Auch darauf war niemand vorbereitet: Das immer spröde behandelte Thema Home Office wurde in der Krise zum Massenphänomen. Vorübergehend? Oder wissen wir jetzt, wie es geht?

 

Die Pandemie hat, wenn man so will, den wohl größten arbeitswissenschaftlichen Feldversuch der jüngeren Vergangenheit, vielleicht überhaupt gebracht: Home Office. Ein Viertel aller Beschäftigten in Deutschland arbeitete während der Krise – auch – von zu Hause aus. Solche Zahlen wurden auch von offizieller Seite in den Raum gestellt. Wobei die Rahmenbedingungen oft schwierig genug waren. Denn das Coronavirus sorgte ja nicht nur für den massenhaften Umzug von Arbeitsplätzen, sondern stoppte auch Kita-Betreuung und Schule – mit entsprechender Doppelbelastung für Eltern im Home Office. Außerdem wurde die Arbeit erzwungenermaßen rasend schnell, um nicht zu sagen: überstürzt nach Hause verlagert. Nicht viel Zeit also, um beispielsweise Arbeitsabläufe anzupassen.
Das dürfte oft genug erst passiert sein, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon im Home Office waren, unter Nutzung der eilends eingerichteten neuen technischen Möglichkeiten. Wobei es fast überraschend ist, dass trotz der vielen Videokonferenzen und trotz intensivierten Datenaustauschs breite öffentliche Diskussionen über mangelnde Netzkapazitäten weitgehend ausblieben.
Unberücksichtigt blieb auch, ob Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter überhaupt ins Home Office wollten. Oder ob Tätigkeiten dafür geeignet sind. Es ging nur darum, die Ausbreitung des Virus‘ zu verlangsamen.
Insgesamt nicht eben klinisch reine Bedingungen für das Experiment Home Office. Trotzdem haben die vergangenen Wochen nicht nur einen umfangreichen Aufbau von Infrastruktur für das Arbeiten zu Hause gebracht, sondern auch eine Riesenmenge an Erfahrung angehäuft.
Es gibt bereits Ansätze, diese Erfahrungen auszuwerten. In den ersten beiden Aprilwochen hat ein Team der Technischen Hochschule (TH) Köln rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Industrie, Handwerk, Dienstleistung, Handel sowie Öffentlichem Dienst befragt – und festgestellt, das zu diesem Zeitpunkt drei Viertel der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Home-Office-Situation waren. 21 Prozent äußerten sich mittelmäßig zufrieden und nur fünf Prozent waren unzufrieden. Mit über 70 Prozent hatten die weitaus meisten zuvor noch nie oder selten im Homeoffice gearbeitet.
Ein wesentlicher Punkt der Kölner Umfrage: Vier von fünf Beschäftigten, die sich wegen der Pandemie innerhalb kurzer Zeit im Home Office wiederfanden, schätzen ihre Produktivität unverändert (37 %) oder sogar verbessert (42 %) ein. Unklare Zielsetzungen bei der Arbeit zu Hause oder Schwierigkeiten, sich selbst zu motivieren, empfanden dagegen nur sieben bzw. vier Prozent der Befragten.
Als problematisch wurde vor allem der Mangel an sozialen Kontakten und der fehlende Austausch mit Kolleginnen und Kollegen erlebt (66 %). Weitere Kritikpunkte: schlechte Internetverbindungen (20 %), IT-Hardware (23 %) und unzureichende räumliche Ausstattung (26 %). Wobei das Düsseldorfer Institut für angewandte Arbeitswissenschaften (ifaa) bereits im April darauf hinwies, dass vom häuslichen Büro in aller Regel auch nicht die Rede sein könne: Was im Rahmen der Pandemie unter dem Namen Home Office läuft, ist nur allzu oft nichts anderes als mobiles Arbeiten von zu Hause aus. Das ifaa hatte sich bereits im vergangenen Jahr im Auftrag mit der FDP-Bundestagsfraktion mit dem mobilen Arbeiten beschäftigt und dabei den Gegensatz zwischen Telearbeit und mobiler Arbeit herausgestellt: Das eine – Telearbeit – ist seit 2016 gesetzlich geregelt, der Arbeitsplatz wird vom Unternehmen organisiert. Für mobile Arbeit dagegen gilt das nicht, der Begriff ist nicht definiert. Beides wird jedoch synonym als Home Office bezeichnet.
Nicht die gewohnte Büro-Ausstattung also bei vielen, die in den letzten Wochen von zu Hause aus gearbeitet haben. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage des Forsa-Instituts: Fast 60 Prozent der zu Hause Arbeitenden haben dort keinen fest installierten Arbeitsplatz. Trotzdem kommen die Forscher der TH Köln zu diesem Ergebnis: „Die Studie zeigt eine – in Anbetracht der durch die Corona-Krise bedingten widrigen Umstände – erstaunlich hohe Zufriedenheit mit der Homeoffice-Tätigkeit.“
