Soziale Marktwirtschaft, die Gründung der FAZ und die IHK Hannover: Tatsächlich passt das alles zusammen. Hier die einzelnen Puzzle-Teile.
Schon einigermaßen überraschend: Da geht es im Geschäftsbericht der IHK Hannover für das Jahr 1946 um die „beste Wirtschaftsform“ für einen neu zu gründenden deutschen Staat, und als Leitmotiv wird herausgestellt „eine lebendige Synthese zwischen freier Initiative und sozialem Willen.“
Marktfreiheit und sozialer Ausgleich
Das klingt ziemlikch deutlich nach Sozialer Marktwirtschaft. Und dem Kernsatz, den Alfred Müller-Armack prägte: Ihr Sinn sei es, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“ Das schrieb Müller-Armack 1956. Der Begriff Soziale Marktwirtschaft ist älter, Müller-Armack veröffentlichte ihn neun Jahre zuvor: Davon erzählt die aktuell in der IHK Hannover gezeigte Ausstellung.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg sich neu bildende IHK Hannover war also, wie es scheint, früh dabei in der Diskussion um eine neue Wirtschaftsordnung.
Suche nach der Quelle
Unterzeichnet ist der Teil des Geschäftsberichts, in dem es um die beste Wirtschaftsform und die Synthese zwischen freier Initiative und sozialem Willen geht, von Franz Henkel. Der war erster Nachkriegspräsident der IHK Hannover. Ein vielfach politisch aktiver Fabrikant, der nach 1945 erster Landeschef der FDP wurde. Brachte Henkel diesen so nach Sozialer Marktwirtschaft klingenden Satz und weitere Gedanken ein, etwa den nach einer gerechten Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an den Betrieben?
Oder muss man die Quelle, gerade wegen des Hinweises auf die Arbeitnehmer-Beteiligung, eher bei Dr. Johannes Niggemann suchen? Der war Gründungs-Chefredakteur dieser Zeitschrift, der Niedersächsischen Wirtschaft, nach 1945. Er war zutiefst kirchlich vernetzt und von der katholischen Soziallehre beeinflusst – die wiederum ihren Einfluss bei der Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft hatte, ebenso wie die protestantische Sozialethik.
Niggemann, davon kann man ausgehen, war im Austausch zumindest mit kirchlichen oder theologischen Kreisen über die sich entwickelnde Wirtschaftsordnung. Und rund zweieinhalb Jahre später veröffentlichte er in der Niedersächsischen Wirtschaft eine hochlobende Buchbesprechung zu Müller-Armacks „Jahrhundert ohne Gott“.
Spur nach Frankfurt
Aber es gibt noch einen anderen Weg, auf dem die IHK Hannover in die Diskussion um eine neue Wirtschaftsordnung eingebunden war. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde in der IHK Frankfurt die Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947 gegründet. Kurz: Wipog. Auch hier ging es um die Frage, welche Wirtschaftsform sich der entstehende deutsche Staat geben wird. Liest man die Mitgliederliste der Wipog jener Jahre, erscheint die Gesellschaft wie ein Sammelbecken wirtschaftspolitisch engagierter Unternehmer aus dem Westen Deutschlands.
Und die trugen dann ganz wesentlich zur Gründung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bei. In deren Genen ist bis heute die Soziale Marktwirtschaft zu finden, mit deutlich ordnungspolitischem Ausschlag. „Das Wirtschaftsressort setzt sich seit je für eine liberale Ordnungspolitik ein“, schrieb FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube im Leitartikel zum 75. Jahrestag der Erstausgabe vor wenigen Tagen. Und: „Wer für die Soziale Marktwirtschaft und ihre schöpferischen Zerstörungen eintritt, will gewiss nicht um jeden Preis am Vergangenen festhalten.“
Organisationen und Unternehmen
Gegründet wurde die Wipog in der IHK Frankfurt. In den Gremien aber finden sich deutliche Spuren aus Hannover und Niedersachsen. So war Kurt Pentzlin – Bahlsen-Geschäftsführer, vielfältig und zeitweise auch in der IHK Hannover aktiv – im Vorstand der Gesellschaft, neben unter anderem Ludwig Erhard. Im Beirat findet man 1949 Dr. Christian Kuhlemann, erst Vizepräsident und dann Präsident der IHK Hannover. Ebenso wie Dr. Woldemar Liebernickel, IHK-Abteilungsleiter und mutmaßlich in seiner Funktion als Geschäftsführer der IHK-Vereinigung in Niedersachsen.
Auf der Mitgliederliste 1949 steht in einer ganzen Reihe von Niedersachsen Hans-Joachim Fricke, IHK-Hauptgeschäftsführer in Hannover. Und Vertreter von Unternehmen wie Continental, Sprengel, Stichweh, Westinghouse, Eilers, Hackethal oder Hanomag.
Unterschiedliche Lager in der IHK?
Nicht auf der Liste allerdings mit Franz Henkel der damalige Präsident der IHK Hannover, und auch nicht Johannes Niggemann als NW-Chefredakteur und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der IHK. Was nahelegt, dass damals auch an dieser Stelle unterschiedliche Lager in der IHK gab.
Im Geschäftsbericht für das Jahr 1947 übrigens, dessen wesentlicher Einleitungsteil vom Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Fricke stammt, geht es zumindest nicht mehr um ein soziales Wollen: Fricke betont bei der Frage nach einer künftig Wirtschaftsordnung die Ablehnung einer zentral geplanten Wirtschaft, beschäftigt sich aber vor allem mit der Rolle der Industrie- und Handelskammern.
Die Ausstellung kann während der Geschäftszeiten der IHK besichtigt werden. Auch ein Besuch von Gruppen und Schulklassen ist möglich; Kontakt für Terminabsprachen: IHK Hannover, Kommunikation, Klaus Pohlmann, Tel. 0511 3107-269, klaus.pohlmann@hannover.ihk.de