In diesem Monat tritt Dr. Horst Schrage, seit 2012 Hauptgeschäftsführer der IHK Hannover, in den Ruhestand. Auch davor arbeitete er in verschiedensten Bereichen für die IHK. An dieser Stelle blickt er in besonderen Zeiten auf einen langen Zeitraum zurück. Ab September ist dann Maike Bielfeldt Hauptgeschäftsführerin der IHK Hannover.
Nach über 30 Jahren in der IHK Hannover werde ich zum 1. August 2020 in den Ruhestand wechseln und die IHK verlassen. Durch die aktuelle Situation und die damit verbundenen unvermeidlichen Covid-19-Schutzmaßnahmen bleibt mir nur dieser Weg, allen Wegbegleitern Danke und Tschüss zu sagen und Ihnen allen alles Gute und ein erfolgreiches Wirken in schwieriger Zeit zu wünschen. Gern möchte ich diesen Anlass aber auch nutzen für eine kurze Rückschau auf die letzten drei Jahrzehnte, denn viele Themen in dieser Zeit lassen sich auf unsere aktuellen Herausforderungen zumindest mittelbar übertragen und helfen vielleicht auch, die richtige Einordnung zu finden.
Als ich im März 1987 als Referent in der Industrieabteilung begann, gab es nicht wenige Industrievertreter, die während unserer Ausschusssitzungen eine gute Havanna zu schätzen wussten. Gesundheitliche Belastungen durch Luftverschmutzung waren damals schon ein Thema, nur etwas anders als heute: Smogalarm und Bundesimmissionsschutzgesetz prägten die Diskussion. Heute sprechen wir über Feinstaub und NOX, allerdings auf einem seinerzeit nicht vorstellbar niedrigen Belastungsniveau, dafür aber oft mit deutlich höherer gefühlter Betroffenheit.
Wir waren damals auch stolz auf die erste Schreibmaschine mit Speicherfunktion für maximal drei Zeilen. Der Beginn der Digitalisierung war somit erkennbar, bei der zum zweiten Mal eigenständig veranstalteten Ce-BIT wurde heftig diskutiert, ob sich dezentrale PC-Lösungen würden durchsetzen können gegenüber der damals aktuellen Mittleren Datentechnik. Zunächst ja, aber jetzt kommen mit zentralen Cloud-Lösungen übers Internet neue Strukturen in unsere Büros.
Unsere IHK ist ja bekannt für Sparsamkeit, aber als im Sommer 1989 vorgeschlagen wurde, die Handelsabteilung mit der Rechtsabteilung zu verschmelzen und damit einen Abteilungsleiter Handel einzusparen, gab es entschiedenen Widerspruch aus dem Präsidium, denn schließlich stellt der Handel einen großen Teil der Mitglieder und wird im Namen unserer Kammer explizit aufgeführt. Der Handlungsbedarf war groß, eine schnelle Lösung musste her und brachte für mich den relativ frühen Wechsel vom Industriereferenten zum Abteilungsleiter Handel und Dienstleistungen. Viel Zeit zur Orientierung blieb nicht, denn im Herbst kam die erste Lockerung des Ladenschlussgesetzes mit der Einführung des „Dienstleistungsabends“ am Donnerstag. Heute diskutieren wir über Sonntagsöffnungen, die noch immer nur ausnahmsweise und nur anlassbezogen möglich sind. Wie damals wird gegen die weitere Liberalisierung angeführt, dass dies dem Handel wenig nutzt und keinesfalls Mehrumsätze zu erwarten seien. Aber vielleicht geht es heute ja auch darum, Umsatzverluste an den Online-Handel zumindest zu begrenzen, ein Aspekt, der in der Diskussion noch nicht hinreichend angekommen ist.
Ein weiteres Handelsthema war auch in den 90er Jahren die Verbesserung des Innenstadtverkehrs, besonders in Hannover. Hier ging es um den Abriss der Aegi-Hochstraße und die konsequente Bewirtschaftung der Parkplätze innerhalb des Cityrings. Zusammen mit dem Handelsverband konnten wir zumindest erreichen, dass der Aegi nach Wegfall der Hochstraße zu einem leistungsfähigen Knotenpunkt ausgebaut wurde. Auch heute müssen wir uns dafür einsetzen, dass Bündelung von Verkehren einhergehen muss mit Ausbau und Erweiterung des Hauptverkehrsnetzes, alles andere wird die Innenstädte als Wirtschafts- und Kulturzentrum schwächen.
