Seit dem 1. März gilt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das qualifizierten ausländischen Fachkräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert. Was mit den neuen gesetzlichen Regelungen möglich ist und wie Unternehmen künftig an Auszubildende und Fachkräfte aus Staaten außerhalb der Europäischen Union kommen – ein Überblick.
Der Fachkräftemangel ist für die niedersächsische Wirtschaft das Geschäftsrisiko Nummer eins: 55 Prozent der Unternehmen sehen in ihm eine Gefahr für ihre Geschäftsentwicklung, so das Ergebnis einer Umfrage der IHK Niedersachsen aus diesem Jahr. Vor fünf Jahren hatten lediglich 38 Prozent diese Antwort gewählt. Zudem kann fast jedes zweite Unternehmen offene Stellen längerfristig nicht besetzen, weil es kein passendes Personal findet.
Ob das neue seit Anfang März geltende und im Vorfeld heftig diskutierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz hier Abhilfe schafft, ist noch offen. Auf eine verstärkte Zuwanderung auch aus Nicht-EU-Staaten zu setzen, erscheint aber gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in Deutschland schlüssig. Die Unternehmen werden in den kommenden Jahren auf zusätzliche Arbeitskräfte dringend angewiesen sein. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg müssten bis 2060 jedes Jahr 260 000 Menschen einwandern, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Ohne ausländische Fachkräfte wird es also nicht gehen, selbst wenn die Geburtenrate hierzulande drastisch anstiege. Die politischen Akteure sind sich weitgehend einig, dass Deutschland auf den Zuzug von ausländischen Fachkräften auch von außerhalb der EU angewiesen ist und dieser jetzt mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz deutlich erleichtert wird. Das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel.
Studium oder Berufsabschluss sind Pflicht
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz regelt, wer zu Arbeits- und Ausbildungszwecken nach Deutschland kommen darf und wer nicht. Um den Bedarf an Arbeitskräften zu stillen, wurden die Hürden deutlich gesenkt: Das Gesetz erleichtert allerdings nur die Zuwanderung für Menschen mit Berufsabschluss. Als Fachkraft gelten künftig Personen mit Hochschulabschluss oder einer qualifizierten Berufsausbildung mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren. Eine der Voraussetzungen für den Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt: Es muss eine Anerkennung der ausländischen Qualifikation durch die in Deutschland für das Anerkennungsverfahren zuständige Stelle vorliegen. Wenn Unternehmen also beruflich qualifizierte Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern beschäftigen wollen, ist es wichtig, dass zunächst die ausländischen Qualifikationen anerkannt werde.
Anerkennung ausländischer Abschlüsse bei der IHK
Die Berufsanerkennung wird durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiter aufgewertet und künftig vorausgesetzt, um als Fachkraft nach Deutschland zu kommen. Grundlage ist das im April 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen – kurz Anerkennungsgesetz. Die IHK Hannover ist zuständig für die Anerkennungsverfahren bei Aus-und Fortbildungsabschlüssen aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistungen.
Weitere Voraussetzung: Die qualifizierte Fachkraft muss neben der in Deutschland anerkannten Qualifikation ein konkretes Arbeitsplatzangebot, das der Qualifikation entspricht, vorweisen.
Vorrangprüfung und „Positivliste“ fallen weg
Für Unternehmen ist besonders hilfreich, das künftig grundsätzlich auf die sogenannte Vorrangprüfung verzichtet wird. Das heißt: Unternehmen müssen nicht mehr nachweisen, keine einheimische oder europäische Arbeitskraft für die entsprechende Stelle zu finden. Zudem wird der deutsche Arbeitsmarkt für alle Fachkräfte mit anerkanntem Berufsabschluss geöffnet. Bisher hatte die Bundesagentur für Arbeit in einer „Positivliste“ die Mangelberufe festgelegt, mit denen eine qualifizierte Fachkraft nach Deutschland kommen konnte. Die Prüfung der Arbeitsbedingungen durch die Arbeitsagentur bleibt allerdings weiterhin erhalten: Die Arbeits- und Lohnbedingungen dürfen nicht ungünstiger sein als für inländische Arbeitnehmer.