Tatsächlich wollen offenbar jetzt auch mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten. Eine Umfrage der Kommunikationsberatung CNC ergab, dass der Wunsch danach in Deutschland um vier Prozent gestiegen ist – und zwar unabhängig davon, ob ein Impfstoff gefunden wird oder nicht. Das sieht in den USA, in Schweden oder Japan anders aus: Dort steigt der Wunsch nach Home Office deutlich stärker, wenn man davon ausgeht, dass es keinen Schutz durch Impfung gibt. Besteht allerdings die Gefahr, zu erkranken, nicht, ist der Wunsch nach mehr Heimarbeit in Schweden am wenigsten ausgeprägt: Kein Wunder, könnte man vermuten, denn das Land gehört bereits zu den europäischen Spitzenreitern beim Home Office. Dagegen hinkt Deutschland hinterher, stellten die Forscher des ifaa 2019 fest und stützten sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes.
Das alles beschreibt die Situation aus der Sicht der Beschäftigten. Für Unternehmen stellt sich die Situation aber anders dar. Darauf deutet eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hin. Nur 15 Prozent der befragten Firmen finden, dass Home Office bei ihnen einfach umsetzbar sei, so das IW und rätselt etwas an diesem Ergebnis herum. Schlechte Erfahrungen mit der Arbeitsweise könnten sich darin widerspiegeln, aber auch schlicht die Tatsache, dass mobiles Arbeiten kaum möglich ist. Für weitere Ergebnisse baut das IW, das ein Corona-Panel zur Unternehmensbefragung eingerichtet hat, auf die Untersuchung breiterer Datensätze und eine Differenzierung nach Unternehmens- und Belegschaftsmerkmalen.
Eine breite Beschäftigung mit dem Thema Home Office, angestoßen durch die Corona-Pandemie: Darauf setzt auch Dr. Marina Schröder, Professorin für Innovationsökonomik am Institut für Wirtschaftspolitik der Leibniz-Uni in Hannover. „Überfällig“ sei diese Diskussion, sagt die Wissenschaftlerin. Sie selbst hat im Mai Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlicht, die aber ihre Wurzel bereits vor der Krise hat. Gemeinsam mit Forschern der Uni Köln untersuchte sie in einem Experiment, wie sich unterschiedliche Kommunikationswege – persönliche Begegnung vor Ort, Video-Konferenz und Online-Chat – auf die Kreativität von Teams auswirken. Konkret: Geht etwa das, was an Produktivität und vielleicht auch an Wohlbefinden durch die Arbeit zu Hause gewonnen wird, durch weniger Kreativität wieder verloren? Diese Frage warf die New York Times in einem Beitrag während der Corona-Krise auf. Die Forschergruppe um Marina Schröder arbeitete zu diesem Zeitpunkt schon an einer Antwort. Ergebnis des Experiments: Während ein Chat dem persönlichen Gespräch im Hinblick auf Ergebnisse unterlegen ist, bringen Videokonferenzen ähnlich gute Resultate. Tatsächlich werden ja in vielen Unternehmen bereits Kommunikationswege sehr differenziert eingesetzt.
Solche Studien zeigen, wohin sich die Diskussion bewegen könnte: Es geht nicht um Zufriedenheit oder die subjektive Einschätzung der Produktivität. Sondern um die Frage, wie die Arbeit im Home Office gestaltet werden muss, damit sie sowohl aus Sicht des Unternehmens als auch der Beschäftigten sinnvoll ist. Welche Art von Arbeit für welche Beschäftigten in welchem Umfang? Beim Institut für Angewandte Arbeitswissenschaften sieht man hierzulande noch ein hohes Potenzial für die Arbeit zu Hause. Zum einen, weil Deutschland gegenüber den Vorreitern der Entwicklung hinterherläuft. Zum anderen, weil Home Office zu den aktuellen Megatrends passt. Die Arbeit wird flexibler, gleichzeitig schafft die Digitalisierung neue Möglichkeiten, in Verbindung zu bleiben. Wenn sich die Entwicklung vor Corona fortsetzt, werden Fachkräfte mehr und mehr gesucht. Gleichzeitig steigen die Ansprüche von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an ihre Jobs: Die Möglichkeit, in welchem Umfang auch immer zu Hause zu arbeiten, ist ein Argument.
Auch die hannoversche Professorin Marina Schröder sieht im Home Office noch große Möglichkeiten. Die Krise kann auch in diesem Bereich Entwicklungen beschleunigen. Und Corona ist zurzeit der Brennpunkt, es gibt aber auch noch andere Arbeitsfelder. Nach Berechnungen des ifaa können, wenn – gemessen am Beschäftigungsniveau vor der Krise – zehn Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland einen Tag in der Woche von zu Hause aus arbeiten, rund 4,5 Milliarden Kilometer an Pendelstrecke, über 133 000 Fahrtzeit und gut 850 000 Tonnen CO2 eingespart werden.

 

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Klaus Pohlmann

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