa: Das aktuelle Stimmungsbild aus dem April besagt, dass fast 90 Prozent der deutschen Unternehmen in Indien von einem deutlichen Umsatz- und Ergebniswachstum bis 2025 ausgehen. 20 Prozent erwarten ein Gewinnplus von über 20 Prozent. Ähnliches gilt für Beschäftigung und Investitionen. Ich denke, das unterstreicht den positiven Blick der Unternehmen auf ihr Indiengeschäft.
Worin sehen Sie in Indien die besonderen Stärken? Welche besonderen Herausforderungen gibt es?
Halusa: Was die meisten Unternehmen schätzen, ist die Kombination aus großem lokalen Marktpotenzial, einer wachsenden kaufkräftiger werdenden Mittelschicht und gut ausgebildeten Arbeitskräften. Es sind nicht die geringen Kosten, die die Unternehmen nach Indien locken. Die Stärken insbesondere im IT-Sektor brauche ich eigentlich gar nicht mehr separat zu erwähnen, das ist ja schon Allgemeinwissen.
Eine der Herausforderungen wurde schon erwähnt, die Bürokratie. Diese, gepaart mit einem durchaus anspruchsvollen Steuersystem und einer Gesetzgebung, die gelegentlich auch rückwirkend die Gesetzeslage verändert, tragen Indien den Ruf ein, ein „schwieriges“ Land zu sein. Die „Ease-of-Doing-Business“-Bewertung hat sich deutlich verbessert, es gibt aber noch Luft nach oben.
Wenn Sie nur einen einzigen Punkt nennen dürften: Was gefällt Ihnen an Indien am Besten?
Halusa: Die offenen, positiven und flexiblen Menschen. Es gibt für alles eine Lösung, auch wenn man die nicht immer gleich sieht. Dieser Optimismus hilft in vielen Situationen.
Vielen Dank für das Interview, Herr Halusa.
Die Fragen stelle Dr. Michael Seitz, India Desk der IHK Hannover.
Kontakt: Tel. 0511/3107-374, seitz@hannover.ihk.de
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