Von kurz vor Bremen bis vor die Tore Kassels, vom Moor bis zum Harz, über Hannover, Hildesheim und Göttingen reicht die Zuständigkeit der IHK Hannover. Was ist das für eine Region, die die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Vollversammlung repräsentieren? Eine Reportage, zwei Tage unterwegs mit Auto und Zug, viele Eindrücke.
Exakt 12 089 Quadratkilometer groß ist der Bereich Niedersachsens, der von der IHK Hannover und ihren knapp 200 Beschäftigten betreut wird. Das Gebiet reicht im Norden an Bremen heran und endet im Süden vor den Toren Kassels. Von West nach Ost reicht der Zuständigkeitsbereich vom Dümmer See bis zum südlichen Harzrand. Nur zwei andere IHK-Bezirke in Deutschland sind noch größer: München und Potsdam. Wir machen uns mit dem Auto und per Zug auf den Weg durch die Region, in der die Unternehmen rund 40 Prozent der Wirtschaftskraft Niedersachsens erwirtschaften. Zu den rund 160 000 Mitgliedsunternehmen gehören neben internationalen Konzernen viele Mittelständler sowie kleinere Firmen und Gewerbetreibende, auf die man unterwegs trifft.
Ballungsraum Hannover
Es ist Viertel nach acht, Mitte Juni: Fast zwei Stunden soll die Fahrt aus Hannover bis zum nördlichsten Zipfel der IHK-Region dauern. Es geht auf der B6 vorbei am industriellen Herz der Landeshauptstadt in Stöcken-Marienwerder: rechts Continental, links Johnson Controls, im Hintergrund VW Nutzfahrzeuge – alle direkt an der Verkehrsader A2. Drei der größten Unternehmen Niedersachsens haben in der Landeshauptstadt ihre Zentrale oder im Fall von VW den Stammsitz der Bulli-Marke, mit allein 14 500 Beschäftigten. In der Stadt haben 20 der 50 größten Unternehmen des Landes ihren Sitz. Damit liegt Hannover im Ranking der Nord/LB (Niedersachsen größte Unternehmen) an der Spitze. Mit 1,2 Millionen Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 502 Einwohnern pro Quadratmetern setzt sich die Region Hannover deutlich ab.
Nach Neustadt, wo eine marode Brücke den Verkehr abbremst, geht es mit Tempo gen Norden: Seit dem Ausbau der B6 bis Nienburg vor einigen Jahren führt die Straße nicht mehr direkt am Restaurant und Hotel Meinkingsburg vorbei, das mit einem großen Banner für sich wirbt. Nach zwei Mal Abbiegen ist man da.
Auf dem Land ist immer was los
Ein Auto hält an der Classic-Tankstelle auf der Straßenseite gegenüber. Viel los ist hier an diesem Vormittag nicht. In der früheren Werkstatt von Pächter
Michael Walter hängt neben einem Foto aus der hannoverschen HDI-Arena eine rote Motorhaube mit der Aufschrift „Offizieller Tankwart des MSC Linsburg“. Der 1985 gegründete Verein fährt Stock-Car-Rennen. Bevor es losgeht, trifft man sich an der Tankstelle von „Micha“, der ein schwarz-graues Camouflage-Hemd trägt. Vor 25 Jahren ist er aus Hannovers Nordstadt in das Dorf gezogen. „Hier auf dem Land ist immer irgendwo was los“, sagt der 51-Jährige. Mit gut 30 000 Einwohnern ist Nienburg die größte Stadt im Kreis, in der BASF Catalysts, Ardagh Glass oder das Eastman Tochterunternehmen Flexsys zu den größten Arbeitgebern gehören. Ihre Industrieanlagen prägen das Bild der Stadt im Vorbeifahren, dicht gefolgt von der Weser und ganz viel Grün.
Nach dem Kalksandsteinwerk der Schlamann KG säumen Windräder, Weizenfelder und Bauernhäuser, vor denen Schilder auf neue Kartoffeln, Erdbeeren, Zeltfeten und Büffel-Mozzarella hinweisen, die Strecke. Mit 87 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Nienburg der am dünnsten besiedelte Landkreis in der IHK-Region, weit unter dem deutschen Durchschnitt, der bei 232 liegt.
Einige Kilometer nördlich, im Landkreis Diepholz, schlängelt sich die Bundesstraße mitten durch Asendorf. Hier bleibt man Hängen. Ein Schaukelpferd und etwas Spielzeug locken in einen Second-Hand-Laden, in dem Uta Linge gerade einige Kleidungsstücke sortiert. Seit zehn Jahren gibt es das Geschäft, das seine Waren einigen Stammkunden von weiter weg auch zuschickt.
Prüfung in der Geschäftsstelle
In der Syker Stadtmitte hat sich um Viertel nach elf vor dem Erdbeerstand vom Hof Wichmann eine Schlange gebildet. Vor einer Glastür in der ersten Etage der Kreisverwaltung wartet eine junge Frau. Sie ist eine von 16 jungen Erwachsenen, die an diesem Tag in der Geschäftsstelle der IHK ihre Prüfung als Kaufleute im Einzelhandel absolvieren. Constantin von Kuczkowski, der Leiter der IHK-Geschäftsstelle und seine Kolleginnen Martina Culemann und Monika Nitsch planen derweil noch die letzten Details für die großen Verabschiedungsfeiern für die Ausbildungsabsolventen in Diepholz und Stuhr mit jeweils mehr als 500 Teilnehmern.
