Nur zu gerne wird immer wieder darauf hingewiesen, wie weit Deutschland beim Glasfaser-Ausbau hinten liegt. Da ist auch was dran, und ohne eine hoch leistungsfähige digitale Infrastruktur ist die Zukunft nicht zu gewinnen. Aber bei der Frage, was das deutsche Netz heute schon kann, lohnt ein genauer Blick. Wo stehen wir aktuell?
Deutschland ist sowohl beim Ausbau der digitalen Infrastruktur als auch beim Einsatz digitaler Technologien und Dienstleistungen hinter viele andere OECD-Staaten zurückgefallen.“ So die eindeutige Bewertung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium in seinem Gutachten vom März dieses Jahres. Unabhängig davon, welchen Wirtschafts- und Lebensbereich man betrachtet, ob Industrie 4.0,
urbane Logistik, autonomes Fahren, Telemedizin oder digitale Verwaltungsprozesse:
Die grundlegende Voraussetzung für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit stellt die digitale Transformation dar. Digitalisierung ist eines der Megathemen unserer Zeit. Dabei muss man zwei Säulen unterscheiden: Zum einen die Bereitstellung der Infrastruktur, primär in Form leistungsfähiger Breitbandnetze, zum anderen die Entwicklung und Etablierung innovativer digitaler Prozesse. Bei beiden, so der Wissenschaftliche Beirat, gebe es in Deutschland deutliche Defizite. Regelmäßig berichten Unternehmen von fehlenden oder nicht ausreichend leistungsfähigen Breitbandanschlüssen und von Netzabbrüchen bei mobiler Datenkommunikation, weil in Teilen des Landes keine hinreichende Netzabdeckung vorhanden ist. Wie also ist der aktuelle Ausbauzustand einzuschätzen?
Lücken in der Fläche
In Niedersachsen werden nach Angaben der Landesregierung inzwischen rund 99 Prozent der Haushalte und 98 Prozent der Landesfläche von mindestens einem Mobilfunkanbieter mit 4G/LTE versorgt. Bei einem Flächenland wie Niedersachsen, ergeben sich, wie auch ein Blick in den Mobilfunkatlas Niedersachsens zeigt, immer noch beträchtliche Lücken. Deutlich niedriger, mit etwas mehr als 85 Prozent, liegt die Quote bei der durch alle drei Netzanbieter versorgten Landesfläche. Auch wenn der Ausbau stetig weitergeht, zeigt dies, dass – je nach Wahl des Anbieters – eine durchgängige hochwertige mobile Kommunikation teilweise noch nicht sichergestellt ist. Gerade im Ausbau befindet sich das Netz für den neuen Mobilfunkstandard 5G. Das Telekommunikationsunternehmen mit der aktuell größten 5G-Abdeckung weist darauf hin, dass deutschlandweit in seinem Netz bereits rund 80 Prozent der Bevölkerung 5G nutzen können. Möglich wird dies durch das Dynamic Spectrum Sharing, bei dem LTE und 5G parallel im gleichen Frequenzband genutzt werden. Dabei wird die verfügbare Bandbreite entsprechend der Nachfrage dynamisch in Echtzeit auf die beiden Mobilfunkstandards aufgeteilt.
Im OECD-Vergleich zurück
Deutlich komplexer stellt sich die Situation beim kabelgebundenen Breitbandnetz dar. Um die zukunftsträchtigen Gigabit-Bandbreiten zu erreichen, sind dabei flächendeckende glasfaserbasierte Netze erforderlich. Bis in die Häuser verlegt (FTTB, fibre to the building und FTTH, fibre to the home) lassen sich Übertragungsraten bis weit über 100 Gbit/s erreichen – ein Quantensprung bei Geschwindigkeit und Kapazität.
