Was Unternehmer aus insolvenzrechtlicher Sicht aktuell beachten müssen und welche Chancen die Umsetzung des EU-Restrukturierungsrahmens bieten kann. Damit Zombies nur zu Halloween unterwegs sind und nicht in der Gestalt von Unternehmen vorkommen.

 

Nachdem der Bundesgesetzgeber auf die Corona-Krise, von der die deutsche Wirtschaft völlig unvorbereitet getroffen wurde, mit dem COVInsAG rückblickend betrachtet hervorragend reagiert hat, ist zu beobachten, dass das gesamte Thema Prüfung der Zahlungsunfähigkeit und Überwachung von Insolvenzantragspflichten von (haftungsgefährdeten) Fremdgeschäftsführern in den letzten Monaten kaum beachtet wurde. Zu erklären ist dies durch die teils schwer nachvollziehbare Berichterstattung zu der Aussetzung der Antragspflichten. Nachdem zunächst bis zum 30. September dieses Jahres die Pflicht zur Stellung von Insolvenzanträgen dann aufgehoben war, wenn das Unternehmen „Corona-Opfer“ war (was an einer Betrachtung der Unternehmenssituation per 31. Dezember 2019 festgemacht wurde), haben sich im vergangenen halben Jahr nahezu alle Unternehmenslenker an diesen Zustand gewöhnt. Gemäß dem am 10. September im Bundestag erörtertem Gesetzesänderungsentwurf der Koalitionsfraktionen hat per 1. Oktober 2020 nun voraussichtlich wieder eine differenzierte Prüfung der Insolvenzantragsgründe zu erfolgen, um eine – für viele Geschäftsführer existenzgefährdende – Haftung und Strafbarkeit zu vermeiden:
Ausgesetzt bleibt voraussichtlich weiterhin bis zunächst 31. Dezember dieses Jahres die Antragspflicht bezüglich des Insolvenzgrundes der Überschuldung. Diese Sonderbehandlung bezüglich der sich aus einer bilanziellen Betrachtung ergebenen Unternehmenssituation erscheint vor dem Hintergrund der großzügig in den vergangenen Monaten gewährten Sanierungskredite sachgerecht. Es wäre nicht verantwortbar, einerseits Unternehmen mit Liquidität auszustatten und sie über die sich hierdurch auf der Passivseite der Bilanz häufenden hohen Positionen schon wenige Monate später zur Insolvenzantragstellung zu zwingen. Ebenfalls prolongiert sind die haftungs – und anfechtungsrechtlichen Erleichterungen gem. § 2 COVInsAG.
Anders sollen die Unternehmen behandelt werden, die es – eventuell trotz verschiedenster Liquiditätsunterstützungen – in den vergangenen Monaten nicht geschafft haben, ihr Geschäftsmodell so zu modifizieren, dass sie nun in der Lage sind, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen, mithin ihre Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Eine weitere Verschonung auch dieser Unternehmen von den Antragspflichten erscheint nach Abwägung mit dem hohen Gut des Vertrauens der Geschäftspartner in die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ihrer Geschäftspartner unverhältnismäßig. Dies auch deshalb, da eine positive Fortbestehensprognose für diese Unternehmen meist kaum darstellbar ist.

Zahlungsunfähigkeit jetzt prüfen
Eine Prüfung der Zahlungsunfähigkeit per 1. Oktober bedarf insbesondere einer gründlichen Betrachtung der regelmäßig in den vergangenen Monaten verhandelten Stundungen. Es ist zu unterscheiden zwischen lediglich geduldeten verspäteten Zahlungen und konkreten Stundungen im juristischen Sinne. Nur letztere dürfen bei der Erstellung eines Zahlungsunfähigkeitsstatus Berücksichtigung finden.
Für diejenigen Unternehmen, die nach einer solchen nunmehr anstehenden genauen Ermittlung ihrer Zahlungsunfähigkeit Zweifel haben, bietet sich neben der „Nachbesserung“ bisher nur mündlich ausgehandelter „schwebender“ Stundungsvereinbarungen zur etwaigen Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit auch die Chance, ihr Unternehmen auf die – größtenteils coronabedingt – veränderten Marktbegebenheiten operativ anzupassen und hierbei auch die Möglichkeiten einer Sanierung unter Insolvenzschutz zu prüfen.
Diese Chance, die der Gesetzgeber deutschen Unternehmen seit 2012 einräumt, ist nach wie vor nicht ausreichend bekannt. Sowohl das – vom Titel her geläufigere – Schutzschirmverfahren gemäß § 270b Insolvenzordnung (InsO) als auch das etwas schlankere Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 270a InsO bieten oftmals hervorragende Möglichkeiten, die im „Hinterkopf der Unternehmers“ meist bereits recht klar ausgereiften Sanierungsideen liquiditätsschonend umzusetzen. So können beispielsweise langfristige Verträge sehr kurzfristig beendet werden, ferner sind möglicherweise als Reaktion auf die veränderten Marktbedingungen unvermeidbare Personalabbaumaßnahmen zu deutlich günstigeren als außerinsolvenzlich zulässigen Konditionen umsetzbar. Schließlich gibt es in beiden Verfahren erhebliche liquiditätsunterstützende Effekte. So werden beispielsweise die Löhne und Gehälter sämtlicher Mitarbeiter für drei Monate von der Agentur für Arbeit über das sogenannte Insolvenzgeld gedeckt, ferner brauchen unter bestimmten Voraussetzungen während bis zu drei Monaten des Verfahrens Umsatzsteuern nicht abgeführt zu werden und möglicherweise können auch mittelfristige Liquiditätsentlastungen bei den Sozialabgaben erreicht werden. Die genauen diesbezüglichen Effekte müssen im Einzelfall mit einem erfahrenen Berater eruiert werden. Mit diesem sollte unbedingt auch der bestmögliche Zeitpunkt für eine Antragstellung ermittelt werden. Nach rund sechs bis acht Monaten wird das sanierte Unternehmen dann in der Regel über einen sogenannten Insolvenzplan saniert unter Billigung seiner Gläubiger in die unternehmerische Freiheit entlassen.

