Vielleicht macht eine Session wie die zu Algorithmen und Künstlicher Intelligenz das Ziel der Techtide besonders deutlich: Keine Nerd-Diskussion über programmatische Winkelzüge, sondern an Anwender und bis hin zu einer breiten Öffentlichkeit gerichtete Informationen. Denn ein bloßer Appell, die Chancen von KI zu sehen, wird zur Akzeptanz nicht reichen
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Rund 80 Prozent der Europäer fühlen sich beim Gedanken an Künstliche Intelligenz unbehaglich. Allerdings weiß fast jeder zweite nach eigener Einschätzung nichts oder gar nichts darüber. Das ergab eine Umfrage der Bertelsmanns-Stiftung. Carla Hustedt, die dort im Bereich Ethik und Algorithmen arbeitet, wies bei der Techtide außerdem darauf hin, dass KI überwiegend mit negativen Assoziationen verbunden sei: Angst vor der Macht der Programmierer oder Kontrollverlust, nur zum Beispiel.

Andererseits gilt Künstliche Intelligenz als die Zukunftstechnologie schlechthin. Dazu passt, dass beim Techtide-Auftakt vier Nachwuchstalente in diesem Bereich von Hochschulen in Osnabrück, Braunschweig und Hannover ausgezeichnet wurden: Dr. Joachim Hertzberg, Professor an der Uni Osnabrück und Mitglied beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), zeigte sich dabei selbstbewusst, was die KI-Arbeit an den deutschen Hochschulen betrifft. Aber: Im Vergleich zum Beispiel mit den USA entstehen daraus weniger Unternehmen.

Einer, der ein KI-Startup mitgegründet hat, gleichzeitig aber noch im akademischen Bereich an der TU Kaiserslautern arbeitet, ist Tobias Krafft. Unternehmerisch berät er beim Kauf von KI-Systemen. Bei der Techtide war er sich mit Carla Hustedt von der Bertelsmann-Stiftung weitestgehend einig: Die Verankerung von KI braucht eine breite Diskussion – gegen Vorbehalte hilft nur Wissen.

Wobei, wenn man ehrlich ist: So ganz unbegründet sind die Vorbehalte nun auch wieder nicht. Gerade die Gesichtserkennung ist in den letzten Jahren immer wieder in Gerede gekommen, weil sie am besten bei weißen Männern funktioniert. Aktuell berichtete Bertelsmann-Mitarbeiterin Hustedt noch von Fällen, in denen Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht von Geräten erkannt wurden, die Seife oder – umso wichtiger in Corona-Zeiten – Desinfektionsmittel spenden. Allerdings, das machte sie deutlich, ist das kein notwendiger Mangel von Algorithmen, sondern ein Problem des programmierenden Menschen. Wenn lernfähige Software mit den falschen Daten gefüttert wird, kann sich eine diskriminierende Wirkung sogar noch verstärken. Allerdings, so Hustedt, ist diskriminierende Technik kein IT-Problem. Frauen hatten lange ein höheres Risiko, bei Autounfällen zu sterben. Die Testpuppen, als die Crash Test Dummies, so berichtete sie, entsprachen männlichen Körpermaßen. Und das hat nichts mit KI zu tun.

Überhaupt: Künstliche Intelligenz. Carla Hustedt vermeidet den Begriff. Ähnlich hatte schon Philip Becker, Laser Vision GmbH, in der Techtide-Einstiegssession am Morgen argumentiert. Von Intelligenz kann bei Software eben nicht die Rede sein: Es ist Software, die die menschliche Intelligenz nachahmt und dabei effizienter und fairer zu Ergebnissen kommt. Nicht mehr und nicht weniger Ein algorithmisches System eben, das in einem bestimmten, vom Menschen vorgegebenen Rahmen funktioniert. Und noch meilenweit davon entfernt ist, so etwas wie Bewusstsein zu bekommen. Eben nicht so etwas wie Magie, das sei im Hinblick auf Künstliche Intelligenz das falsche Narrativ, so Hustedt. Auch hier geht es darum, in der öffentlichen Wahrnehmung die Luft rauszulassen. Wie nahezu jede Technik ist auch KI nicht von vornherein gut oder schlecht.

Und dann die Anwendungen. Es sind nicht die großen, weltverändernden, um die es geht. Tobias Krafft hob zum Beispiel die Spracherkennung hervor, bei der es in den vergangenen Jahren große Fortschritte gegeben habe. Das ermögliche Menschen mit Einschränkungen eine größere Teilhabe am Leben, weil sie nur mit der Stimme Geräte steuern können. Ebenso Übersetzung: Das habe während der Pandemie die Weitergabe von Informationen in unterschiedlichen Sprachen erleichtert. Carla Hustedt nannte die Vergabe von Kita-Plätzen als mögliches Anwendungsfeld, um hier zu mehr Fairness zu kommen.

Beide, Hustedt und Krafft, halten eine breit angelegte Diskussion über KI in der Zivilgesellschaft für erforderlich, über die Medien, aber auch beispielsweise in den Kommunen oder – hier gibt es offenbar einiges Interesse – in den Kirchen. Warum also nicht Weiterbildung an diesen Stellen fördern, so Krafft.

Natürlich gibt es auch die großen Wünsche. Carla Hustedt vermisst zum Beispiel eine eigene Vision der Europäer. Die Positionen würden vor allem in Abgrenzung zu den USA oder China festgelegt: Was will man in Europa nicht? Stattdessen solle man lieber festlegen, was denn in der EU gewollt sei. Auch die Macht der Plattformen ist ein Thema: Die bislang dort gesammelten Daten zugänglich zu machen, das wäre ein weiterer großer Schritt. Und dazu passt die Forderung nach einer vielfältigen Algorithmik: Keine Monopole, sondern die Kultivierung einer vielfältigen KI-Landschaft, auch mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts.

 

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