Es begab sich in einer kleinen Stadt, nicht allzu weit entfernt von Hannover. Da kam eine Mutter, Ratsfrau ihres Zeichens, mit ihrem Kinde, einem Säugling, und wollte sich mit den anderen Stadträtinnen und Stadträten beraten in einer Zusammenkunft, bei der kein anderer und keine andere als die Gewählten dabei sein durften. Und wurde abgewiesen.
Übersetzt: Die Ratsfrau durfte nicht zusammen mit ihrer Tochter an einer nichtöffentlichen Sitzung teilnehmen. Weil man befürchtete, dass mit dem nur einige Wochen alten Kind die Nichtöffentlichkeit verletzt sein könnte, mit möglichen Auswirkungen auf die Rechtssicherheit der Beschlüsse.
Und es ward berichtet, dass alle, auch die Ratsfrau selber, die Köpfe wiegten und in Zustimmung nickten.
Nein, wir wollen natürlich mit dieser Einleitung keine Schilda-Assoziationen wecken. Dazu ist die Sache viel zu wichtig. Sondern schlicht Aufmerksamkeit erheischen. (Was wir bis in den vierten Absatz dieser Glosse ja auch geschafft haben.) Und es kommt auch kein Science-Fiction-Einwurf, dass mit irgendeiner von Elon Musk finanzierten Technik in ein paar Jahren der Verlauf der nichtöffentlichen Ratssitzung einer niedersächsischen Kleinstadt aus den Synapsen eines seinerzeit mithörenden Kindes heraus- und in die Öffentlichkeit hineingezerrt werden könnte.
Sondern wir nehmen das Thema ernst. Mag ja sein, dass tatsächlich die Gefahr besteht, dass ein Ratsbeschluss wegen der Säuglingszuhörerschaft einkassiert werden könnte. Dass es entsprechende Regelungen gibt. Fällt das aber dann nicht unter den bürokratischen Overkill, von dem Ministerpräsident Stephan Weil im August bei einer Pressekonferenz sprach? Verbunden mit dem Stoßseufzer: „Was sind wir kompliziert!“
Oder ist das Ganze nur übervorsichtig? Könntejaseindassundwerweißschonobnicht … Das wäre dann Bürokratie in den Köpfen. Wirtschaftsminister Olaf Lies hatte in der gleichen Pressekonferenz zum Bürokratieabbau auf das höchst ausgeprägte Sicherheitsdenken hingewiesen, dass durch die Fülle der Vorschriften entstanden ist.
Natürlich: Die Kindsteilnahme an einer nichtöffentlichen Sitzung ist keine Zukunftsfrage. Aber dass niemand sich so richtig darüber zu wundern scheint, vielleicht schon. Man muss sich doch klar machen, worum es eigentlich geht: Der Sinn einer nichtöffentlichen Sitzung liegt mit Fug und Recht darin, Verlauf und Diskussion intern zu halten. Und nicht darin, Säuglinge fernzuhalten. Die plaudern schon nichts aus. Bürokratie hat Ziele, und das ist auch gut und wichtig so. Aber genau um diese Ziele muss es gehen. Und deshalb sollte man über solche Fälle nicht einfach hinweggehen. Was wir hiermit nicht getan haben.
(pm)
Ursprünglich als Wirtschaftspolitisches Streiflicht, später in einer eigenen Rubrik „Streiflichter“: Glossen begleiten die Niedersächsische Wirtschaft von Anfang an und hatten schon in Vorgänger-Publikationen ihren Platz. An dieser Stelle finden Sie jeden Freitag eine Glosse in dieser Tradition.