Hier allerdings liegt Deutschland im Vergleich der OECD-Länder weit zurück. Dies ergibt sich daraus, dass ein Großteil der Netze in Deutschland mit hybriden Technologien realisiert ist und auf den Telefon-oder TV-Kabelnetzwerken aufbauen, die durch Glasfasernetze und weitere Hard- und Software erweitert und aufgerüstet wurden. Bei der Verfügbarkeit dieser Next Generation Access Netzwerke (NGA) liegt Deutschland leicht oberhalb des OECD-Durchschnitts. Aber auch hier sind durchaus hohe Datenraten von über 1 Gbit/s (bei VDSL bis 400 Mbit/s) möglich. Dabei sind diese Netze anders als FTTB oder FTTH nicht symmetrisch, so dass die Upstream-Geschwindigkeit wesentlich geringer ist. Allerdings werden das Kabel-TV-Netz mit den DOCSIS-Standards 3.1 und inzwischen auch 4.0 aufgerüstet, mit dem die Übertragungsgeschwindigkeit auf 10 Gbit/s im Downstream und 1 Gbit/s (DOCSIS 3.1) bzw. 6 Gbit/s (DOCSIS 4.0) im Upstream wesentlich gesteigert und das Symmetrieproblem stark reduziert wird. Auch wenn Deutschland keine Spitzenwerte im Ländervergleich erreicht, sind also diese Vergleiche aufgrund unterschiedlicher Statistiken und eingesetzter Technologien differenziert zu betrachten. Wie der Bericht zum Breitbandatlas des Bundesverkehrsministeriums zeigt, standen Mitte 2020 rund 55 Prozent der Haushalte Gigabitanschlüsse zur Verfügung und 93 Prozent der Haushalte hatten Breitbandanschlüsse mit mindestens 50 Mbit/s. Allerdings ist bei hohen Bandbreiten ein deutliches Stadt-Land-Gefälle festzustellen. Im Bundesvergleich liegt Niedersachsen bei der Verfügbarkeit hoher Bandbreiten leicht unterdurchschnittlich auf dem 8. Platz, was insbesondere auf die hohen Werte der Stadtstaaten zurückzuführen ist. Ebenfalls auf dem 8. Platz, aber etwas über dem Bundesdurchschnitt, ist die Breitbandausstattung der Gewerbegebiete in Niedersachsen. Auffällig ist, dass hier die Stadtstaaten deutlich weniger herausragende Ausstattungswerte aufweisen. Neben einer teilweise fehlenden Verfügbarkeit zeigt sich aber auch, dass die tatsächliche Nutzungsrate von Anschlüsssen mit hoher Bandbreite gering ist. Als Ursache weist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2020 darauf hin, dass aufgrund der in Deutschland qualitativ relativ hochwertigen Breitbandinfrastruktur der ersten Generation die Zahlungsbereitschaft für höhere Bandbreiten aufgrund des eher geringen Zusatznutzens niedrig ist. Entsprechend ergeben sich daraus für die Netzbetreiber deutliche Hemmnisse für die Realisierung eines eigenwirtschaftlichen Ausbaus.
Ausbau in den vergangenen Jahren
Trotzdem erfolgte in den vergangenen Jahren ein deutlicher Ausbau. So stieg von Ende 2018 bis Mitte 2020 die Verfügbarkeit von Gigabitanschlüssen in Deutschland von 27,3 Prozent auf 55,9 Prozent an, was allerdings primär auf die Ertüchtigung der Kabel-TV-Netze zurückzuführen ist. Wesentliche Bedeutung hat auch der geförderte Ausbau, für den Niedersachsen Fördergelder von rund 700 Mio. Euro einplant. Hemmnis auf dem Weg zum Gigabitnetz stellt die sogenannte Aufgreifschwelle dar, die sich aus dem EU-Recht ergibt. Während unversorgte „Weiße Flecken“ grundsätzlich förderfähig sind, waren Bereiche, die als so genannte „Graue Flecken“ ein 30 Mbit/s-Netz zur Verfügung hatten, nicht förderfähig. Erst seit Anfang 2021 ist die Aufgreifschwelle nach Verhandlungen der Bundesregierung mit der EU-Kommission auf 100 Mbit/s angehoben und wird 2023 ganz entfallen. Ein großes Problem der Aufgreifschwelle besteht darin, dass bereits ein glasfaserversorgter Verteilerkasten – unabhängig von den tatsächlich angeschlossenen
Haushalten – ausreicht, einen geförderten Ausbau unzulässig zu machen. Folge sind die im Breitbandatlas sichtbaren Löcher, bei denen teilweise faktisch kaum versorgte Bereich direkt umgeben von mit Gigabitanschlüssen ausgestatten Bereichen liegen. Da die Landkreise und Kommunen in der Abwicklung zahlreicher Förderprojekte stehen, wird es sicher einige Zeit dauern, bis durch die Absenkung bzw. Aufhebung der Aufgreifschwelle größere Effekte zu erwarten sind. Dies zeigt, zum einen, dass die häufige
Argumentation von mangelnder Ausbaubereitschaft von Telekommunikationsunternehmen
oder von Versagen des Staates zu kurz greift. Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass, um langfristig zukunftsfähige Netze zu generieren, weitere intensive Ausbauanstrengungen erforderlich sind.
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