Blick in die Ausstellung: Wrisberg-Epitaph (l.) einer Collage gegenübergestellt. Foto: Dommuseum/Florian Monheim

Dialogstiftende Ketten im Dommuseum

10. Dezember 2025 | von Klaus Pohlmann

Keine leichte Ausstellung im Hildesheimer Dommuseum, weder thematisch noch vom Zugang. Aber lässt man sich darauf ein, treten die so verschiedenen Exponate in einen Dialog.

 

Es lohnt sich, genau hinzusehen, wenn die Kirche etwas über die Wirtschaft sagt. In diesem Fall die katholische. „Das Dommuseum erklärt den Kapitalismus“, titelte die Hildesheimer Allgemeine Zeitung zur aktuellen Ausstellung dort.

Aber diese Ausstellung, die erste unter dem neuen Direktor Dr. Felix Prinz, muss man sich erarbeiten. Und sich darauf einlassen. Das fängt beim Titel an. Dessen erster Teil heißt: „Die Zirkulation von Arbeit, Kapital und Leben als Lieferkette.“ Damit sind Schlagworte vorgegeben und wohl auch eine Richtung. Das Kapital, ebenso Arbeit und auch Zirkulation lassen sich leicht im Marx’schen Universum verorten. Und Lieferketten: Die sind in jeder Hinsicht gerade eines der am meisten wie auch besonders kontrovers diskutierten Themen in der Wirtschaft und darüber hinaus. 

Asien? Reichtum. Europa? Krieg. Amerika? Im Ungewissen.

Antiker Kontinenteleuchter aus vergoldetem Metall mit detailreichen Figuren und Verzierungen
Europa, rechts. Auf dem Schild, unter dem Schwert, steht bellum - Krieg. Foto: Dommuseum/Monheim

Prinz‘ erklärtes Ziel ist es, die Sammlung des Dommuseums in aktuelle gesellschaftliche Zusammenhänge zu bringen. Da ist zum Beispiel ein kleiner, aber in der der aktuellen Ausstellung wichtiger Leuchter aus dem 12. Jahrhundert. Auf dem sind als Figuren die damals bekannten Kontinente dargestellt: Afrika, gemeint ist die muslimische Welt, verkörpert Bildung. Asien ist Reichtum. Und Europa? Krieg. Über dem Leuchter schwebt eine Landkarte: Amerika, im Ungewissen, weil damals noch nicht entdeckt. Daran kann man erstmal rumgrübeln.

Genau wie über Teil zwei des langen Ausstellungstitels. Der deutet auf ein frühes Kapitel der Wirtschaftsgeschichte: „Das Potosí-Prinzip-Archiv erklärt einen Typus ecclesiae catholicae“. Das ist selbst höchst erklärungsbedürftig. Die Stadt Potosí, heute bolivianisch, war mit ihrem Cerro Rico, dem Reichen Berg, vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ein sprichwörtliches Zentrum des Silberbergbaus. Das mittels Zwangs- und Sklavenarbeit abgebaute Edelmetall wurde in Mengen nach Spanien verschifft und trieb die Wirtschaft insbesondere in Europa. Hier knüpft Potosí-Prinzip an: Er geht auf eine Ausstellungsreihe von Andreas Siekmann und Alice Creischer vor gut 15 Jahren zurück. 

Die Rolle der Kirche

Siekmann und Creischer haben auch die Hildesheimer Ausstellung gemacht und

Design-Anhänger in Spulenform mit Gravur, an einer Kette hängend vor braunem Hintergrund
Prägend: Ketten führen durch die Ausstellung.

 wieder Max Jore Hinderer Cruz dazugeholt sowie Sonia Albiàn, Künstler und Künstlerin jeweils mit Wurzeln in Südamerika. Ihnen geht es im Dommuseum auch um die Rolle der Kirche, ecclesiae catholicae, im Zusammenhang mit dem Potosí-Prinzip.

Was man unter dem komplex-wuchtigen Titel in drei Räumen des Dommuseums vorfindet, ist mehr Installation als Ausstellung. Aus Papier geschnittene Ketten verbinden die einzelnen Elemente: Sklavenketten? Lieferketten? Beides ist denkbar.

