Zwei niedersächsische Unternehmen sind in diesem Jahr 275 Jahre alt geworden: Die Schlütersche Verlagsgesellschaft in Hannover und die Porzellanmanufaktur Fürstenberg. Ihre Gründungsjubiläen weisen in eine vorindustrielle Aufbruchszeit.
Puderperückenbedeckt, zierlichen Schritts menuettgetaktet mehr noch um sich selbst kreisend als um das Gravitationszentrum eines sonnengleich-staatsidentischen Fürsten: Heile, höfische Rokokowelt, süchtig nach Zerstreuung, gefährlichen Liebschaften oder Porzellan. Hinweggefegt dann nicht nur von der französischen, sondern auch von der industriellen Revolution, in einem Ausbruch ungezügelter Gewalt ebenso wie durch die gezügelte Kraft des Dampfes, was den Kontinent in ein langes bürgerliches, unternehmerisch geprägtes Jahrhundert schob. So die Vorstellung.
Hat Niedersachsen Nachholbedarf bei der Bewahrung seiner Wirtschaftsgeschichte? Am 23. September lädt die IHK Hannover zusammen mit der Stiftung Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv zu einer Tagung ein – Sie sichtet sich insbesondere an Unternehmen, die ihre Geschichtszeugnisse bewahren möchten.
Die Teilnahme ist kostenlos möglich. (Anmeldung)
Doch die Revolutionen waren 1747 noch ein paar Jahrzehnte entfernt. In jenem Jahr entstanden zwei Unternehmen, die heute zu den ältesten in Niedersachsen gehören. Als Herzog Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel die Porzellanmanufaktur in Fürstenberg gründete, gab es davon noch nicht viele in den deutschen Ländern. Eine in Bayern, eine bei Frankfurt, und Meißen selbstverständlich, in Sachsen, wo man August dem Starken eine an Sucht grenzende Vorliebe für das weiße Gold nachsagt. Nur Meißen und Fürstenberg arbeiteten seither durchgehend am gleichen Ort, womit in Niedersachsen die zweitälteste Porzellanmanufaktur Deutschlands zu Hause ist.
Keine Chance, das Auf und Ab über fast drei Jahrhunderte kurz gefasst zu erzählen: Davon, dass es zunächst einige Jahre brauchte, bis das Rezept für brauchbares Porzellan fertig war. Dass neben der Tradition auch der Wandel Teil der Porzellankultur ist und Fürstenberg zum Beispiel in den 20er Jahren Bauhaus-Design aufnahm und eine aktuelle Linie bezeichnend „Datum“ heißt. Dass der Titel einer Königlichen Porzellanmanufaktur nicht auf Hannover, sondern auf Westfalen bezogen war, während napoleonischer Zeit, als Bonapartes Bruder Jérôme von Kassel aus ein Reich regierte, das weit über das Westfälische hinausging.
„Der Staat bin ich,“ sprach noch zuvor der König, der vierzehnte Ludwig in Frankreich. Ich bin das Reich, hätte er wohl nicht gesagt, ebenso wenig andere Fürsten jener Epoche. Die fragten sich später aber immer öfter dies: „Bin ich reich?“ Jener Herzog Karl (oder auch: Carl), der Fürstenberg aus der Taufe hob, brachte weitere Unternehmen in die Spur: 1744 die Spiegelglashütte auf dem Grünen Plan, später Deutsche Spiegelglas AG, heute Teil der Mainzer Schott-Gruppe. Dabei spielte Johann Georg von Langen seine Rolle, ebenso wie beim Aufbau der Porzellanmanufaktur: Dem Titel nach Forstfachmann, aber offenbar viel mehr weitsichtiger Teil einer Expertengremiums, das in Wirtschaftsfragen den Herzog beriet. Der dann 1765 das Herzogliche Leyhaus verfügend gründete, das später als Braunschweigische Staatsbank firmierte und damit das älteste Vorgängerinstitut der Nord/LB ist. Der wiederum gehörte lange die Fürstenberg, bis die Manufaktur in Landesbesitz überging.
