Das Thema „Berufliche Orientierung von Schülerinnen und Schülern“ stand im Fokus einer Veranstaltung, zu der die IHK Hannover Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg im Kontext der Woche der beruflichen Bildung in Niedersachsen am 7. März in die IHK eingeladen hatte. Zum Frühstück mit der Ministerin kamen knapp 40 Unternehmerinnen und Unternehmer aus allen Teilen der IHK-Region in der IHK zusammen.
„Jugendliche wollen ihren beruflichen Weg gehen, aber sie wissen eigentlich gar nicht, genau, was es alles an Möglichkeiten gibt“, stellte IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt bei der Veranstaltung „Berufliche Orientierung von Schülerinnen und Schülern“ in der IHK Hannover fest. Aus diesem Grund hätten die Industrie- und Handelskammern die Kampagne „Können. Lernen“ gestartet – „damit informieren wir bundesweit unter anderem auf TikTok und in Jugendsprache über das Thema berufliche Ausbildung.“
Berufsorientierung aus Sicht des Kultusministeriums
„Tatsächlich ist das Thema Berufsorientierung eines, das uns sehr antreibt, stellte Julia Willie Hamburg fest. Etwa 20 Prozent der jungen Menschen in Niedersachsen verlassen der Ministerin zufolge die Schule ohne Abschluss. Der vor fünf Jahren vom Kultusministerium verabschiedete Erlass zur stärkeren Berufsorientierung an Schulen sei eine Zäsur gewesen – und werde nun unter anderem auf Basis der Antworten von 1000 Unternehmen evaluiert. „Das ist sehr wertvoll für uns, weil wir daraus Erkenntnisse ziehen können“, so Hamburg.
Augenfällig sei beispielsweise die mangelnde berufliche Orientierung an Gymnasien: „Etwa die Hälfte der jungen Menschen an Gymnasien sagt: Ich bin beruflich noch nicht orientiert“, so Hamburg. Auch Henning Kautz von Lenze stellte fest: „Das Thema Berufsorientierung an Gymnasien funktioniert überhaupt nicht.“ Der Leiter Education & Training hat regelmäßig Gespräche mit Studienabbrechern, die häufig keine Berufsorientierung hätten und im Studium frustriert seien. Dadurch verlieren wir „viele Menschen für die Wirtschaft, weil sie falsch studieren.“ Der Experte forderte von der Politik mehr Methodentrainings in den Schulen – und zwar schon in der Grundschule.
Aber selbst in den berufsbildenden Schulen hätten junge Menschen – so Julia Willie Hamburg – häufig kaum Orientierung. Ein wichtiger Punkt, den berufsbildenden Schulen aufgreifen müssten. Mit dem neuen Erlass zur Berufsorientierung solle das Thema noch stärker fokussiert werden. Laut Hamburg gibt es leider einen großen Anteil Jugendlicher, die „wegen fehlender Kompetenzen durchs Raster“ fielen. Dies gelte es zu verändern.
Dr. Ariane Reinhart, Vorständin für Personal und Nachhaltigkeit bei Continental, berichtete, dass sich Hauptschüler häufig nicht trauten, sich bei Conti zu bewerben. Als Antwort darauf habe der Konzern eine Kampagne mit dem Motto „Wir haben für jeden Schulabschluss den passenden Ausbildungsberuf“ gestartet. In Stellenanzeigen für Auszubildende gibt das Unternehmen keine Schulabschlüsse vor. Im Continental Institut für Technologie und Transformation (CITT) bietet das Unternehmen Teilqualifizierungen für junge Menschen ohne Berufsabschluss und für ältere Beschäftigte, die keine Berufsausbildung haben, an. „Lernen lernen – da haben wir Erfahrung, die stellen wir gern zur Verfügung.“
Ausbildung attraktiver machen
Kritisch sieht Dr. Ariane Reinhart, dass es im letzten Jahr erstmals mehr Studienanfänger als Auszubildende gegeben hat. Gut ausgebildete Menschen – das sei aber das Ressort, mit dem Deutschland im internationalen Vergleich punkten könne und forderte von der Politik unter anderem, die Ausbildungsvergütung steuerfrei zu stellen.
Die Ausbildung attraktiver machen – das möchte auch die IHK, und zwar mit einem Azubi-Ticket für den ÖPNV und mit Wohnungen für Azubis analog zu Studentenwohnheimen, erklärte Silke Richter, Abteilungsleiterin Berufsbildung bei der IHK Hannover. Auch die Berufsbilder werden weiterentwickelt und modernisiert. So ist das Thema Nachhaltigkeit inzwischen standardmäßig in den Berufsausbildungen verankert.