Im November 1989 fiel die innerdeutsche Grenze und Hannover war plötzlich von einer fast „Zonen-Randlage“ in der Mitte Deutschlands angekommen. Die IHK war sich dieser neuen Lagegunst schnell bewusst und alle Abteilungen des Hauses organisierten branchenbezogene „Deutsch-Deutsche Unternehmertage“, zu denen mehr als tausend Kombinatsbetriebe aus der DDR nach Hannover kamen und bundesweit viel Beachtung fanden. Damals wie heute war in einer besonderen Zeit vieles möglich, was zuvor und (leider) auch danach undenkbar war. Bürokratie und Verwaltungsauflagen hatten Pause und weder Staat noch Wirtschaft brachen zusammen. Im Gegenteil, man konnte damals eine Aufbruchsstimmung erleben, wie sie auch 2008/2009 und hoffentlich auch jetzt und in den nächsten Monaten zu finden sein wird. Zumindest stimmt mich zuversichtlich, dass sich der Bund bei der Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben an die Instrumente für die Projekte Deutsche Einheit wieder erinnert.
Mit Glasnost und Perestroika öffnete sich Anfang der 90er Jahre auch der Eiserne Vorhang und viele Unternehmen aus unserer Region konnten alte Handelsbeziehungen zu Geschäftspartnern in Russland, aber auch in Polen wieder aufnehmen oder neue knüpfen. Auch diese Entwicklung hat unsere IHK aktiv begleitet und gefördert. So haben wir von Beginn an den Aufbau der Deutschen Managementakademie in Celle unterstützt und Praktika für russische Nachwuchsführungskräfte vermittelt, die in Celle Management-Seminare besuchten. 1994 wurde mir die Leitung der Abteilung International übertragen und wir haben unser Service-Angebot und unsere Arbeitskreise zum betrieblichen Erfahrungsaustausch konsequent erweitert. Durch unsere engen Beziehungen zur Exportwirtschaft des Landes waren wir auch stets ein wichtiger operativer Partner für die Landesregierung auf internationalem Parkett. Die Organisation von Delegationsreisen ins Ausland, die Betreuung von ausländischen Wirtschaftsbesuchen in Niedersachsen oder auch die Durchführung von Länderveranstaltungen auf den großen Messen in Hannover wurden in weiten Teilen gemeinsam von Landesregierung und IHK getragen. Besondere Aktivitäten hatten wir in den Nahen Osten entwickelt: Die erste Wirtschaftsdelegation in den Irak nach dem ersten Golfkrieg wurde ebenso von der IHK Hannover organisiert und mit bundesweiter Beteiligung durchgeführt wie auch der erste Besuch einer deutschen Wirtschaftsdelegation im Iran nach Lockerung des Atomboykotts. Solche Pionierfunktionen zur Ausweitung internationaler Geschäftsbeziehungen werden auch heute benötigt, unsere aktuellen Projekte beziehen sich auf Lateinamerika und das östliche Afrika. Freihandel und Globalisierung werden auch künftig die Basis sein müssen für Wohlstand und Beschäftigung bei uns zuhause.
Ein besonderer Höhepunkt für die Landeshauptstadt Hannover, aber auch für meine IHK-Arbeit, war die Weltausstellung EXPO 2000. Als Mitglied der Geschäftsführung der „EXPO-Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Wirtschaft“ durfte ich ab 1996 zusammen mit unserem damaligen Hauptgeschäftsführer in das Abenteuer einsteigen, bundesweit den von der Politik geforderten Beitrag der Wirtschaft zur Finanzierung und Umsetzung der Weltausstellung in Hannover einzuwerben. Trotz massivster Bedenken unserer Spitzenverbände in Bonn konnten wir nicht nur einen 20-Prozent-Anteil an der EXPO-Gesellschaft einbringen, sondern uns auch am Deutschen Pavillon als Aussteller neben dem Bund und den Ländern beteiligen. Sowohl für unsere Region als auch für unsere IHK war dieses Ereignis ein absoluter Glücksfall. Hannover war für fünf Monate im internationalen Fokus und alle Bereiche der Stadt und Region hatten eine grundlegende Auffrischung gewonnen. Die IHK durfte Wirtschaftsvertreter aus der ganzen Welt begrüßen und Kontakte aufbauen, die nicht selten auch jetzt noch tragen. Heute wird schnell vergessen, dass erst eine Bürgerbefragung in Hannover notwendig war, bevor sich die Politik entscheiden konnte, das Geschenk einer Weltausstellung anzunehmen. Öffentliche Kritik an Großprojekten erfährt immer noch weitaus höhere Beachtung als in der Sache gerechtfertigt oder von der Mehrheit tatsächlich getragen. Rhetorik und Spektakel sollten aber auch künftig nicht Leitlinien für unser Handeln darstellen.