Einreise zur Arbeitsplatzsuche
Zudem können Fachkräfte mit anerkannter qualifizierter Berufsausbildung nun auch für eine befristete Zeit – sechs Monate – zur Arbeitsplatzsuche einreisen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ihr ausländischer Berufsabschluss einem deutschen in vollem Umfang entspricht und sie über Deutschkenntnisse mindestens auf B1-Niveau verfügen. Außerdem müssen die Fachkräfte genügend Geld vorweisen können, um ihren Lebensunterhalt während der Arbeitsplatzsuche selbst zu bestreiten. Während des Aufenthalts ist eine Probebeschäftigung von bis zu zehn Stunden pro Woche möglich, in der Unternehmen und ausländische Fachkraft testen können, ob sie zueinander passen. Die Probebeschäftigung ist auch für Fachkräfte mit anerkannter akademischer Ausbildung möglich, die wie bisher ebenfalls für bis zu sechs Monate zur Arbeitsuche einreisen dürfen. Während des Aufenthalts zur Arbeitsplatzsuche besteht kein Anrecht auf Sozialleistungen.
Aufenthalt zur Anerkennung
Neu ist auch, dass Fachkräfte nach Deutschland kommen können, um hier die gewünschte volle Gleichwertigkeit des eigenen Berufsabschlusses zu erreichen. Voraussetzung ist hierbei, dass bei einem Anerkennungsverfahren aus dem Ausland durch die zuständige Stelle in Deutschland Defizite hinsichtlich der erworbenen ausländischen Qualifikation im Vergleich zur deutschen Ausbildung festgestellt wurden. In diesem Fall ist eine Aufenthaltserlaubnis von bis zu zwei Jahren möglich, um entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen durchzuführen. Weitere Voraussetzungen: Deutschkenntnisse mindestens auf A2-Niveau und eine Zusicherung des Unternehmens, dass die Defizite innerhalb von zwei Jahren ausgeglichen werden. Auch eine Beschäftigung ist begleitend möglich. Ist die Qualifizierung erfolgreich abgeschlossen, kann eine weitere Aufenthaltserlaubnis beispielsweise zum Zweck der Arbeitsplatzsuche erteilt werden.
Perspektiven für Fachkräfte
Menschen, die als Fachkräfte zu uns kommen, sollen eine sichere Perspektive für ihre Zukunft in Deutschland haben. Daher wurde mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch der Bereich der Niederlassungserlaubnis neu geregelt. Künftig können ausländische Fachkräfte bereits nach vier Jahren (vorher fünf Jahre) eine Niederlassungserlaubnis in Deutschland erlangen. Dazu müssen sie unter anderem ausreichende Sprachkenntnisse (Niveau B1) und Beiträge zur Rentenversicherung (48 Monate) vorweisen.
IT -Fachkräfte haben es noch leichter
Da der Mangel an IT-Spezialisten besonders groß ist, gibt es für sie eine Sonderregelung: Sie müssen nicht mehr notwendigerweise einen Hochschulabschluss oder einen Berufsabschluss mitbringen. Es reicht ausnahmsweise eine mindestens dreijährige einschlägige Berufserfahrung, die innerhalb der letzten sieben Jahre erlangt wurde. Weiterhin müssen die IT-Spezialisten Deutsch auf B1-Level sprechen und ein Monatsgehalt brutto von mindestens 60 Prozent der jährlichen Bemessungsgrenze der Rentenversicherung (RV) erhalten.
Hürden für Ältere
Der ursprüngliche Gesetzentwurf wurde in Bezug auf ausländische Personen ab 45 Jahren verschärft. Fachkräfte aus Drittstaaten, die 45 Jahre und älter sind, müssen für einen Aufenthalt zur Beschäftigung ein Monatsgehalt brutto von mindestens 55 Prozent der jährlichen Bemessungsgrenze RV verdienen oder eine angemessene Altersvorsorge nachweisen. Außerdem gibt es eine Ausnahme vom Grundsatz, dass vor der Einreise der Abschluss der Fachkraft im sogenannten Anerkennungsverfahren auf seine Gleichwertigkeit geprüft wird: Anerkennungsverfahren können im Rahmen von Vermittlungsabsprachen der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit einem Drittland vollständig im Inland durchgeführt werden.
