Nun ist die Entscheidung nach wiederholter langer Diskussion endlich gefallen. Der marode Südschnellweg in Hannover wird wie geplant ausgebaut. Ruhe ist damit aber noch lange nicht eingekehrt. Und auch bei zukünftigen Erneuerungsmaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur ist zu erwarten, dass die Widerstände immer größer werden. Für die Wirtschaft sind dies keine guten Aussichten. Die Diskussion um den Südschnellweg – zusammengefasst von Frank Wagner.
Die lange geplante und dringend erforderliche Erneuerung des hannoverschen Südschnellweges zwischen der Hildesheimer Straße und dem Landwehrkreisel soll wie geplant durchgeführt werden. Dies ist das Ergebnis eines Runden Tisches mit dem Bundesverkehrsministerium Anfang Mai in Berlin. Der Weg hierhin war lang und steinig, abgeschlossen wird die emotionale und nicht immer faktenbasierte Diskussion damit allerdings nicht sein. Aber der Reihe nach.
Hintergrund: Wie wurde, was heute ist
Der Südschnellweg in Hannover wurde Mitte der 50er Jahre gebaut und entspricht in seinem Ausbau- und Sicherheitsstandard nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Die Fahrspuren sind zu schmal, ein Mittelstreifen entsprechend der heutigen Sicherheitsvorgaben fehlt und Seitenstreifen sind überhaupt nicht vorhanden.
Ein akuter Handlungsbedarf ergibt sich daraus, dass die vorhandenen Brückenbauwerke marode sind. So kann die Brücke über die Hildesheimer Straße trotz massiver Verkehrsbeschränkungen und Ertüchtigungsmaßnahmen nur noch bis Ende dieses Jahres befahren werden. Die Restnutzungsdauer für weitere Brücken in der Leinemasch ist auf Ende 2024 beschränkt.
Die Planungen zur Erneuerung des Südschnellweges in Hannover laufen seit 2014. Seitdem wurde die Öffentlichkeit in einem Format mit der Bezeichnung Planungsdialog umfangreich beteiligt. Vertreten oder zumindest eingeladen waren hier auch die Umweltverbände. Im Ergebnis wurde weitgehend einvernehmlich eine Tunnellösung im Ostabschnitt unter der Hildesheimer Straße und der Neu- und Ausbau des Westabschnittes mit seinen Brücken vereinbart.
Die Breite der Trasse soll von aktuell rund 14 Meter auf zukünftig 25,60 Meter verbreitert werden. Das ist der sogenannten Regelquerschnitt RQ25. Dabei soll die Hauptfahrspur auf 3,5 Meter und die Überholfahrspur auf 3,25 Meter ausgebaut werden.
Zwischenzeitlich war auch die Planung eines Querschnittes von 31 Metern verfolgt worden, der sich insbesondere aus einem breiteren Mittelstreifen ergeben würde. Zur Verringerung des Eingriffs wurde diese Planung allerdings im Verlauf des Verfahrens verworfen. Die Landesstraßenbaubehörde hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass, es sich bei der jetzt vorgesehenen Variante um die nach den geltenden Vorgaben geringstmögliche Breite gehandelt habe: Man habe keinen eigenen Ermessensspielraum in dieser Frage gehabt.
Seit September 2021 ist das Projekt durch die Region Hannover planfestgestellt. Vier Eilanträge vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg wurden abgewiesen. Auch wenn die Hauptsacheverfahren noch nicht entschieden sind, konnten Anfang 2023 die Bauarbeiten für Tunnel und Behelfsbrücke über die Hildesheimer Straße beginnen.
Warum die Schnellwege so wichtig sind
Da ein Autobahnring fehlt, sind West- und Südschnellweg die zentralen Achsen der westlichen und südlichen Umfahrung Hannovers. Mit aktuell rund 45.000 Fahrzeugen am Tag und einem Schwerverkehrsanteil von gut sechs Prozent ist der Südschnellweg auch für die Wirtschaft das Rückgrat der Mobilität im Süden Hannovers. Gleichzeitig ist das Schnellwegsystem Ausweichstrecke bei Störungen auf der A 2. Entsprechend ist die Leistungsfähigkeit der Schnellwege nicht nur für den regionalen, sondern ebenso für den überregionalen Wirtschaftsverkehr von grundlegender Bedeutung.
