Der Flecken Steyerberg, eine kleine Gemeinde im Landkreis Nienburg hat in den vergangenen Jahren viele Entscheidungen für mehr Klimaschutz getroffen. In der Kommune arbeiten alle Beteiligten eng zusammen am großen gemeinsamen Ziel, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein.

Per App ein Elektroauto oder ein E-Bike? Und das nicht in Stuttgart, sondern in Steyerberg, wo es nicht nur dieses innovative und nachhaltigeMobilitätsangebot gibt. Denn der Ort im Landkreis Nienburg, am westlichen Weserufer, gehört zu den Vorreitern im Land in Sachen Nachhaltigkeit, Klima- und Mobilitätswende: Knapp 5200 Menschen leben hier auf gut 100 km2. Der Flecken – die historische Bezeichnung für Orte mit zentraler Funktion für umliegende Dörfer hat sich Steyerberg bewahrt – gehört damit zu den am dünnsten besiedelten Gegenden im Land. Seit 2007 ließ der demografische Wandel die Einwohnerzahl in der Gemeinde sinken. Und wäre da nicht das besonders auffällige Engagement in Sachen Klimaschutz wäre Steyerberg wohl eine Kommune wie viele andere in Niedersachsens ländlichem Raum.

Kleinste Masterplan-Kommune Deutschlands
Der Flecken ist die kleinste der sogenannten Masterplan-Kommunen, die bei der Nationalen Klimaschutz-Initiative der Bundesregierung mitmachen. Die Gemeinde mit ihren acht Ortsteilen hat sich zu 100 Prozent dem Klimaschutz verpflichtet: bis zum Jahr 2050 sollen 95 Prozent der Treibhausgase und 50 Prozent der Energie eingespart werden. Aktuell entsteht beispielsweise gerade ein Fernwärmenetz in der Gemeinde, das aus der Abwärme der Oxxynova GmbH, des großen chemischen Industriebetriebs am Ort, sowie der Biogasanlage Steyerberg gespeist wird. Das 15 Millionen-Euro-Projekt wird von einer Bürgergenossenschaft getragen, die in einem ersten Schritt 41 Prozent der möglichen Anschlussnehmer von dem Vorhaben überzeugen konnte. Die teilnehmenden Haushalte erhalten zeitgleich einen Anschluss an das Glasfasernetz. Dieses Jahr soll noch die erste Wärme durch das Netz fließen. Laut einer Berechnung der Gemeinde werden, wenn sich das Netz auf 27 Kilometer erstreckt und alle geplanten 420 Anschlüsse erstellt sind, rund 1,5 Millionen Liter Heizöl und etwas mehr als 3000 Tonnen CO2 jedes Jahr eingespart.

Der Ausbau des Nahwärmenetzes schreitet voran. Dieses Jahr erhalten die ersten Haushalte Wärme aus dem Netz. Die Gemeindewerke der Kommune wollen Windenergieanlagen
kaufen, auch um daraus in den nächsten Jahren Einnahmen von rund 2 Mio. Euro zu erzielen. Foto: Flecken Steyerberg

„Die Beschlüsse zu diesen Themen sind in der Regel einstimmig“, berichtet Bürgermeister Heinz-Jürgen Weber. Aus seiner Sicht habe die Anerkennung, die die Gemeinde in den vergangenen Jahren erfahren hat, dabei eine ganz wichtige Rolle gespielt. „Die Auszeichnungen waren für viele eine Bestätigung, dass wir mit unserem nachhaltigen Ansatz richtig liegen. Und so konnten wir auch die Menschen in Steyerberg mitziehen“, erklärt der 59-Jährige. Dass mehr getan werden muss, um den Klimawandel zu stoppen, sei seine persönliche Überzeugung bereits vor seinem Amtsantritt vor acht Jahren gewesen.

