Die erste Überraschung steckt schon im Titel dieses jetzt erschienenen Werks zur Geschichte und Gegenwart der Elektromobilität: Alternativ mobil – seit 1881? Damals rollte Gustave Trouvé mit seinem elektrisch angetriebenes Dreirad über eine Pariser Ausstellung. Fünf Jahre erst später fuhr mit dem – ebenfalls dreirädrigen – Benz-Patent-Motorwagen der Urahn aller Verbrenner in die Öffentlichkeit. Um 1900 wurden noch fast 40 Prozent aller Autos elektrisch angetrieben – auch das fällt allein beim Durchblättern des Buchs ins Auge. Wie das Rennen der Antriebsformen dann ausging, ist bekannt. Und Zufall oder nicht: Die Arbeit der Autoren Volker Christian Manz und Halwart Schrader wurde unmittelbar nach dem von der EU für 2025 beschlossenen Verbrenner-Aus vorgestellt. Die zweite Überraschung ist der schiere Umfang, und dabei geht es nicht nur um die 440 Seiten mit über 750 Abbildungen. Was für eine Fülle von Ideen, Typen, Formen und Einsatzzwecken haben Manz und Schrader da zusammengetragen. Fast wirkt das Buch übervoll. Dabei ist es zweigeteilt: Die erste Hälfte wird bestimmt von magazinartig aufgebauten Artikeln zu den verschiedensten Themen rund um alternative Antriebe. Aber fast 200 Seiten sind gefüllt mit einem Hersteller-Katalog: Wer hätte erwartet, dass da rund 650 Unternehmen und Konstrukteure zusammenkommen? In dieser Vielfalt kann man sich schon mal verlieren, und so gibt bereits in der Erstauflage einen Anhang mit weiteren Namen und Marken. Der Bogen ist dabei weit gespannt: Auch Mondfahrzeuge – das US-amerikanische LRV und das sowjetische Lunochod – waren Elektromobile, und selbst Fritz von Opels Raketenwagen erhält einen Platz. Die Automobilhistoriker Manz und Schrader beschränken sich also nicht streng auf Akku und E-Motor, obwohl das im Mittelpunkt steht. Hybride, Wasserstoff, Turbine, Oberleitungs-Autos, auch die Ideen zur Nutzung von Atomenergie fallen unter die Rubrik Alternative Mobilität. Erschienen ist das Buch im Hildesheimer Olms-Verlag, der neben seinen angestammten kultur- und und geisteswissenschaftlichen oder historischen Gebieten sowie den Büchern zu Themen rund um das Pferd inzwischen auch eine Reihe mit Titel zu Automobil, Verkehr und Technik herausgebracht hat. Hinter der Veröffentlichung solcher Werke wie dem zur stehen oft gut vernetzt Fachleute, die sich der Kulturgeschichte der Technik verschrieben haben. Dazu gehören im Bereich Hannover-Hildesheim unter anderem Horst-Dieter Görg, der laut Manz und Schrader bei der Idee zu diesem Buch mitgewirkt hat. Oder der hannoversche Autoexperte und Technikbuch-Spezialist Hans-Joachim Weise. Mit diesem „Mammutwerk“, so Weise, werde eine bislang bestehende Lücke in der Technik-Literatur gefüllt. Vieles, was über Elektromobilität geschrieben wurde, stamme bislang aus den 1920er Jahren, als auch in Hannover bei der Waggonfabrik zwei Typen vom Band rollten. Den Hawa-Autos ist im Buch eine Doppelseite gewidmet, und der Kleintransporter hat es sogar auf den Titel geschafft.
Alternativ mobil von 1881 bis morgen: Die Geschichte der E-Mobilität. Von Volker Christian Manz und Halwart Schrader. 440 Seiten, 68 Euro. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2022. ISBN 978-3-487-08605-7
Weitere Beiträge des Fokus-Themas:
KONE: Elektrisierte Flotte
Erfolgsfaktor Ladeinfrastruktur: Wo die Säulen stehen