Standort – Faktor – Museum: Worum es geht, stand im Sommer unübersehbar an der Fassade des Roemer- und Pelizaeus-Museums: „Das ist ein lebendiger Ort.“ Das muss man vielleicht gerade in Deutschland noch an Museumswände schreiben.

Ein lebendiger Ort. Für Dr. Lara Weiss ist das Bekenntnis, Ziel und Versprechen gleichermaßen. Seit gut eineinhalb Jahren leitet sie das Hildesheimer Museum, dessen herausragende Sammlung ägyptischer Kunst – nach Berlin – in Deutschland ihresgleichen sucht. Sagt die in Berlin geborene Äqyptologin Weiss. Und weist im gleichen Atemzug darauf hin, dass das Roemer- und Pelizaeus-Museum noch weitere bedeutende Sammlungen hat: Alt-Peru, China-Porzellan, Ethnografie, Naturkunde, Stadtgeschichte.

Die Vergangenheit schürt hohe Erwartungen

Aber es ist der Nachhall der großen ägyptischen Sonderausstellungen, der bis heute mitschwingt, wenn es um die Bedeutung des Museums geht. Auch bei den Erwartungen der Wirtschaft an ein Museum als Publikumsmagnet. „Ausgerechnet die Provinzstadt Hildesheim“, das schrieb 1976 der Spiegel „übertraf mit ,Echnaton-Nofretete-Tutanchamun‘ alles hierzulande Dagewesene.“ Fast 340 000 Besucherinnen und Besucher hätten ins Museum gedrängt, so das Magazin, „zuletzt in Viererreihen.“

Doch die Zeit solch anziehungsmächtiger Sonderausstellungen sind vorbei. Daran lässt Lara Weiss keinen Zweifel. Genauso wenig aber daran, dass sie das Museum dessen ungeachtet als Standortfaktor sieht. Schließlich stellt sich auch die Frage, warum eine Stadt wie Hildesheim sich eine Einrichtung wie das Roemer- und Pelizaeus-Museum leistet – das vor einigen Jahren erst aus einer wirtschaftlichen Schieflage gerettet wurde.

Aber: In Zeiten des Fachkräftemangels müsse eine Stadt, eine Region einfach attraktiv sein. „Dazu gehört eine lebendige Kulturlandschaft“, sagt die Museumschefin, und: „Hildesheim hat das auch.“

Schließlich gab es in der Stadt zeitweise die Hoffnung, Europas Kulturhauptstadt 2025 zu werden. Und das Wort „lebendig“ stand ja groß an der Museumsfassade.

Historisches Gewicht der Domstadt

Hildesheim kann einiges an historischem Gewicht in die Waagschale werfen. Natürlich nicht zuletzt das Unesco-Weltkulturerbe mit dem Dom samt Dommuseum und der Michaeliskirche. Alles zusammen ein mittelalterliches Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Nicht umsonst sagen manche, dass der bekannteste Hildesheimer weltweit Malachias ist, der Bibliothekar aus Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose.“ Gerade erst hat das Roemer- und Pelizaeus-Museum mit „Indrista“, einer Mulitmedia-Präsentation gemeinsam mit der Hildesheimer Digital Pioniere UG, das Mittelalter aufgegriffen.

Die Museumsdirektorin will, das ist erklärtes Ziel, ihr Haus stärker in die Stadt öffnen. Dialog, Inspiration, Kritik: Diese drei Begriffe hat sie dazu als Leitmotiv auf die Fahne – sprich: das Banner an der Museumsfassade – schreiben lassen. Sicher unstrittig für eine moderne Museumskultur. Aber da ist noch ein vierter: Spaß. Was, meint Weiss, vielleicht gerade in Deutschland schnell Widerspruch auslöst bei allen, die mit wissenschaftlich-hochkulturellem Anspruch ein Museum betreten.

Wie Spaß im Museum funktioniert

Schnell taucht da der Begriff Bildungsbürgertum auf. Aber das lässt sich durchaus mitreißen, sagt die Museumschefin. Anfang dieses Jahres wurde zum Beispiel eine Reihe mit After-Work-Veranstaltungen aufgelegt. Ein Thema auch da: Wie funktioniert Spaß im Museum? Oder: Soll man heute noch Kunst kaufen? Und, als Gegenpol beim nächsten After Work im November: Darf ein Museum seine Kunst verkaufen? Hinzu kommen Veranstaltungen wie die im September gemeinsam mit der Arbeitsagentur: Frauen und Wirtschaft in der Geschichte, verbunden mit Informationen zum Wiedereinstieg in den Job nach zum Beispiel einer Erziehungspause. Oder umgekehrt. Auf jeden Fall auch unterhaltend. Und „Indrista“ setzt unter anderem ja auch auf Technik aus der Welt der Computer-Spiele.

Wimmelnde Vermittlungsfiguren

Spaß im Museum: Das wird umso wichtiger, je mehr es um Familien – und damit um Kinder – geht. Lara Weiss ist sichtlich stolz, dass es ihr gelungen ist, Mittel aus ihrer Zeit vor Roemer-und-Pelizaeus in den Niederlanden verwenden zu dürfen, um die Wimmlinger nach Ägypten zu bringen. Das muss man  erklären: Wimmlingen, ein Ort in der Fantasie der Illustratorin Rotraut Susanne Berner. Sie zeichnet Wimmelbücher für den Hildesheimer Gerstenberg-Verlag – der übrigens die weltweit älteste erscheinende Tageszeitung herausgibt, auch das ein historisches Pfund. Bewohner Wimmlingens sind die Wimmlinger, die inzwischen auch bei Veranstaltungen im Museum angekommen sind. Was auch ein Beispiel für die Zusammenarbeit mit Unternehmen vor Ort ist, wie sie das Museum anstrebt.

Aber Lara Weiss will nicht nur das Museum in die Stadt öffnen. Sondern auch die verschiedenen Sammlungen untereinander. Beispiel dafür ist die aktuelle Dauerausstellung „Es ist angerichtet“, die zum Thema Essen und Trinken ethnologische und stadtgeschichtliche Objekte verbindet. Und auch hier sind die Wimmlinger als Vermittler seit Ende September angekommen.

Tragischerweise ist genau die Essen- und-Trinken-Ausstellung aber bezeichnend dafür, was nicht geht. Im Herbst 2023 wurden wertvolle Stücke gestohlen. Selbst im Museum kann aus Sicherheitsgründen nicht mehr alles gezeigt werden, was eigentlich Teil der Schau sein sollte. Das gilt umso mehr für Standorte außerhalb des Museums, zum Beispiel in der Innenstadt, um die wiederum attraktiver zu machen. So etwas ist aus Sicht der Direktorin ausgeschlossen. Einzige Ausnahme: Das Juweliergeschäft Th. Blume in Hildesheim, dessen Zusammenarbeit mit dem Roemer- und Pelizaeus-Museum bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, bis zum Hildesheimer Silberfund mit seinem römischen Tafelgeschirr – das heute allerdings in Berlin gezeigt wird.

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