EU-Restrukturierungsrahmen erweitert Möglichkeiten
Ferner bleibt zusätzlich zu diesen bereits bestehenden und in vielen hundert Verfahren erfolgreich praktizierten Sanierungsmöglichkeiten unter Insolvenzschutz zu hoffen, dass gemäß den bisher nur zarten Ankündigungen des Gesetzgebers auch der bereits von der EU vorgegebene präventive Restrukturierungsrahmen in Deutschland nun bald umgesetzt wird. Nach allem, was bisher bezüglich dieses Sanierungsverfahrens bekannt wurde, das aktuell vom Gesetzgeber noch im Detail erarbeitet werden und bis spätestens Mitte 2021 in Kraft treten muss, ist damit zu rechnen, dass die Regelungen geradezu maßgeschneidert zu den coronabedingten Problemen vieler Unternehmen, die Sanierungskredite genutzt haben, passt.
So ist ein rund viermonatiges Moratorium, in dem Unternehmen vor Gläubigerzugriffen geschützt sind, zu erwarten. Anschließend soll ein Restrukturierungsplan erarbeitet werden, über dessen Annahme das jeweilige Unternehmen mit seinen Gläubigern argumentieren muss. Ziel ist es die operative Sanierung durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen abzusichern. Die Gerichte werden die Realisierbarkeit der erarbeiteten Einigungsvorschläge vorprüfen. Gegebenenfalls kann sogar eine fehlende Zustimmung einzelner Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen ersetzt werden, sofern die opponierende Gläubigergruppe durch den Plan nicht schlechter gestellt wird als sie ohne eine solche vergleichsweise Einigung stünde. Privilegiert sollen lediglich Arbeitnehmerrechte sein.
Trotz aller begrüßenswerten Ansätze dieses außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens wird es sicher aber nicht für alle Unternehmen zur Sanierung taugen. Problematisch bleibt nach derzeitiger Einschätzung, dass einige tiefgreifende operative Sanierungen, die für Anpassungen bestehender Geschäftsmodelle an die veränderten Marktbedingen oft unumgänglich sein werden, nicht erleichtert werden.
Dennoch ist zu begrüßen, dass viele Unternehmen sich frühzeitiger mit den Chancen einer Sanierung ihres Unternehmens unter Beibehaltung ihrer Leitungsfunktion – Eigenverwaltungsgedanke! – beschäftigen werden, was im Interesse der Aufrechterhaltung des gesamten Geschäftsverkehrs und insbesondere Erhalt des zwingend notwendigen Vertrauens in die Leistungsfähigkeit sämtlicher Vertragspartner unerlässlich ist.
Es bleibt zu hoffen, dass uns – so alle Sanierungsansätze ausreichend genutzt werden – die momentan oft prognostizierten sogenannten „Zombies“ – ausschließlich in der Halloweenzeit begegnen und nicht für Unternehmen stehen, die in großen Mengen mehr oder weniger gesunde Marktteilnehmer selbst herunterziehen werden.

 


Bis Ende des Jahres sollen weiterhin die Sonderregeln gelten, wenn der Insolvenzgrund der Überschuldung vorliegt. Die Verlängerung war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe beschlossen, aber noch nicht veröffentlicht. Folgen könnte dann 2021 die Umsetzung einer EU-Richtlinie, die neue Möglichkeiten bieten.


 

 

Dr. Hubertus Bartelheimer

* Der Autor ist Rechtsanwalt, arbeitet seit rund 15 Jahren im Bereich der Insolvenzverwaltung und ist seit 2009 Fachanwalt für Insolvenzrecht. Das Handelsblatt führt ihn aktuell auf der Liste der „Best Lawyers 2020“. PLUTA Rechtsanwälte, Berlin/Hannover.
Hubertus.Bartelheimer@pluta.net

 

Jetzt Artikel teilen!