Die Müller Industrie-Elektronik GmbH in Neustadt am Rübenberge hat sich seit ihrer Gründung vor nicht einmal 30 Jahren zu einem weltweit gefragten Hersteller für Sensorik entwickelt.
Nicht unter schwebende Lasten treten! Kennt man: Das steht auf Warnschildern an Kranen. Eine Berufsgruppe hält sich aber konsequent nicht daran – Schauspielerinnen und Schauspieler. Und hier, auf oder besser über der Bühne, liegen die Wurzeln der Müller Industrie-Elektronik.
Es hängt einiges dran, wenn im Theater Kulissen bewegt werden. Bis zu einer Tonne an Gewicht wird da hochgezogen oder runtergelassen, sagt Matthias Müller. Und was oben ist, muss sicher oben bleiben – Bühnentechnik als ein Vorreiter bei der Sicherheit. Dafür entwickelte Müller Anfang der 90er Jahre seine ersten Messgeräte. Und noch heute gehört Last-, Kraft- und Druckmessung für die Bühnentechnik zu den Bereichen, in denen das Unternehmen mit Sitz in Neustadt am Rübenberge unterwegs ist. Aber aus den Wurzeln im Theater ist in den vergangenen knapp 30 Jahren ein weit verzweigtes Angebot gewachsen.
Müller baut zum Beispiel Sensoren, mit denen die Kräfte gemessen werden, die beim Schleppen eines Verkehrsflugzeugs auf das Bugfahrwerk wirken. Oder die in einem Riesenrad entstehen. Oder wenn Container per Kran vom Schiff gehoben werden. „Kraft ist ein heikles Thema“, sagt Müller. Und wie heikel das ist: Zum Beispiel, wenn vor dem Sprung mit einem Katapult-Bungee die Adrenalinfreaks gewogen und dann mit richtig bemessener Kraft losgeschleudert werden. Damit sie eine Flugbahn beschreiben und nicht einfach runterfallen.
Aber Sensoren aus Neustadt erfassen nicht nur Kräfte oder Gewichte, sondern auch Temperatur, Füllstand, Feuchtigkeit oder Neigung. Eigentlich fast alle physikalischen Messgrößen. Und das auch in extremen Umgebungen: Gegen Temperaturmessung bei der Produktion von Stahl und Glas scheinen Seeluft und Salzwasser sogar noch vergleichsweise unproblematisch. Auf dem Meer fühlen sich die Neustädter aber erst recht wohl. Ausstattung von Kreuzfahrtschiffen mit Kraftmesstechnik für Krane und Rettungsboote, Windenkontrolle für Anker, Messtechnik für Schiffshebewerke: Maritime Technik zählt zu den Hauptanwendungsgebieten. Und vom Bungee-Seil bis zur Technik eines Passagierdampfers spielt Sicherheit stets eine entscheidende Rolle.
Aber das ist noch immer nur ein Ausschnitt dessen, was die Neustädter im Angebot haben. Allerdings gibt es in dieser ganzen Vielfalt ein verbindendes Element: das Umwandeln physikalischer Größen in elektrische Signale. Das ist es, was Matthias Müller von Beginn an umtreibt, seit der gelernte Nachrichtengerätemechaniker und Informationselektroniker – „kein Studium!“, sagt der 51-Jährige fast abwehrend – mit der Entwicklung von Messgeräten begann.
Heute hat die Müller Industrie-Elektronik GmbH rund 60 Mitarbeiter. Produziert wird nahezu alles in Neustadt, mit einer Fertigungstiefe von etwa 95 Prozent: von der Konstruktion über die einzelnen Bauteile bis zur Fertigung der Platinen. Die werden dann „zum Leben erweckt“, wie Müller sagt, also mit Programmen versehen, kalibriert und getestet. Vom Einzelstück bis zur Serie mit 5000 Stück reicht heute die Spanne: Eigentlich noch Manufaktur, so der Firmenchef.
Zu seiner Unternehmensgruppe, deren Dach die mmc Matthias Müller Company AG ist und deren Umsatz knapp unter 10 Mio. Euro liegt, gehört die Buderus Services GmbH mit 25 Mitarbeitern. Und die ist Ausgangspunkt eines tatsächlich leuchtenden Teils hannoverscher Industriegeschichte. Der Ingenieur Carl Buderus gründete das Unternehmen 1887, installierte elektrische Anlagen und insbesondere auch Blitzableiter. Das macht Buderus – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Industrieimperium – bis heute. Der Gründer allerdings zog sich schon um die Jahrhundertwende aus seinem ersten Unternehmen zurück und stieg in die noch junge Kinematografie ein. Er baute nach dem Vorbild der Brüder Lumière Kameras und Projektoren. Und er drehte Filme, 1906 etwa den „Hauptmann von Köpenick“. Aber auch in diesem Bereich hielt es Buderus nicht lange: Nach 1912 verliert sich seine Spur im Babylon Berlin.
Sein Name jedoch lebt in der Firma, die Matthias Müller 2004 übernahm. Im vergangenen Dezember kam ein drittes Unternehmen dazu: Die Bräuer Elektro & Gebäudetechnik GmbH, ursprünglich in Bad Salzdetfurth, inzwischen aber auch mit Sitz in Neustadt und weiterhin mit einem eigenen Büro auf dem hannoverschen Messegelände.
Dort kennt sich Matthias Müller aus. Seit Gründung seines Unternehmens ist er als Aussteller bei der Hannover Messe. Und das entscheidende Messethema der letzten Jahre, Industrie 4.0, hat die Sensorik noch mehr ins Zentrum gerückt. Messen, anzeigen und auswerten: In diesem Dreiklang wird der dritte Punkt immer wichtiger. Die digitale Transformation der Industrie braucht nichts so sehr wie Daten. Messtechnik liefert sie – zum Beispiel für vorausschauende Wartung.
Aber Müller will nicht nur für die Industrie 4.0 arbeiten, sondern sie auch nutzen. Mit Cobots, also leicht programmierbaren Robotern, die unmittelbar mit Menschen zusammenarbeiten können, will er eine Serienfertigung im Bereich fünfstelliger Stückzahlen wirtschaftlich machen. Und dann berichtet der Firmenchef vom Einsatz seiner Azubis, die das Projekt vorantreiben. „Wie die an sich selbst wachsen“, sich reinhängen, und das mit Spaß und ohne auf die Uhr zu sehen. Am Schluss steht die Erkenntnis, „dass man die Jungs und Mädels auch einfach mal machen lassen muss.“ Und eine selbstkritische Frage: „Hast Du ihnen einfach nicht genug zugetraut?“ Was schon etwas überrascht, hat Müller doch selbst mit Anfang 20 seine ersten Messgeräte gebaut.
Seit fast drei Jahrzehnten steckt Technik aus Neustadt in den unterschiedlichsten Anwendungen, wird von großen und größten Unternehmen genutzt. Müller arbeitet mit rund 40 Unternehmen als Vertriebspartnern zusammen, und das auf allen Kontinenten. Modular aufgebaute Produktlinien erlauben größtmögliche Flexibilität. Kein Wunder, dass Matthias Müller betont, wie wichtig es ist, zunächst das Anliegen des Kunden zu verstehen. Zuhören: ein Erfolgsfaktor. Aber dann sind da noch weitere, die ihn, wie er sagt, vom ersten Tag an begleitet haben: „Ehrlichkeit, Fleiß, Disziplin.“