Lebensgarten und Stadt arbeiten eng zusammen
Und mit der Einstellung ist er in der Gemeinde nicht allein. Ein wichtiger Akteur in Sachen Nachhaltigkeit ist der Lebensgarten, eine große ökologische Lebensgemeinschaft, die sich Mitte der 1980er Jahren in alten Gebäuden am Rande der ehemaligen Weltkriegs-Pulverfabrik in Steyerberg-Liebenau ansiedelte. Heute sieht sich der Lebensgarten als ein „Ort innovativer Ideen, der sich nach wie vor in einem steten Erneuerungsprozess befindet“. In normalen Zeiten finden auf dem Gelände des Vereins regelmäßig Seminare zu verschiedenen Themen aus den Bereichen Ökologie, Gesundheit und natürliche Heilungswege statt. So ist es wenig verwunderlich, dass bereits 1991 im Lebensgarten, die erste öffentliche „Tankstelle“ für Elektrofahrzeuge errichtet wurde. Der Strom wurde aus einer Photovoltaik-Anlage gewonnen und konnte über eine Steckdose bezogen werden. Inzwischen arbeiten die Gemeinde und die Engagierten aus dem Lebensgarten und seinem entstandenen Umfeld bei vielen Projekten eng zusammen. „Ganz aktuell etwa wollen 30 junge Menschen in Steyerberg das „Dorf der Zukunft“ bauen und entwickeln“, berichtet der Bürgermeister stolz. Es gebe schon einige, die über den Lebensgarten in die Gemeinde gekommen sind und sich hier niedergelassen haben. Einer von ihnen ist Alex Holtzmeyer, der vor zehn Jahren nach Steyerberg kam und sich hier als Experte für Elektromobilität selbstständig machte. Sein Institut für angewandte Elektromobilität berät und schult unter anderem Kommunen. Auch er lobt die gute Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister und der Gemeindeverwaltung:

„Politik, Verwaltung, Unternehmen und Vereine ziehen hier an einem Strang. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt für den gemeinsamen Erfolg.“

Übrigens: Das Niedersachsen-Büro des Bundesverbands eMobilität hat seinen Sitz in der Gemeinde – nicht in Hannover. Nachhaltigkeit ist in Steyerberg eng mit wirtschaftlichen Vorteilen verknüpft. Früher habe der Ort sehr von der Öl- und Gasförderung profitiert: neben einem großen Verwaltungssitz von ExxonMobil gab es hier etwa die zweitgrößte Erdgasaufbereitung des Landes, was dem Ort hohe Gewerbesteuereinnahmen brachte. Als diese sanken, konnte der Ort die Kosten für das Infrastrukturvermögen wie Sporthallen, Freibäder, Reitanlagen und Sportplätze kaum noch stemmen. So achtet die Gemeinde auch darauf, dass Einnahmen erzielt werden. Bestes Beispiel sind
sicherlich die drei bis vier Windenergieanlagen, die die Energiewerke Steyerberg GmbH beabsichtigen zu kaufen. Über deren gesamte Laufzeit werde die Gemeinde mehrere Mio. Euro einnehmen. Mit Solarenergie, Wasser- und Windkraft kann Steyerberg an vielen Tagen im Jahr bereits heute den im Gemeindegebiet verbrauchten Strom selbst erwirtschaften. Die Kommune hat aber auch in die Digitalisierung investiert, zum Beispiel 2018 die digitale Akte eingeführt. „So konnten
unsere Beschäftigten auch aus dem Homeoffice auf alles zugreifen. Wir arbeiten daran, dass die Menschen alles, wo sie mit der Verwaltung in Kontakt treten, sei es einen Hund anmelden oder ein Führungszeugnis beantragen, auch digital erledigen können“, sagt Weber. An Ideen mangelt es ihm nicht.

Wasserstoff-Projekt in Eickhofer Heide
So hat er auch die Idee für ein Wasserstoff-Projekt im Flecken und der Samtgemeinde Liebenau wiederaufgenommen und weiterentwickelt. „Wir haben hier mit der Eickhofer Heide, eine
1200 Hektar große Konversionsfläche mit angrenzenden Gewerbegebiet, für das bereits Baurecht besteht, optimale Voraussetzungen um dort Anlagen zur Herstellung
und Speicherung von Wasserstoff oder auch synthetischer Kraftstoffe zu errichten“, erklärt der Bürgermeister. An Ideen mangelt es in Steyerberg nicht.

FLECKEN STEYERBERG
Einwohner: 5191
Fläche: 101,9 km2
Gewerbesteuer: 395

Überblickseite über die nachhaltigen Aktivitäten im Flecken Steyerberg

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Georg Thomas

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