Nach zehn Jahren als Abteilungsleiter International mit vielen tollen Projekten, Veranstaltungen, Messebeteiligungen und Delegationsreisen ins Ausland mit Ministern und Ministerpräsidenten habe ich im Frühjahr 2004 die Leitung der Abteilung Industrie und Verkehr übernommen. Zudem wurde mir die Koordinierung unserer sieben Geschäftsstellen innerhalb unseres IHK-Bezirkes übertragen, der bundesweit zu den größten zählt und knapp 40 Prozent der niedersächsischen Wirtschaft umfasst. Energie- und Umweltthemen stellen schon lange große Herausforderungen für die Industrie dar und die Verkehrspolitik hat über viele Jahre den Ausbaubedarf der Verkehrsinfrastruktur eher weniger klar erkannt. Manches hat sich zwar nach langem Anlauf jetzt in die richtige Richtung entwickelt, aber oft zu langsam und auch zu teuer, wenn ich zum Beispiel an die Energiepolitik denke mit ihren strukturellen Ineffizienzen. Auch der seit Jahren propagierte Bürokratieabbau ist nicht wirklich vorangekommen und wird uns sicherlich weitere Jahrzehnte beschäftigen. Allein der verzweifelte Kampf um einen hohen Standard im Datenschutz wird angesichts der schnell voranschreitenden Digitalisierung und zunehmender KI-Anwendungen wohl kaum zu gewinnen sein.
Ein weiteres wichtiges Thema für die Industrie, dass auch schon bei der EXPO 2000 von unseren Unternehmen herausgestellt wurde, ist das Eintreten für Technikakzeptanz und Innovationen. Gerade in vielen mittelständischen Unternehmen finden sich faszinierende technische Lösungen für Prozesse und Produkte, die gerade junge Menschen begeistern sollten. Für unseren damaligen Ministerpräsidenten war es deshalb klar, dass wir in Hannover eine zweite EXPO brauchen, aber mit Bezug auf Jugendliche und auf Freude an Technik – 2007 fand im Deutschen Pavillon die erste IdeenExpo statt, mittlerweile das größte Technikevent für Jugendliche in Europa. Vor allem der Industrieverband NiedersachsenMetall hat sich für dieses Projekt mit großem Einsatz engagiert, begleitet vom Land Niedersachsen und der IHK Hannover. Seitdem durfte ich alle zwei Jahre die etwas andere Expo begleiten. Diese Veranstaltung hat sich in den letzten Jahren etwas gewandelt von einer Technikschau für Jugendliche zu einer Fachkräftebörse für Unternehmen. Sie nimmt damit das zentrale Thema unserer Wirtschaft, den Fachkräftemangel, in höchst attraktiver Form auf.
Im Frühjahr 2012 hat mich die Vollversammlung unserer IHK zum Hauptgeschäftsführer bestellt. Die IHK stand wirtschaftlich und organisatorisch stabil da, mit den bundesweit niedrigsten Beiträgen und hoher Serviceorientierung. Um Kontinuität in diesen Bereichen zu sichern, hatte sich das Präsidium frühzeitig für eine interne Nachfolge ausgesprochen. Dies sollte man aber keinesfalls mit Stillstand gleichsetzen, denn genauso wie in vielen Unternehmen gilt es auch für eine IHK, sich den ständig wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen und eigene Akzente zu setzen. Zu jedem Jahresende habe ich festgestellt, dass man zwar vieles planen kann, dass aber noch mehr Ungeplantes zu meistern war. Eine IHK ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, muss eigene Positionen aufbauen und auf politische und wirtschaftliche Entwicklungen reagieren. Es ist für mich stets faszinierend gewesen, mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Einstellung zusammenzukommen und viel erfahren und lernen zu können und auch immer wieder einmalige Projekte mitzugestalten.
Die letzten Jahre waren vor allem von zwei internen Projekten geprägt: der Neuaufbau der Landesarbeitsgemeinschaft IHK Niedersachsen und der Neubau für die IHK-Hauptverwaltung am Bischofsholer Damm in Hannover. In der IHK Niedersachsen werden die landespolitischen Interessen der sieben IHKs in Niedersachsen gebündelt. Da die IHK Hannover bereits 40 Prozent der niedersächsischen Wirtschaft vertritt und größenbedingt über eine stärkere Spezialisierung in ihrer Struktur verfügt, kommt ihr für diese Arbeitsgemeinschaft auch eine besondere Verantwortung zu. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Hannover ist deshalb auch in der Geschäftsführung der IHK Niedersachsen vertreten und für etwa 50 Prozent der fachlichen Themen verantwortlich. Gerade in Themenbereichen wie Bildung, Steuern oder Wirtschaftsförderung, aber auch Handel, Verkehr und Umwelt ist es absolut notwendig, dass die IHKs auf Landesebene geschlossen auftreten und mit einer Stimme sprechen. Für den Neubau des IHK-Hauptverwaltungsgebäudes wurde im vergangenen Monat der Bauantrag abgegeben. Nach jahrelangen Überlegungen und Planungen hatten wir uns Ende letzten Jahres für einen neuen Standort entschieden, der voraussichtlich im Jahre 2023 bezogen werden kann.
Gern nehme ich dieses Projekt zum Anlass, um mich bei allen Mitarbeitern, bei unserem Präsidium und unserer Vollversammlung, bei den vielen Mitgliedern unserer Fach- und Regionalausschüsse und vielen weiteren Partnern und Mitstreitern für die stets vertrauensvolle und faire Zusammenarbeit zu bedanken – es war wirklich eine Freude, für diese IHK wirken zu dürfen.
Tschüss und Danke!