Hinter einem Anhänger, auf dem das Keilerkopf-Logo eines Korns klebt, führt die Reise weiter gen Norden. An Kühen vorbei, geht es unter der Autobahn 1 hindurch Richtung Stuhr, bis man plötzlich auf den Zaun des Flughafens Bremen blickt. Das letzte Stück der Start- und Landebahn befindet sich auf niedersächsischem Gebiet. Exakt 600 Meter liegen zwischen dem Ende der Bahn und der Schwäbisch-Hall-Straße im Stuhrer Ortsteil Kuhlen. Die Landesgrenze läuft hier durch ein Wohngebiet. Es ist der nördlichste Punkt der IHK-Region.
Der äußerste Punkt im Westen ist das nächste Ziel. Doch schon am Ortsausgang von Stuhr folgt der nächste Stopp. „Frische Kräuter made in Stuhr“ steht dort mit Kreide auf einem Schild. Es gehört zum Hofladen von Mareike Hohnhorst, in dem es „nicht nur die üblichen Küchenkräuter“ zu kaufen gibt, sondern bis zu hundert verschiedene Sorten, darunter zahlreiche Heilkräuter, die ihr Mann in den angrenzenden Gewächshäusern zieht. Neben Obst und Gemüse verkauft die Geschäftsfrau in ihrem Laden aber auch Biobrot, Wurst, Kaffee und selbstgemachte Salate und Marmeladen. Vor 15 Jahren hatte sie die Idee für den Laden, der inzwischen ein zweites Standbein für den Familienbetrieb ist.
Über die B439 geht es weiter. Auf der Bundesstraße 51 werden die Abstände zwischen den Höfen am Rand der Straße wieder länger, genauso wie die entgegenkommenden Lastwagen-Schlangen. Als links die weißen Hallen von Gemüse Meyer kurz vor Twistringen auftauchen, ist man fast etwas überrascht. Das mittelständische Unternehmen zählt nicht nur mehr als 200 Beschäftigte, es ist auch seit Jahren schon besonders engagiert in Sachen Nachhaltigkeit.
Die Bundesstraße führt mitten durch den Ort, an der katholischen Kirche St. Anna und dem „Döner Palast“ vorbei, vor dem vier junge Mitarbeiter des Gemüseverarbeiters gerade in ihre gefüllten Brottaschen beißen. Die Fahrt vom Norden bis zum westlichsten Punkt dauert mehr als eine Stunde. Auf einer Schotterpiste für Anlieger geht es in das Aschener Moor. Weiter westlich kommt man nicht.
2000 Quadratmeter groß ist der Landkreis Diepholz. Mit 3,8 Prozent ist die Arbeitslosenquote hier so niedrig wie nirgends sonst in der IHK-Region. Und das ist nur einer von vielen Faktoren, in denen sich die wirtschaftliche Stärke des Kreises ausdrückt.
Hinein in den Naturpark Dümmer. Zwischen einem Stall und einem Wäldchen taucht links eine Förderpumpe auf. Es ist ein Bohrplatz von Wintershall. Seit den 1950er Jahren werden in der Region Erdöl und Erdgas gefördert. Am Rande von Barnstorf beschäftigt das Unternehmen derzeit noch rund 280 Menschen.
Imbiss in der Idylle
Noch ein paar Kilometer weiter südlich, am Dümmer wird eifrig gebaut. Innerhalb des letzten Jahres sind einige Häuser des Marissa Ferienparks fertig geworden.
An der Einfahrt zu der Feriensiedlung in Lembruch, nah an der Bundesstraße 51 steht ein Imbisswagen, der mit seiner gelb-schwarzen Gestaltung auffällt. Der Mann hinter der Theke hat ein graues Handtuch um den Hals und trotzdem Schweißperlen auf der Stirn. Der gebürtige Kamener ist Fan von Borussia Dortmund, daher die Farben. Mit seinem Ruhrpottgrill steht Maik Henrichs dort, wo er von 1974 bis 2008 regelmäßig seine Urlaube verbracht hat. Als der Campingplatz schloss, kaufte er sich mit seiner Frau einfach im Nachbarort ein Haus. „Die Leute sind hier einfach viel entspannter“, findet der 48-Jährige, der nach einer Erkrankung nicht mehr in seinen alten Beruf zurück konnte. Vom Geschäft mit „Körriwuast, Bratwuast und ne Pommes“ könne er ganz gut leben.
Auf leeren Straßen geht es vorbei am großen ZF-Standort in Lemförde über die Elastogranstraße mit den bunten Fahnen von BASF, den hohen Eichen im kleinsten Kino-Ort Deutschlands Quernheim Richtung Stadthagen, wo die Route am Werk von Faurecia entlang führt. Über die B 65 geht es dann zurück nach Hannover.
Weiterlesen? Der zweite Teil der Reportage durch die IHK-Region: Der Süden.