Mit einer Zeitschrift für Psychologie legte Carl Jürgen Hogrefe 1949 den Grundstein für seinen gleichnamigen Verlag. Das Programm des Göttinger Hogrefe-Verlags reicht heute vom gedruckten Buch bis zur Online-Testsoftware. Inzwischen ist der Verlag von Finnland bis Brasilien präsent.

Verleger aus Verlegenheit“: So erklärte Carl Jürgen Hogrefe (1924 – 2007) die Gründung seines Göttinger Verlags gern. Der junge Mann studierte mit Begeisterung Psychologie an der Universität Göttingen und arbeitete dort danach als Assistent. Doch dann kam alles anders: Allgemein wurde das Fehlen einer Zeitschrift zum wissenschaftlichen Austausch in der Psychologie bedauert. „Mein Großvater hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine solche Zeitschrift herauszubringen. Er ist mit diesem Vorhaben von Verlag zu Verlag gegangen und hat sich dann gesagt: Wenn mich hier keiner unterstützt, dann mache ich das selber“, berichtet Friedrich Hogrefe, der 33-jährige Enkel des Gründers.

1949 veröffentlichte Carl Jürgen Hogrefe die erste Ausgabe der Zeitschrift „Psychologische Rundschau“. 1952 folgte das erste Buch mit dem Titel „Konstitution und Entwicklung“ von Wilfried Zeller, ein Jahr später das erste psychologische Testverfahren – der „Intelligenz-Struktur-Test (IST)“ von Rudolf Amthauer. Mit diesen Publikationen legte Carl Jürgen Hogrefe den Grundstein für den Verlag, der Anfang Oktober in Göttingen sein 75-jähriges Jubiläum begangen hat.

Hogrefe sieht sich heute als führenden europäischen Wissenschaftsverlag in Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie. Neben der Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG mit ihrem Stammhaus in der Merkelstraße gehören 13 weitere Verlage in Europa sowie Standorte in den USA und in Brasilien zur Gruppe. Weltweit hat Hogrefe 500 Beschäftigte; die Hälfte arbeitet an den Auslandsstandorten. Aktuell sind 2500 Fach-, Sach- und Lehrbücher, die in zwölf Sprachen erscheinen, und 1600 E-Books im Programm. Dazu kommen mehr als 40 Zeitschriften für Wissenschaft und Praxis. Eine elektronische Bibliothek deckt alle Themenbereiche des Psychologiestudiums ab. Eine Besonderheit sind rund 2300 psychologische Testverfahren, die in der klinischen Diagnostik, im Bildungsbereich oder im Personalwesen zum Einsatz kommen. Viele der Testverfahren wurden – angepasst an den kulturellen Hintergrund jedes Landes – in 19 Sprachen übertragen.

Verleger Dr. G.-Jürgen Hogrefe. Foto: Hogrefe

Seit Mitte der 90er Jahre wird das Unternehmen von Dr. G.-Jürgen Hogrefe (64) geführt. Der jüngste Sohn des Gründers begann nach seiner Promotion im Fach Psychologie seine Laufbahn beim ebenfalls auf Psychologie spezialisierten Verlag Hans Huber in Bern (Schweiz). 1984 übernahm Hogrefe den Verlag und baute seine Marktposition damit deutlich aus. Die Frau des Verlegers, Dr. Brigitta Hogrefe, hat ebenfalls im Fach Psychologie promoviert und ist im Group Executive Board aktiv. Mit ihren Kindern Friedrich Hogrefe und Dr. Antonia Hogrefe ist auch die dritte Generation im Verlag tätig. Beide sind Mitglieder im Group Executive Board: Friedrich Hogrefe, mit einem MBA-Abschluss in Medienmanagement, hat den Fokus auf digitale und kommerzielle Bereiche.  Dr. Antonia Hogrefe (35), promovierte Psychologin, konzentriert sich auf die inhaltlichen Verlagsbereiche. Sie leitet unter anderem den Bereich Forschung und Entwicklung.

Verlags-Slogan: More than a publisher

„Mein Großvater und mein Vater haben von Anfang an die Dinge getan, die notwendig waren für den Markt der Psychologie, für die Psychologen – zum Beispiel, dass es mal ein ‚Handbuch der Psychologie´ gibt. Der Bedarf wurde erkannt und reagiert. Genauso mit der ‚Psychologischen Rundschau´, mit der alles angefangen hat. Das ist die Motivation, warum wir die Dinge tun, die wir tun. Wir stellen den Psychologen in Wissenschaft und Praxis die Inhalte und Tools zur Verfügung, die sie für ihre Tätigkeit brauchen“, erklärt Friedrich Hogrefe.