Problem: Botschaftstermine
Zweifellos wird es für Unternehmen durch die neuen Regelungen leichter, ausländischen Fachkräften den Weg nach Deutschland zu ebnen. Ohne Vorrangprüfung und „Positivliste“ sinkt der bürokratische Aufwand und es ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Doch es sind nicht nur Bürokratie und Einschränkungen auf bestimmte Berufe, die Unternehme die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern außerhalb der EU bisher schwer machten. Bei einigen Auslandsvertretungen ist es ein großes Problem, kurzfristig Termine zu erhalten. Die Wartezeiten betragen in manchen Ländern teilweise bis zu einem Jahr. Eine Stellenbesetzung in einer für Unternehmen annehmbaren Zeit ist so nicht möglich. Hinzu kommt, dass auch so mancher Bewerber entnervt das Handtuch werfen dürfte und sich einem anderen Angebot zuwendet. Abhilfe soll hier das beschleunigte Fachkräfteverfahren schaffen – eine weitere Neuerung des Gesetzes.
Beschleunigtes Fachkräfteverfahren
Das beschleunigte Fachkräfteverfahren soll die Bearbeitungszeiten der Anerkennung- und Visaanträge deutlich verkürzen. Unternehmen, die es nutzen wollen, müssen sich an ihre zuständige Ausländerbehörde wenden und dafür eine Gebühr von 411 Euro pro Fall entrichten. Dazu schließen die Ausländerbehörde und das von der ausländischen Fachkraft bevollmächtigte Unternehmen eine entsprechende Vereinbarung. Der Clou: Das gesamte Verfahren wird von der Ausländerbehörde eingeleitet und begleitet. Sie soll dafür sorgen, dass die Bearbeitungsfristen im beschleunigten Fachkräfteverfahren eingehalten werden. Demzufolge muss beispielsweise die Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation durch die zuständige Anerkennungsstelle innerhalb von zwei Monaten – anstatt bis zu drei Monaten – entschieden werden. Auch die Arbeitsagentur muss bestimmte Fristen einhalten. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, erteilt die Ausländerbehörde eine sogenannte Vorabzustimmung. Damit kann die ausländische Fachkraft einen Termin bei der Auslandsvertretung zur Beantragung des Visums buchen. Dieser soll innerhalb von drei Wochen stattfinden. Über den vollständigen Visumsantrag soll innerhalb von drei weiteren Wochen entschieden werden. Das beschleunigte Fachkräfteverfahren dürfte dafür sorgen, dass sich die langen Wartezeiten verkürzen. Denn nun liegen der Auslandsvertretung bereits vor dem Termin mit der ausländischen Fachkraft alle Informationen vor, um über den Antrag zu entscheiden.
Vorrangprüfung bei Ausbildung
Auch für Ausbildungsinteressierte haben sich mit dem neuen Gesetz Rahmenbedingungen geändert: Wer jünger als 25 Jahre ist, Deutschkenntnisse auf B2-Niveau nachweist, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann und über einen Abschluss einer deutschen Auslandsschule oder über eine Hochschulzugangsberechtigung verfügt, kann jetzt ebenfalls für bis zu sechs Monate nach Deutschland einreisen, um einen Ausbildungsplatz zu suchen. Eine Hürde bleibt aber weiter aktuell: Die Vorrangprüfung wurde mit dem neuen Gesetz nur für Fachkräfte, nicht aber für Auszubildende abgeschafft. So muss bei Auszubildenden weiterhin immer geprüft werden, ob für den Ausbildungsplatz ein bevorrechtigter Bewerber in Frage kommt.
Meldepflicht für Unternehmen
Für Unternehmen ergeben sich durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aber auch neue Pflichten: So müssen sie die zuständige Ausländerbehörde innerhalb von vier Wochen informieren, wenn das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet wird. Ansonsten kann ein Bußgeld verhängt werden. Wie bisher auch müssen Unternehmen in jedem Fall prüfen, ob bei Beschäftigten ein geeigneter Aufenthaltstitel vorhanden ist. Zudem muss eine Kopie des Aufenthaltstitels in der Personalakte vorhanden sein.