Ja, es geht im Dommuseum um Ausbeutung und Kolonialismus, um An- und Enteignung. Um Extraktivismus, also eine auf schonungslosen Rohstoff-Export begründete Wirtschaft, zum Nachteil der Menschen, die in den Abbaugebieten lebten. Und leben: Die papiernen Ketten führen zum Beispiel zu einer Vitrine, in der es in Piktogrammen um den Abbau von Coltan geht, einem wichtigen Rohstoff für die Elektronik. Das reicht bis zur in der Ausstellung gestellten Frage, ob nicht längst nahezu jeder Mensch zum Rohstofflieferanten der nach Daten schürfenden Tech-Konzerne geworden ist. 

Nur sehen reicht nicht

Ausstellungsmacher bei einer Rede auf einer Vernissage, mehrere Personen stehen am Rednerpult
Köpfe hinter der Ausstellung: Dr. Felix Prinz, hinten (v.r.) Alice Creischer, Andreas Siekmann und Generalvikar Martin Wilk.

Durch diese Ausstellung schlendert man nicht und staunt. Es gibt keinerlei Beschreibungen an den Objekten. Nicht an den vielen kleinteiligen Elementen, die von den vier Künstlerinnen und Künstlern stammen, teils „Basteleien“, wie Alice Creischer, etwas nach Worten suchend, bei der Ausstellungseröffnung sagte. Noch an denen aus dem Museumsbestand, etwa dem Wrisberg-Epitaph aus dem 16. Jahrhundert, einer Darstellung der Kirche: typus ecclesiae catholicae. Und nicht nur der Ausstellungstitel, auch das Motiv der Ketten hat hier seinen Ursprung: Sie verbinden im mittleren des dreiteiligen Gemäldes Kirche und Sakramente. Das alles ist keineswegs eingängig. Wenn man nicht wirklich tief drin steckt in den Themen, ist eine zwanzigseitige Broschüre die einzige Chance, sich die Ausstellung zu erschließen. Die braucht man, und Zeit.

Wobei der ökonomische Blick anders ist als der theologische sein mag. Allein die Begriffe aus dem Ausstellungstitel, Zirkulation und Lieferkette, zusammenzubringen, funktioniert aus dieser Perspektive nicht wirklich. Aber vielleicht ist es ja auch eine Art selektiver Wahrnehmung, die das Thema Wirtschaft in der Ausstellung größer erscheinen lässt. Das reicht bis zur Rüstungsindustrie, die mit dem Video eines Schüttelneurotikers aus dem ersten Weltkrieg auftaucht und mit einem Tuch über einem Nerzfell, in das mit groben Stichen der Börsenkurs von Rheinmetall gestickt ist.

Aktueller Kontext gesucht

Die Kirche kommt dagegen irgendwie besser weg. Von den Macherinnen und Machern der Ausstellung nicht beabsichtigt, aber trotzdem: Ecclesiae catholicae, die beiden Worte aus dem Wrisberg-Epitaph, die sich im Hildesheimer Ausstellungstitel wiederfinden, stehen in umgekehrter Reihenfolge namensgebend am Anfang einer Enzyklika Papst Leos XIII. von 1890: Catholicae ecclesiae. Und die richtet sich gegen die Sklaverei – eine Wende gegenüber der Potosí-Ära über 250 Jahre zuvor. Erschienen ist ein halbes Jahr vor Leos nachhaltig wirkender Sozial- und Wirtschaftsenzyklika Rerum novarum. Von neuen Dingen, so könnte man das übersetzen. Und mit neuen Dingen, , insbesondere mit Künstlicher Intelligenz, setzt sich heute nun erklärtermaßen Leo XIV. als direkter Namensnachfolger des dreizehnten Leo auseinander. Vom Epitaph zur KI, wenn man so will. Und vielleicht genau das, was man sich im Dommuseum vorstellt, um historische Objekte für die Gegenwart zu erschließen, die Sammlung in aktuelle gesellschaftliche Zusammenhänge zu bringen.

 

Die Zirkulation von Arbeit, Kapital und Leben als Lieferkette:
Das Potosi-Prinzip-Archiv erklärt einen Typus ecclesiae catholicae.

Ausstellung noch bis zum 6. April im Dommuseum Hildesheim.
Öffnungszeiten und Eintrittspreise auf der Website des Museums.