Der TÜV Nord bewegt sich mitten in Zeitenwende-Themen: Mobilität, Energie, IT-Sicherheit und Bildung. Damit hat der Technologie-Konzern 2022 einen Rekordumsatz geschafft. Aber der TÜV wäre nicht der TÜV ohne Vorschläge zum Umgang mit Technik. Beispiel: Geothermie.

 

„Mehr als 25 Prozent der in Deutschland benötigten Wärmeenergie könnten nachhaltig, schnell und vergleichsweise einfach durch Geothermie-Heizwerke bereitgestellt werden.“ Das erklärte Dr. Dirk Stenkamp, Vorstandschef des TÜV Nord, bei der Bilanzpressekonferenz Ende März. Gemeint ist die Nutzung der Erdwärme in großen Tiefen. Entsprechend fordert Stenkamp eine bundesweite Allianz, um diese Form der Wärmeversorgung voranzutreiben. Derzeit liefen beispielsweise Untersuchungen im Raum Münster. Innerhalb von drei Jahren könne man die Umgebung der 80 größten deutschen Städte untersuchen, so Stenkamp. In diesen Region sei die Nutzung von Wärme aus der Tiefe der Erde sinnvoll. Der TÜV Nord verfügt über 15 Fahrzeuge, so genannte Vibro-Trucks, zur seismischen Bodenerkundung, die weltweit im Einsatz sind, und zwar nicht nur auf der Suche nach Erdwärme.

Zugang zu Fahrzeugdaten

Die Geothermie Allianz ist nicht der einzige Vorschlag des TÜV-Chefs.  Stenkamp sprach sich auch für einen breiten Zugang zu Fahrzeugdaten aus und regte unter der Bezeichnung TrustCenter eine Plattform an, auf der sie datenschutzkonform verfügbar seien. Bisher beanspruchen die Fahrzeugherstellen den Zugriff darauf. Der TÜV habe aber natürlich ein ureigenstes Interesse an diesen Daten, um auch künftig eine umfassende  Hauptuntersuchung zu ermöglichen, wie Stenkamp betonte. Aber auch für Versicherungen seien die Informationen wichtig.

Weiterer Vorschlag des TÜV-Chefs: Der Prüfkonzern könne Politik und Behören unterstützen, um Genehmigungsverfahren schneller zu machen und damit die Energiewende zu beschleunigen. Der TÜV Nord war auch am Aufbau der Flüssiggas-Infrastruktur in Deutschland beteiligt, die als Vorlage für das oft beschworene „Deutschland-Tempo“ bei der Umsetzung technischer Vorhaben gilt.

Über 14.000 Beschäftigte weltweit

Stenkamps Vorschläge machen deutlich, in welchen Bereichen der TÜV Nord heute mit über 14.000 Beschäftigten weltweit in 86 Konzerngesellschaften, davon 44 außerhalb Deutschland, tätig ist. Die Kfz-Hauptuntersuchung hat weiterhin eine große Bedeutung. Sie ist im Bereich Mobilität angesiedelt, der im vergangenen Jahr insgesamt gut ein Drittel zum Rekordumsatz von knapp 1,5 Mrd. Euro – rund 6 Prozent mehr als 2021 – beigetragen hat. Noch größeres Gewicht haben Dienstleistungen für die Industrie, mit denen der TÜV rund 628 Mio. Euro umsetzte.

Dr. Dirk Stenkamp.

Weitere Geschäftsbereiche sind Ingenieurleistungen und Rohstoffe, Bildung, Luft- und Raumfahrt sowie IT. Damit arbeitet der TÜV in Bereichen, die heute eine zentrale Bedeutung haben: Mobilitätswende, Energiewende und Energieversorgung, lebenslanges Lernen, Informationstechnik. „Unser Tätigkeitsfokus spiegelt stark die Zeitenwende in Deutschland und Europa wider“, so Dirk Stenkamp.

Bäume zählen mit Satellitenfotos

Bezeichnend für die Arbeitsgebiete des TÜV Nord sind auch die jüngsten Zukäufe von Unternehmen. So übernahm der hannoversche Konzern Anfang Februar die Mehrheit an den Halbleiter- und Elektronikspezialisten HTV und HTV Conservation mit Sitz in Bensheim. Damit entstehend nach Angaben des TÜV innerhalb der Gruppe ein führender europäischer Anbieter für automatisierte Halbleiter-Prüfung und -Programmierung. Die HTV Conservation bringt dabei ein von ihr entwickeltes Verfahren ein, das den Alterungsprozess von mikroelektronischen Bauteilen stoppt. Halbleiterchips können so bis zu 50 Jahre funktionsstabil konserviert werden. Außerdem wurde ein schottisches Unternehmen gekauft, dass über allgemein zugängliche Satellitenbilder über einen KI-Algorithmus Bäume zählt. Wichtig für CO2-Kompensationsmaßnahmen: Gibt es die Bäume wirklich, die dabei angerechnet werden? Oder werden Gebiete mehrfach verkauft?

Für solche Zukäufe ist der TÜV auch künftig gut ausgestattet, ebenso wie für das angestrebte organische Wachstum. Das machte Finanzvorstand Jürgen Himmelsbach deutlich. Seine Schlüsselwörter für 2022: stabil und solide. Das Jahr sei herausfordernd gewesen, der TÜV aber „stabil“ hindurchgekommen. Das Ebit stieg um knapp 5 Prozent auf 76,6 Mio. Euro. Finanziell sei der Konzern „solide“ aufgeststellt, so Himmelsbach. Die Corona-Lockdowns in China hätten den TÜV belastet, ebenso die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine. Selbst vertreten ist der Konzern in beiden Ländern aber nicht. Zwar sei man in Osteuropa stark, allerdings mit Ausnahme Russlands. Und aus der Ukraine habe man sich bereits nach der Annexion der Krim 2014 zurückgezogen, die Beschäftigten in die TÜV Nord Bulgaria übernommen.

Top-Arbeitgeber in Niedersachsen

Im Ringen um Fachkräfte verweist der TÜV Nord auf die erneute Auszeichnung als „Leading Employer“. Damit gehört der Konzern die Spitzengruppe der Arbeitsgebenden in Deutschland. In Niedersachsen liegt die Gruppe sogar auf Platz 1, und unter den Dienstleistungen bundesweit auf Platz 2. Personalvorständin Dr. Astrid Petersen erläuterte ein ganzes Paket an Maßnahmen, mit denen der TÜV für neue Mitarbeitende attraktiv sein will. So würden alle Arbeitszeitmodelle angeboten, ebenso Job-Sharing, und das auch auf Führungsebene. Außerdem setzt der TÜV bei Bewerbungen auf eine möglichst unkomplizierte Kontaktaufnahme unter dem Leitmotiv „Lächeln statt Lebenslauf.“ Gerade für jüngere Menschen, so Petersen, werde aber der Sinn der Arbeit immer wichtiger. Dem wolle man beim TÜV entsprechen.

Überlegungen für eine eigene Hochschule

Der TÜV beschäftigt sich zudem gerade mit der Frage, mit Hochschulen zu kooperieren oder vielleicht sogar eine eigene aufzubauen. Die Entscheidung könnte noch in diesem Jahr fallen, so Petersen. Sie sieht diesen Schritt als Fortsetzung der schon bestehenden Aktivitäten in der TÜV-Akademie. Dabei könne es zum Beispiel um Studiengänge in den Bereiche IT-Sicherheit oder Nukleartechnik gehen.

 

 

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