Als leistungsfähige und hochwasserfreie Ost-West-Verbindung zwischen A 2 und A 7 schaffen die Schnellwege eine Anbindung des südlichen Hannovers an das übergeordnete Autobahnnetz und somit an die überregionalen Wirtschaftszentren. Dabei wird der Verkehr gebündelt und so eine möglichst geringe Belastung von Stadtstraßen und Anwohnern erzielt.
Erneute Diskussion – Runder Tisch und Expertenrunde
Mitte 2022 hat sich, verstärkt durch den Wahlkampf in Niedersachsen, die Diskussion um das Projekt Südschnellweg deutlich intensiviert. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung wurde vereinbart, sich erneut damit zu befassen.
Während der Tunnelbau unter der Hildesheimer Straße weitgehend akzeptiert ist, werden vor allem für den Westteil durch die Leinemasch Änderungen gegenüber dem Planungsstand von 2021 gefordert. Nachdem die Kritiker massiven Widerstand gegen Baumfällungen und Baumaßnahmen ankündigten, wurde bei einem Runden Tisch mit Kritikern, Befürwortern, dem Land sowie dem Bundesverkehrsministerium die Einrichtung einer Expertengruppe vereinbart, die Möglichkeiten suchen sollte, den Eingriff zu reduzieren und Auswirkungen auf Umwelt und Klima sowie das Naherholungsgebiet zu verringern. Alle Überlegungen wurden dabei unter den Vorbehalt gestellt, dass die Änderungen keinen erneuten Planfeststellungsbeschluss erforderlich machen dürfen, da dies eine jahrelange Verzögerung des Projektes und damit aufgrund des Zustandes der Brücken auch die Sperrung des Südschnellweges für den Verkehr bedeuten würde.
Die Expertenrunde, die im Mai dieses Jahres ihren Abschlussbericht vorlegte, fand in zentralen Fragen zu keinem Konsens und hat ihrem Auftrag entsprechend die unterschiedlichen Positionen und Einschätzungen in einem Ergebnisbericht zusammengestellt. Der war für den folgenden Runden Tisch gedacht, an dem das Vorhaben noch einmal mit allen Beteiligten diskutiert werden sollte.
In der Expertenrunde gab es vor allem unterschiedliche Meinungen dazu, ob die Reduzierungen des Fahrbahnquerschnittes eine Änderung des Planfeststellungsbeschlusses und eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung erfordern würde. Uneins war sich das Plenum auch in den grundsätzlichen Fragen, ob und inwieweit Änderung des Fahrbahnquerschnittes aufgrund bestehender Richtlinien überhaupt rechtlich möglich seien, wie sich der Verkehr zukünftig entwickeln werde und was dies aus fachlicher Sicht für die Ausbaustandards bedeute. Geeinigt hat man sich dagegen auf die Prüfung zusätzlicher Lärmschutz- und Ausgleichsmaßnahmen und in der Frage nach einem Radweg.
Aus Sicht der Kritiker des Projekts ergebe sich aus dem zwingend erforderlichen Klimaschutz und der angestrebten „Verkehrswende“ die Notwendigkeit, den Straßenverkehr deutlich zu reduzieren. Das bedeute, so die Kritiker, dass generell Ausbaumaßnahmen der Straßeninfrastruktur nicht mehr erfolgen sollen. Darüber hinaus sei der Eingriff in die Böschungsvegetation, die aus zum Teil das Landschaftsbild prägenden großen Bäumen bestehe, aufgrund von Klimaschutz und Erhaltung des Landschaftsbildes unbedingt zu verhindern. Entsprechend müsse auf die Standstreifen verzichtet werden.
Gefordert wurde deshalb von den Kritikern eine reine Sanierung im Bestand ohne Anpassung der Fahrbahnbreiten an die heutigen Standards. Alternativ wurde eine gewisse Anpassung an heutige Fahrbahnbreiten im Rahmen des vorhandenen Platzes auf der vorhandenen Dammkrone vorgeschlagen. Allerdings war sich die Expertenrunde nicht einig darüber, ob dies technisch möglich wäre und ob dadurch die Böschungsvegetation tatsächlich erhalten werden könnte.