Mit Friedrich Hogrefe und seiner Schwester Dr. Antonia Hogrefe ist die dritte Generation im Verlag tätig. Foto: Laurent Païni.

Ein wichtiger Grundstein für den Verlag wurde 1954 mit der Gründung der Testzentrale gelegt. Der Gedanke von Carl Jürgen Hogrefe dabei war, psychologische Testverfahren ausschließlich und kontrolliert nur an fachlich qualifizierte Anwender abzugeben. Auch andere Verlage wurden für die Idee gewonnen, da erstmals die spezifischen Erfordernisse des Testvertriebs berücksichtigt wurden. „Die Testzentrale hatte von Anfang an den Anspruch, nicht allein das Vertriebsunternehmen für Hogrefe zu sein – sondern eine neutrale Institution im Markt der Psychologie, bei der ein Psychologe oder eine Psychologin das Werkzeug findet, das er oder sie auch braucht“, erklärt Friedrich Hogrefe. Bis heute vertreibt Hogrefe auch Testverfahren anderer Verlage.

Im Buch- und Zeitschriftenbereich ist der Verlag ebenfalls markant präsent: 1959 hat Hogrefe die Herausgabe des „Dorsch, Lexikon der Psychologie“ übernommen, das auch in seiner aktuellen, 20. Auflage als Standardwerk gilt. Inzwischen ergänzt ein Online-Portal das Buch. 1974 startete der Verlag sein englischsprachiges Programm, in dem beispielsweise das bekannte „Clinical Handbook of Psychotropic Drugs“ nunmehr in der 22. Auflage publiziert wird. Später kamen die Zeitschriften „European Psychologist“ oder „Psychological Test Adaptation and Development“ dazu.

Anfang der 90er Jahre hat das Unternehmen mit einem Wissenschaftler der Universität Freiburg (Schweiz) das „Hogrefe Testsystem (HTS)“ entwickelt – damals noch als Datenträger zum Installieren. „Heute ist es eine Online-Plattform, auf der man die meisten unserer Testverfahren online ausführen kann“, so Friedrich Hogrefe. Das Testsystem ist die wissenschaftlich fundierte Plattform für die elektronische Durchführung und Auswertung psychologischer Testverfahren aus den Bereichen, Klinik, Human Relations und Schule. Die Verfahren selbst werden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder auch von Fachleuten aus dem Verlag entwickelt. „Wir haben hier mehr als 100 Psychologinnen und Psychologen – auch im Vertrieb oder im Bereich Academy und Consulting.“

Der Vertrieb der Testverfahren ausschließlich an das Fachpublikum ist für Hogrefe bis heute essenziell. Denn neben der korrekten Durchführung spielt auch die richtige Auswertung eine wichtige Rolle: „Wenn man ein Testverfahren falsch auswertet, kann das schlimme Konsequenzen für die Personen haben. Zum Beispiel, wenn eine Depression nicht erkannt oder der Förderbedarf eines Kindes übersehen wird“, so Friedrich Hogrefe.

Ein psychologisches Testverfahren von Hogrefe: das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP). Foto: Hogrefe

Mit „PsychJOB“ wurde 2000 eine Online-Jobbörse für Psychologinnen und Psychologen im deutschsprachigen Raum ins Leben gerufen. 2012 entstand der neue Geschäftsbereich „Consulting“, der Unternehmen Know-how, Beratungsleistungen und psychologische Testverfahren bei Personalauswahl und -entwicklung anbietet. Und die Hogrefe Academy veranstaltet Seminare, Vorträge und Inhouse-Schulungen, die von rund 2000 Fachleuten aus Psychotherapie und Medizin im Jahr genutzt werden.

„More than a publisher“ ist der Slogan von Hogrefe zum 75. Jubiläum. „Tatsächlich beschränken wir uns nicht nur auf das Verlegen von wissenschaftlichen psychologischen Zeitschriften und Büchern“, erklärt Dr. G.-Jürgen Hogrefe. „Im Bereich psychologischer Testverfahren gehen das Know-how und die Expertise, die Entwicklung und Beforschung dieser Verfahren, die eigene Software-Entwicklung, die Schulung und Beratung im Zusammenhang mit den Tests weit über eine übliche Verlagstätigkeit hinaus.“

Pro Jahr erscheinen rund 200 Neuerscheinungen bei Hogrefe. Das Mantra bis heute: wissenschaftliche Erkenntnisse kundenfreundlich aufzubereiten.

 

 

 

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