Besondere Vorzeichen: Die TÜV Nord AG stellte bei ihrer Bilanzpressekonferenz in Hannover neben den Geschäftszahlen ausdrücklich eine sichere und nachhaltige Energieversorgung als Thema in den Mittelpunkt, mit Vorschlägen für eine schnellere Energiewende. Unmittelbar zuvor war in Berlin die Frühwarnstufe des bundesweiten Gas-Notfallplans aktiviert worden.
 

Dr. Dirk Stenkamp, Vorstandschef der TÜV Nord AG und gerade erst mit Wirtschaftsminister Robert Habeck unter anderem in Katar unterwegs, schlug einen Nationalen Energierat vor, analog zum Beratergremium beim Kohleausstieg. Zentrale Aufgabe eines solchen Gremiums: die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Daran muss nicht nur aus Stenkamps Sicht gearbeitet werden: Nach einer aktuelle Forsa-Umfrage, die der TÜV in Auftrag gegeben hatte, sieht eine Mehrheit von gut 1000 bundesweit befragten Menschen die Dauer dieser Verfahren als größte Hürde für die Energiewende, und fast 25 Prozente der Antworten nennen auch den Widerstand vor Ort als Hemmnis.

Kernkraft eine „valide Option“

TÜV-Chef Stenkamp bezeichnete die Kernkraft als eine „valide Option“. Eine Laufzeitverlängerung für die drei noch arbeitenden Kraftwerke ist aus seiner Sicht technisch ebenso möglich wie eine Reaktivierung der im vergangenen Jahr abgeschalteten, darunter das in Grohnde bei Hameln.

Geothermie stärker in den Blick nehmen

Unter den weiteren Vorschlägen ein deutlicher Hinweis auf die Geothermie: Deren Möglichkeiten werden noch unterschätzt, so Stenkamp. Insbesondere sei diese Energiequelle im Gegensatz zu Sonne und Wind nicht schwankend, sondern regelbar. Flüssiggas, wesentliches Thema der Habeck-Reise in den Nahen Osten, hat aus Sicht des TÜV-Chefs eine hohe strategische Bedeutung wegen der vergleichsweise großen Krisensicherheit, benötigt aber zur Herstellung relativ viel Energie. Die Schlüsselrolle beim Ersatz für russisches Erdgas habe zwar nicht kurzfristig, aber auf längere Sicht Wasserstoff. Im Mittelpunkt steht dabei grüner, also mit erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff. Obwohl in der Diskussion allgegenwärtig, gibt es dafür nach Stenkamps Worten noch kein Zertifizierungssystem. Ein solches System will die TÜV-Gruppe insgesamt, in der sich auch der TÜV Nord engagiert, jetzt anschieben.

Im Bereich Energie ist der TÜV Nord in verschiedenen Arbeitsfeldern unterwegs. Zum Beispiel werden in der Kernenergie sowohl produzierende Anlagen als auch der Rückbau von abgeschalteten Kraftwerken überwacht, ebenso die Lagerung radioaktiven Materials. Neben den Aufgaben im Bereich fossiler Kraftwerke habe man sich auch bei den Erneuerbaren eine sehr starke Marktposition aufgebaut, so Stenkamp. Die Salzgitter AG arbeitet bei ihrem Wasserstoff-Projekt ebenfalls mit dem TÜV Nord zusammen.

Rekorde bei Wachstum und Umsatz

Insgesamt hat das Unternehmen heute sechs Standbeine, neben der Mobilität unter anderem mit der Hauptuntersuchung für Autos gehören auch die Rohstoffsuche oder Prüfungen im Bereich der Luft- und Raumfahrt dazu. Der TÜV Nord ist in rund 50 Ländern vertreten und in mehr als 100 mit Geschäften unterwegs. Die Zahlen für 2021 stellte in Hannover Jürgen Himmelsbach vor, dessen zurückhaltender Vortragsstil zu seinem Job als Finanzvorstand passt, jedoch weniger zu den Ergebnissen: Der Umsatz stieg im vergangenen Jahr um den Rekordwert von 8,3 Prozent auf knapp 1,37 Mrd. Euro, und auch das markiert einen bislang nicht erreichten Höchststand. Das Wachstum ist nahezu ausschließlich organisch und wurde getrieben insbesondere durch das Auslandsgeschäft mit zweistelligen Wachstumsraten und durch die Bereiche Industrie-Service und Mobilität. Coronabedingt schwächer entwickelte sich unter anderem der Bereich Bildung.

Das Betriebsergebnis (Ebit) stieg auf 73,1 Mio. Euro nach knapp 48 Mio. Euro im Vorjahr. Der Jahresüberschuss kletterte auf 45,5 Mio. Euro (Vorjahr: 13,5 Mio. Euro). Bei einem Cash flow von 122 Mio. Euro investierte der TÜV Nord knapp 59 Mio. Euro. Die Zahl der Mitarbeitenden stieg 2021 um etwa 300 auf 11.959. Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens kommentierte Jürgen Himmelsbach in ruhigem Ton, aber mit starken Worten: „Sehr gut, sehr stabil, sehr solide – sehr, sehr gut aufgestellt“, ausdrücklich mit Hinweis auf die Pensionsrückstellungen des Unternehmens. Und das Umsatzwachstums 2021 sei schon „eine Hausnummer“, so der Finanzvorstand.

Wachstum 2022 zunächst fortgesetzt

In den ersten beiden Monaten dieses Jahres hat sich das Umsatzwachstum in gleicher Größenordnung fortgesetzt. Jede weitere Prognose steht aber derzeit unter dem Schatten des Ukraine-Krieges und der Perspektive weiterer Energiepreissteigerungen, die auch den TÜV treffen würden.

TÜV-Vorstand: Astrid Petersen, in der Mitte Vorstandschef Dr. Dirk Stenkamp und Jürgen Himmelsbach.

Arbeitsdirektorin Astrid Petersen betonte, wie sehr man beim TÜV durch die Geschehnisse in Osteuropa betroffen sei. Derzeit läuft  eine Spendenaktion unter den Mitarbeitenden, zu der das Unternehmen einen Grundstock beigetragen hat. TÜV-Beschäftigte, die sich ehrenamtlich engagieren oder Geflüchtete aufnehmen, können dafür einen freien Tag beanspruchen. Über seinen Bildungsbereich will der TÜV Menschen aus der Ukraine auch Angebote machen.

Für die Belegschaft bietet der TÜV Nord offenbar sehr gute Bedingungen. Nach einer aktuellen Studie platzierte sich das Unternehmen unter 160.000 Firmen, die bundesweit untersucht wurden, bei der Qualität als Arbeitgeber auf Platz 37. Regional bedeutet das: Der TÜV liegt in Hannover auf Platz 1, in Niedersachsen auf Platz 2. Gute Voraussetzungen, um den angekündigten weiteren Personalaufbau zu schaffen.

Unter Corona-Bedingungen, aber erstmals wieder in Präsenz: Bilanzpressekonferenz beim TÜV Nord.
Foto: TÜV/Henning Scheffen.

www.tuev-nord.de

 

 

 

 

 

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