Im Rahmen eines zweiten Rundes Tisches Anfang Juni 2023 wurde von Politik und den Vertretern des Bundesverkehrsministeriums der Ergebnisbericht der Expertenrunde bewertet. Auf dieser Basis wurde entschieden, dass der Südschnellweg wie planfestgestellt ohne Änderungen in der Breite ausgebaut werde, da nur so die Gefährdung des Planfeststellungsbeschlusses vermieden werden könne. Allerdings wurde von der niedersächsischen Politik auch geäußert, dass aus heutiger Sicht die Planung anders aussehen würde. Der Runde Tisch ist damit nicht gescheitert, sondern hat seinen Auftrag erfüllt, die Diskussion noch einmal aufzugreifen und zu einem Ende zu bringen.
Bewertung aus Sicht der IHK Hannover
Auch aus Sicht der IHK Hannover wäre bei Änderungen der planfestgestellten Breite mit größter Wahrscheinlichkeit ein viele Jahre dauerndes Änderungsverfahren des Planfeststellungsbeschlusses nötig, da sich unter anderem durch Nothaltebuchten statt Standstreifen geänderte Betroffenheiten ergeben und damit eine neue Abwägung erfolgen müsse. Auch der Lärmschutz müsste bei anderen Fahrbahnbreiten völlig neu gerechnet werden.
Beim geplanten Ausbau des Südschnellweges handelt es sich zudem nicht, wie immer wieder behauptet, um eine Kapazitätserweiterung, sondern um einen reinen Ersatzneubau nach heutigen Bau- und Sicherheitsstandards.
Für die Wirtschaft ist eine funktionierende bedarfsgerechte Verkehrsinfrastruktur unverzichtbar. Personen und Güter müssen transportiert werden. Es ist richtig, dass erhebliche Anstrengungen und Maßnahmen für den Klimaschutz ergriffen werden müssen. Das ändert aber nichts daran, dass auch auf längere Perspektive ein erhebliches Verkehrsaufkommen auch auf der Straße vorhanden sein wird, das den Ersatzneubau der Schnellwege zwingend erforderlich macht. Aktuell liegt der Anteil der Straße an der Güterverkehrsleistung in Deutschland bei rund 72 Prozent. Leistungsfähige Alternativen, die wesentliche Teile des Verkehrs aufnehmen könnten fehlen gerade im Güterverkehr. Und auch die Planungsprozesse beim Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur kommen viel zu langsam voran. Die aktuellen Verkehrsprognosen für den Bund gehen von weiterhin stark steigendem Güterverkehr und leicht steigendem Individualverkehr auf der Straße aus. Entsprechend ist auf absehbare Zeit eine wettbewerbsfähige Wirtschaft auf ein leistungsfähiges und schnelles System bei der Fernstraßeninfrastruktur angewiesen.
Der geforderte Verzicht auf Standstreifen entspricht nicht den aktuellen Richtlinien und wäre lediglich ausnahmsweise zulässig. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat bei der Ablehnung der Eilanträge gegen den Südschnellweg ausdrücklich bestätigt, dass der vorgesehene Querschnitt selbst unter der Voraussetzung erheblich geringerer Verkehrsmengen korrekt gewählt sei. Ohne Standstreifen wäre das Sicherheitsniveau deutlich verschlechtert. Hinzu kommt, dass bei Störungen wie Baustellen der Verkehr deutlich stärker beeinträchtigt wäre. Bei einem teuren Ersatzneubau dies nicht zu berücksichtigen, erscheint auch ökonomisch wenig sinnvoll. Vor allem aber kann durch den Verzicht auf Standstreifen die zentrale Forderung der Kritiker nach Erhalt der Böschungsvegetation gar nicht erreicht werden, da diese im Rahmen der Bauarbeiten zwingend entfernt werden müsste.
Die Forderung nach einer reinen Sanierung im Bestand ist aus Sicht der Wirtschaft inakzeptabel. Nicht nur, dass zu schmale Fahrbahn den Verkehrsablauf und die Verkehrssicherheit beeinträchtigen würden: Auch der Neubau der Brücken wäre dann nur im sogenannten „Vortriebverfahren“ mit jahrelanger Sperrung des Schnellweges möglich.