Schlütersche Verlagsgesellschaft
Wir bewegen uns damit in der Hochzeit des Merkantilismus: mehr Wirtschaft, mehr Menschen, mehr Reichtum für den Staat. Und jenseits der braunschweigischen Grenzen, im Hannoverschen, ging es ähnlich zu. Womit wir bei der Schlüterschen Verlagsgesellschaft wären, die ebenfalls 1747 gegründet wurde. Die treibenden Kräfte in Hannover aber waren andere. Erst zwei Jahre nach der Gründung tauchte der erste Schlüter im Unternehmen auf, Heinrich Ernst Christoph – vordem hieß es: Landschaftliche Buchdruckerei. Was man nicht mit ländlich übersetzen darf. Im Königreich Hannover, dessen Monarch auswärts regierte, nämlich in Personalunion auch England von London aus, behielten die dem Mittelalter stammenden Landstände als Zusammenkunft von Kirche, Adel und Städten ihre Bedeutung. Sie bestehen bis heute, Landschaften genannt, sechs an der Zahl, als deutschland-, vielleicht europaweite Einmaligkeit. Sie sind nach wie vor Träger der Landschaftlichen Brandkasse, 1750 gegründet, die seit 1918 mit der Provinzial Lebensversicherung die Versicherungsgruppe Hannover bildet, kurz VGH. Die rührigen Braunschweiger übrigens brachten 1754 ebenfalls eine Feuerversicherung an den Start, heute Teil der Öffentlichen Versicherung Braunschweig.
An den merkantilistischen Gründungen sind heute noch die Grenzen zwischen Braunschweig und Hannover erkennbar: Holzminden etwa kam erst 1941 im Tausch von Braunschweig zur Provinz Hannover – es gibt dort keine kommunale Sparkasse, und auch die Braunschweiger leiden darunter, dass die Landessparkasse bis heute Teil der Nord/LB ist.
Zurück zur landschaftlich gegründeten Schlüterschen, heute einer der großen Verlage in Hannover. Das evangelische Gesangbuch, mit dem alles begann, gehört noch immer zum Verlagsprogramm. Auch die Schlütersche war schon Traditionsunternehmen, als Napoleon Hannover besetzte. Sie ist wohl nach der Gilde-Brauerei eines der ältesten bestehenden Unternehmen Hannovers – die Benecke-Kaliko AG von 1718 firmiert heute unter Continental. Allein fast 80 Jahre – bis 1940 – gab die Schlütersche mit dem Hannoverschen Tageblatt eine Zeitung heraus mit bis zu 110000 täglicher Auflage. Die Branchenbuch-Ära begann 1930, und bis heute gehört das Unternehmen zu den Gelbe-Seiten-Verlagen. Adressbücher stehen vielleicht auch wie kaum etwas anderes für die Herausforderung Internet. Heute, nach 275 Jahren, ist die Schlütersche längst in der digitalen Welt angekommen, konzentriert sich immer mehr auf digitale Produkte und Services, wie es in der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Nobilis heißt – neben den Fachtiteln hochglänzendes Aushängeschild des Verlags.
Geschichte ist das, was man daraus macht. Unser Blick zurück ist vielfach gebrochen. Durch manches Klischee. Durch lückenhafte Überlieferung – wobei Niedersachsen da vielleicht besonderen Nachholbedarf hat (mehr im Kasten unten). Vielleicht auch durch die Methoden und Vorlieben der Historikerinnen und Historiker. Und wohl nicht zuletzt präge jede nachfolgende Epoche das Bild der vorangegangenen Zeit. Blickt man aber genauer auf die Ära, in der die Porzellanmanufaktur Fürstenberg, die Schlütersche und andere entstanden, bleibt wenig vom puderperückenhaften Klischeebild einer Rokokowelt. Sondern man taucht in eine Zeit, die sich tastend in Richtung der ersten industriellen Revolution bewegte.