Azubi-Recruiting
Wie hilfreich Ausbildungsmessen sind, zeigte Abigale Gillian Guevarra. Die junge Frau informierte sich auf Berufsmessen und kam so auf ihren jetzigen Ausbildungsberuf als Tourismuskauffrau bei TUI Deutschland. Abigale Gillian Guevarra engagiert sich auch als IHK-Ausbildungsbotschafterin in Schulen und stellte in diesem Kontext fest. „Ich habe das Gefühl, dass sich Schüler mehr trauen Fragen zu stellen, es gibt keine Angst.“ Leon Laakmann, der eine Ausbildung als Fachkraft im Fahrbetrieb bei der Verkehrsgesellschaft Hameln-Pyrmont absolviert, erläuterte, dass sein Beruf weit mehr beinhaltet „als nur Busfahren.“ Seine Berufswahl begründet er mit einem klaren Argument: „Wir wollen alle die Verkehrswende. Und das geht nur, wenn die Fachkräfte dafür da sind.“
Fagus-GreCon hat laut seinem Geschäftsführer Uwe Kahmann „keine Probleme Auszubildende zu finden.“ Das von der IHK als TOP-Ausbildungsbetrieb zertifizierte Alfelder Unternehmen profitiert einerseits von seinem Status als Weltkulturerbe, spricht aber auch gezielt junge Menschen in den Schulen an, und lädt diese über unterschiedliche Formate – etwa zum Sägen und Feilen in der Ausbildungswerkstatt – ins Unternehmen ein. Der 30-jährige Ausbildungsleiter des Unternehmens schaffe es, so Kahmann, junge Menschen zu begeistern und zu motivieren.
Marietta Kandler-Pralle, Geschäftsführerin der Pralle Logistik GmbH und Marcus Böhm, Geschäftsführender Gesellschafter der Böhm Güterverkehrs GmbH haben mit der 2015 gestarteten Initiative „Logistik macht Schule“ einen guten Weg gefunden, junge Menschen für eine Ausbildung in Logistikberufen zu gewinnen – und zwar in einer Arbeitsgemeinschaft mit weiteren kleinen und großen Mitbewerbern der Branche. „Wir sehen uns in der AG nicht als Konkurrenten, sondern möchten, dass Schülerinnen und Schüler einen Einblick in unsere Branche bekommen“, so Kandler-Pralle. Aber deutlich sei auch, dass man heute mehr auf die Schülerinnen und Schüler zugehen müsse. Marcus Böhm berichtete, dass das Unternehmen bei der langen Nacht der Berufe in Hannover inzwischen bereits in einem halben Zelt die Welt der Logistik zeige. Und zwar mit einem Contest im Palettenstapeln, den – so witzelte Böhm, er trotz seines Alters immer noch gewinne – und weiteren Mitmachangeboten.
Und in Zukunft?
Julia Hamburg erklärte, dass die Basiskompetenzen der Schülerinnen und Schüler künftig stärker ausgebildet werden sollen – und zwar bereits in den Grundschulen. Auch das Thema „Lernen lernen“ müsse stärker vermittelt werden. Auf die Frage eines Unternehmers, dass es äußerst schwierig sei, Lehrerinnen und Lehrer in die Unternehmen einzuladen, und woran dies läge, antwortete die Kultusministerin, dass dies von ihrer Seite ausdrücklich erwünscht sei. Ohne Frage muss auch das Thema Digitalisierung laut der Ministerin in den Schulen mehr Raum einnehmen. Zu beiden Themen arbeitet das Kultusministerium mit dem Wissenschaftsministerium an einer Reform der Lehrerausbildung. Ein gutes Stichwort für Maike Bielfeldt. Die IHK-Chefin fordert, dass das Thema Berufsorientierung bereits im Lehramtsstudium eine Rolle spielen sollte. Außerdem will das Kultusministerium für eine bessere Informationsübersicht und Vernetzung der Akteure sorgen. In diesen Prozess werden auch die niedersächsischen IHKs eingebunden.
Viele Ideen und Ansatzpunkte, um die Berufsorientierung von jungen Menschen zu verbessern. Im Großen und Ganzen einig waren sich die Teilnehmenden in der Runde, wie Julia Hamburg sagte, über eins: „Wenn man die Jugendlichen an dem packt, was ihnen Spaß macht, legen sie ihre Handys und Computer zur Seite.“
Im Anschluss an das Frühstück hat das Kultusministerium in den Räumen der IHK Hannover getagt und Julia Willie Hamburg die Ergebnisse der Evaluation des aktuellen sogenannten „BO-Erlasses“ vorgestellt.