Damit Fachkräfte den Weg nach Deutschland finden, müssen Wirtschaft und Politik zusammenarbeiten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, wo dringender Handlungsbedarf besteht: die Bearbeitung in den deutschen Botschaften ist äußerst schleppend und bürokratisch und Informations- und Marketingaktivitäten zugunsten des Arbeitsortes Deutschland stecken noch in den Kinderschuhen. Das schreckt gute Kräfte ab. Bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt hat die Bundesregierung Ende 2019 mit Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaften deshalb darüber beraten, wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz schnell wirken kann. Ergebnisse: Die Auslandshandelskammern sollen sich stärker um die Gewinnung von Fachkräften bemühen, etwa mit Rekrutierungsreisen für kleine und mittlere Unternehmen. Gleichzeitig sollen bürokratische Hürden abgebaut werden: Das Außenministerium will die Kapazitäten zur Bearbeitung der Visa bei den Auslandsvertretungen aufstocken und Verfahren digitalisieren. Interessierte Fachkräfte und Unternehmen sollen umfangreich zum Zuwanderungsprozess beraten werden. Das mehrsprachige Internetportal „Make it in Germany“ wird zu diesem Zweck weiter ausgebaut. Die Bundesregierung hofft, dass das Portal mit Hotline und Jobbörse stärker von ausländischen Fachkräften und Unternehmen genutzt wird und Unternehmen aktiv mehr Stellenangebote für ausländische Fachkräfte melden. Außerdem soll es Angebote zur Sprachförderung im In- und Ausland und mehr berufsbezogene Qualifizierungsmaßnahmen geben. Die Bundesagentur für Arbeit soll bei der Vermittlung unterstützen. Die Behörde hat mit ihrer Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) schon Erfahrungen mit Pilotprojekten gesammelt und Kooperationsstrukturen in anderen Ländern aufgebaut. Wie schnell und in welchem Umfang das Fachkräfteeinwanderungsgesetz dazu beitragen kann, den Fachkräftemangel zu lindern, wird sich erst noch zeigen. Wichtig ist, dass die bereits angeschobenen Verbesserungen der Verwaltungsverfahren und die Werbemaßnahmen in Zielländern greifen. Die Bundesregierung scheint skeptisch zu sein: Sie geht davon aus, dass zunächst allenfalls 25 000 Fachkräfte pro Jahr über den Weg des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nach Deutschland geholt werden können. Im Verhältnis zu dem von den IAB-Forschern bis 2060 berechneten jährlichen Bedarf von 260 000 Menschen ist das wenig.
Kommentar:
Ein Schritt in die richtige Richtung, aber…
Die Bundesregierung spricht bei den neuen Regeln der Fachkräfteeinwanderung von einem „Paradigmenwechsel“ in der Art, wie wir auf Fachkräfte aus dem EU-Ausland zugehen wollen. Und tatsächlich machen einige Erleichterungen das Gewinnen von Fachkräften einfacher. Doch nicht nur das Gesetz selbst, sondern vor allem seine Anwendung durch die zuständigen Behörden, ist für den Erfolg wichtig. Für Fachkräfte geht es beispielsweise um die Geschwindigkeit der Visaerteilung. Und da hakt es bei den Botschaften im Ausland teilweise jetzt schon. Wie sollen sie erst einen künftigen Run auf Visa bewältigen? Das lange Warten führt zu Frust bei den Unternehmen, die ihre Stellen nicht rechtzeitig besetzen können. Was in diesem Zusammenhang zusätzlich Sorge macht: Die Bundesländer waren aufgerufen für die Erwerbszuwanderung mindestens eine zentrale Ausländerbehörde für das beschleunigte, gebührenpflichtige Fachkräfteverfahren zu schaffen. Umsetzung in Niedersachsen: Fehlanzeige!
Derzeit muss sich jede der knapp 60 Ausländerbehörden im Land mit dem Thema beschäftigen. Die Wirtschaft wird ganz genau im Blick haben, ob die versprochenen kürzeren Fristen eingehalten werden können.
Kommentiert von Prof. Dr. Günter Hirth
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