Als Beleg für sinkende Verkehr und einen deshalb nicht notwendigen Ausbau des Südschnellweges sind in den letzten Wochen in der Presse Zahlen einer Verkehrszählung veröffentlicht worden, die einen Rückgang des Verkehrs von knapp 49.000 Fahrzeugen am Tag im Jahr 2010 auf knapp 43.000 Fahrzeugen 2021 zeigen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass hiermit nur scheinbar das Argument sinkenden Verkehrs bestätigt wird. Richtig ist ein erheblicher Rückgang von 2010 bis 2015, ein leichter Anstieg bis 2019 und dann wieder ein Rückgang ins Corona-Jahr 2021. Auffällig bei diesen Zahlen ist allerdings, dass der starke Rückgang, der von 2010 bis 2015 stattgefunden hat, an anderen Stellen des Schnellwegenetzes nicht auftritt und dass weiterhin die coronabedingten Rückgänge zwischen 2019 und 2021 am Südschnellweg niedriger als im übrigen Schnellwegnetz sind. Die Erklärung ist sehr einfach: 2012 wurde die Südschnellwegbrücke für den Schwerverkehr gesperrt und 2013 die Brücke von zwei auf eine Fahrspur reduziert – mit entsprechenden Überlastungssituationen in den Hauptverkehrszeiten.
Dies lässt nur einen Schluss zu: Der schlechte Erhaltungszustand des Südschnellweges mit seiner seit 2012 bzw. 2013 deutlich eingeschränkten Nutzbarkeit hat dazu geführt, dass er seiner Bündelungsfunktion nicht mehr gerecht werden konnte. Als Folge weicht der Verkehr bereits heute auf anderen Strecken aus, die dafür aber weder vorgesehen noch geeignet sind und zu einer vermeidbaren Belastung der dort lebenden und arbeitenden Menschen führen. Im Rahmen der geringeren Verkehrsbelastungen während der Coronazeit hat es eine gewisse Rückverlagerung gegeben. Dies zeigt deutlich die Notwendigkeit für den an die heutigen Standards angepasste Ersatzneubau des Südschnellweges.
Rechtsstaatliche Verfahren nicht in Frage stellen
Das Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Südschnellweges ist 2021 im Zusammenspiel von Politik, Verwaltung und Rechtsprechung mit weitgehender Beteiligung der Öffentlichkeit und unter Abwägung aller Belange abgeschlossen worden. Es ist deshalb kritisch, im Nachgang dieses Verfahren und damit sowohl die fachliche Kompetenz der Straßenbauverwaltung als auch die demokratisch legitimierten Prinzipien der Infrastrukturplanung in Frage zu stellen. Wie aufgeheizt die Stimmung bei manchen Kritikerinnen und Kritikern der aktuellen Schnellwegbau-Pläne ist, lässt sich an dem Versuch erkennen, Fäkalien vor dem Gebäude der Landesstraßenbaubehörde abzuladen.
Auch inhaltlich ist die Diskussion schwer nachvollziehbar, da nur durch grundlegende Einschränkungen der Verkehrssicherheit, also durch den Verzicht auf Seitenstreifen sowie schmale, nicht richtlinienkonforme Fahrspuren, die Ziele der Kritiker erreichbar sind. Da es sich aber neben den Sicherheitselementen um einen reinen Ersatzneubau ohne Kapazitätserweiterung handelt, läuft die Kritik ins Leere, dass dieses Projekt dem Klimaschutzzielen entgegenläuft. Der Erhalt der Verkehrsinfrastruktur durch solche Erneuerungsmaßnahmen ist auch ausdrückliches Ziel der Koalitionsverträge sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene. Bisher ist diese Position durch einen großen gesellschaftlichen Konsens getragen.
Dass Zielkonflikte bestehen, ist unstrittig, aber auch die Verkehrssicherheit ist ein wesentliches Ziel. So ist die Forderung nach der „vision zero“, also der Vermeidung von Unfalltoten im Straßenverkehr, Inhalt des Koalitionsvertrages in Niedersachsen.
Kritisch ist der Ablauf der Diskussion aber auch aus einem anderen Grund: Das gesamte Schnellwegenetz und insgesamt 35 Brücken sind marode und müssen – teilweise sehr dringend – erneuert werden. Die zu erwartende und bereits begonnene Diskussion wird sicher sehr schwierig werden. Dass gute Lösungen für Klima- und Umweltbelange notwendig sind, ist unstrittig. Ebenso wichtig ist aber auch ein klares Bekenntnis der Politik für diese notwendige Verkehrsinfrastruktur. Denn nur durch deren leistungsfähigen Erhalt kann schwerer Schaden vom Wirtschaftsstandort Region Hannover abgewendet werden.