In diesen Zeiten müssen Wirtschaft und Bundeswehr ihre Zusammenarbeit vor und in einer militärischen Krise ziemlich schnell neu lernen. Das machte Oberst Dirk Waldau vom niedersächsischen Landeskommando der Bundeswehr in der IHK Hannover nur allzu deutlich: Unternehmen müssen sich nicht nur mit ihrer eigenen Sicherheit, sondern auch mit der des Landes beschäftigen.
Es ist vielleicht dieser eine Satz, der die Unternehmerinnen und Unternehmer in der IHK Hannover aufhorchen lässt: „Nicht mehr ganz Frieden, aber auch noch nicht Krieg.“ Der Satz ist nicht neu. Gesagt hat ihn General Carsten Breuer Ende 2022, wenige Monate, bevor er Generalinspekteur der Bundeswehr wurde und damit Deutschlands ranghöchster Soldat. Wobei Breuer damals mit seiner Aussage auch Kritik auslöste.
Aber diesen Satz, der um so vieles fassbarer ist als ein spröder Begriff wie „veränderte Bedrohungslage“, trägt Dirk Waldau Anfang September in die IHK-Vollversammlung. So verortet der Bundeswehr-Oberst, der als Kommandeur des Landeskommandos Niedersachsen für die zivil-militärische Zusammenarbeit zuständig ist, die Lage zweieinhalb Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine: Die Zeitenwende kommt nicht mehr nur als Energiekrise oder über Embargos oder Sanktionen in der Wirtschaft an. Sondern als Aufforderung, mit Blick auf die Sicherheit selbst aktiv zu werden.
In Arbeit: der Operationsplan Deutschland
Waldau bewegt sich in seinem Vortrag auf der Grundlage des Operationsplans Deutschland. Der wird seit gut eineinhalb Jahren ausgearbeitet und sieht unter der Überschrift „Deutschland gemeinsam verteidigen“ den Schutz des Landes ausdrücklich als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Oder, wie es ein am Operationsplan beteiligte Marineoffizier sagte: „Wir werden unsere Aufgabe nur mit Unterstützung der Länder, der Behörden und der Wirtschaft erfüllen können.“ Was auch Oberst Dirk Waldau vor der IHK-Vollversammlung betonte.
Nicht mehr ganz Frieden: Damit ist gemeint, was zuletzt immer mehr auch in die Schlagzeilen geriet. Zum Beispiel die Warnung vor Brandsätzen in Luftfracht. Neben Sabotage geht es um Cyberattacken, Desinformation oder Spionage. Waldau warnt vor „Anbahnungsversuchen“ oder davor, dass kritische Infrastruktur durch Drohnen ausgespäht wird – zuletzt etwa Chemieanlagen in Brunsbüttel. „Braucht die Industrie eine Drohnenabwehr?“, fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Und verwies in diesem Zusammenhang auf kommerzielle Angebote, die bereits auf dem Markt sind. Nach Medienberichten vhat sich seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine auch die Zahl der Angriffe auf die Computersysteme auf Häfen in Norddeutschland – also auf Teile der kritischen Infrastruktur – vervielfacht.
Die Gefährdungen sind da
Dirk Waldau spricht von „subkutaner Bedrohung“ und damit einer Situation, die vom Grundgesetz nicht erfasst wird. Denn das kennt nur die Feststellung des Verteidigungs- oder des Spannungsfalls. Aber unabhängig davon: Die Gefährdungen sind da. Waldau rief Unternehmen oder diejenigen, die kritische Infrastruktur betreiben, dazu auf, in dieser Situation umso mehr für ihre Sicherheit zu sorgen. Sensibilität gegenüber verdächtigen Aktionen, Selbstschutz – auch des einzelnen Bürgers, der einzelnen Bürgerin für sich selbst – und gegenseitige Hilfe: Das sind aus seiner Sicht aktuelle Notwendigkeiten. Im Sinne des Operationsplans Deutschland: „Der Staat allein wird es nicht richten.“
Die Zusammenarbeit von Bundeswehr, Unternehmen und Behörden ist aber auch – oder sogar erst recht – bei einer militärischen Auseinandersetzung unverzichtbar. Etwa bei einem Angriff auf Nato-Mitgliedsstaaten. Dann, so Waldau, würd die norddeutsche Tiefebene zu einer zentralen Logistik-Drehscheibe. Und das auch wegen der – jedenfalls ursprünglich – leistungsfähigen Infrastruktur: Straße, Schiene, See- und Flughäfen.
Tanken, rasten, verpflegen, reparieren: Das alles muss organisiert werden – mit entsprechenden Einschränkungen für die zivile Wirtschaft. Auch, und davor kann man die Augen nicht verschließen, müssen im schlimmsten Fall Versorgung und Transport von Verletzten oder Flüchtlingen ebenso wie ohne Zweifel von Gefallenen geleistet werden. Auch darauf wies Dirk Waldau hin.
Gelbe Schilder mit Lastenklassen: Früher allgegenwärtig
Übrigens: Seit 2009 wurden die gelben Schilder vor Brücken, die militärische Lastenklassen – also Gewichtsobergrenzen – anzeigten, nach und nach abgebaut. Zwar sind die Brücken nach wie vor entsprechend eingestuft, sichtbar ist das aber nicht mehr. Und noch eine Randbemerkung: Ziemlich genau 40 Jahre, nachdem die Bundeswehr Flugzeug-Starts und -Landungen auf einer Autobahn bei Ahlhorn testete, wurde das jetzt wieder geübt – allerdings in Finnland.
Bis in die 1980er Jahre hinein waren auch die Industrie- und Handelskammern in die Verteidigungsorganisation eingebunden. So gab es jeweils Referenten, die dafür zuständig waren. Unter anderem ging es um die Festlegung, was in einer Region zur kritischen Infrastruktur gehört. Und auch in Nato-Manöver waren die IHKs eingebunden.
Auf die lange Bank schieben lassen sich die Fragen rund um die nationale Sicherheit nicht. Auch das stellten Waldaus Worte vor den Unternehmerinnen und Unternehmern in der IHK klar. Die Frage der nationalen Sicherheit, die Rolle der Wirtschaft auf der Grundlage des Operationsplans Deutschland in die Öffentlichkeit zu tragen, das sei allerdings in erster Linie Aufgabe der Politik. Allerdings lieferte der Oberst auch selbst ein Statement, um auf die die Dringlichkeit des Themas hinzuweisen. Zur Überraschung mancher kam er nicht in der grauen Ausgehuniform in die IHK: „Nicht umsonst“, sagte er, „stehe ich im Feldanzug vor Ihnen.“