Wenn das keine Herausforderung besonderer Art ist: Anne Gemeinhardt ist seit etwas mehr als einem Jahr Direktorin eines Museums – das noch auf Jahre hinausgeschlossen ist. Das Historische Museum in Hannover, Schaufenster der Stadtgeschichte, muss grundlegend saniert werden und öffnet vermutlich erst Ende dieses Jahrzehnts wieder.
Hannoversche Museumslandschaft

Natürlich: Das Haus ist eingebettet in die hannoversche Museumslandschaft mit dem Sprengel-Museum und dem Landesmuseum. Da sind das Wilhelm-Busch-Museum und das Museum August Kestner – das übrigens auch von Anne Gemeinhardt geleitet wird. Oder die Kestner-Gesellschaft und der Kunstverein mit ihren Ausstellungen. Und wenn man Kunst und Kultur verlässt, gibt es zum Beispiel das Luftfahrtmuseum. Es gibt einiges zu sehen in Hannover. Über einen so langen Zeitraum allerdings keine Stadtgeschichte zeigen zu können, reißt eine Lücke.

Die Monate, in denen das Museum Schloss Herrenhausen – und das ebenfalls in die Zuständigkeit von Anne Gemeinhardt fällt – umgebaut wird, wirken dagegen wie eine Kurzzeitpause: Noch bis zum nächsten April ist das Museum im Schloss geschlossen. Danach können dort die historischen Welfen-Kutschen besichtigt werden: Teil des feudalen Stadterbes und gülden-glänzender Blickfang. Auch wenn in Hannover mit Blick auf die reiche Industriegeschichte weit mehr zum Rollen gebracht wurde als königliche Pferdekarossen.

Dass das Historische Museum so lange geschlossen ist, hat aber den Anstoß gegeben für einen Schritt Richtung Innenstadt. In Hannovers Karmarschstraße wird jetzt im „Hannover Kiosk“ auf 400 Quadratmetern eine „bunte Tüte voller Stadtgeschichte“ aufgemacht.

Innenstadt-Plan setzt auf Kultur

Mehr Kultur in der Innenstadt. Das ist in Hannover eine „übergeordnete kulturpolitische Entscheidung“, wie die Museumsdirektorin erläutert. In der Landeshauptstadt drückt sich das beispielsweise im „Kulturdreieck“ aus, dem Areal zwischen Schauspielhaus, Opernhaus und Kunstverein. Der Hannover Kiosk liegt außerhalb dieser Kulturzone, bewusst an der Schnittstelle zwischen Einkaufs- und Altstadt. Einen Musik-Kiosk wird der Fachbereich Kultur Anfang Dezember am Kröpcke eröffnen.

Wobei Kiosk und bunte Tüte, obwohl keineswegs auf Hannover beschränkt, doch mit der Stadt eng verbunden sind: Rund 300 Kioske soll es geben. „Hey, ich benötige für ein Geschenk eine ,bunte Tüte‘ wie damals zu Kindheitszeiten in den 90ern“, schreibt da jemand auf der Internet-Plattform Reddit. Antwort: „Gefühlt in jedem Kiosk an der Limmer(straße) und in der Nordstadt.“ Also irgendwie schon hannovertypisch. Und wie jeder Kiosk soll die Ausstellung auch leicht zugänglicher Treff- und Anziehungspunkt werden, für die Versorgung mit Geschichte. Oder einfach: „Ein Ort zum Durchatmen im Trubel der Stadt.“

Museums-Anker zwischen Geschäften

Aus Sicht von Anne Gemeinhardt und ihrem Team rund um Projektchef Jan Willem Huntebrinker steckt aber noch eine ganze Menge mehr hinter dem Hannover Kiosk. Natürlich sind die Räume der Anker des Historischen Museum in der Stadt, bieten bis zur Wiedereröffnung die Chance, mit Stadtgeschichte in Kontakt zu kommen. Aber sie sind für die Museumsmacherin darüber hinaus ein Labor: Hier soll, gemeinsam mit den Menschen in Hannover, nichts weniger als das Stadtmuseum der Zukunft erprobt werden.

Viele Museen in Deutschland stehen aktuell vor (Teil-)Schließungen und großen Sanierungsprojekten. Einen ähnlichen Umgang damit hat vor gut zwei Jahren das Stadtmuseum Bonn gefunden. Was für Anne Gemeinhardt der Hannover Kiosk ist, heißt in der Ex-Bundeshauptstadt studio_bnx. Die Ziele sind ähnlich: Die Menschen in der Stadt einzubeziehen, wenn es um die Neukonzeption von Projekten – oder wie in Hannover des ganzen Museums – und damit um die Erinnerungskultur einer Stadt geht.

Während in Bonn das Studio allerdings direkt neben dem Stadtmuseum liegt, findet man das hannoversche Kiosk-Labor in der Einkaufsstadt. Hier gibt es, was das Historische Museum bislang so nicht kannte: Laufkundschaft. Denn das von Dieter Oesterlen in den 60er Jahren errichtete Museumsgebäude liegt ganz am Rand der Altstadt – die von der Fußgängerzone getrennt ist.

Jetzt also mitten zwischen Geschäften. Schon während der Vorbereitungszeit, so Gemeinhardt, war das Interesse groß: „Die Leute gucken durch die Scheibe.“ Was geht da vor? Schon das macht Neugier auf Geschichte.

Kultur in der Stadtmitte: Bis in diesen Sommer hat Hannover damit bereits Erfahrung im „Aufhof“ gesammelt, einer kreativen Zwischennutzung des leer stehenden, ehemaligen Galeria-Gebäudes an der Marktkirche. Auch das Historische Museum war beteiligt. Und daran schließt der Kiosk nun an, so Oberbürgermeister Belit Onay.

Original-Exponate sind wichtig

Kern des Hannover Kiosk ist die Ausstellung „Typisch Hannover“. Mit rund 30 Original-Exponaten, denn auch Authentizität ist wichtig, damit der Funke überspringt. Auch die Wirtschaft ist Thema. Unter der Überschrift „Made in Hannover“ geht es beispielsweise um Hanomag, Telefunken, Bahlsen. Ein Projekt gemeinsam mit dem Tintenturm, dem Museum, in dem die Erinnerung an Pelikan bewahrt wird, steht auch auf dem Plan. Für Anfragen auch von anderen Unternehmen ist das Museumsteam grundsätzlich offen.

Und dann bleibt da ganz bewusst noch eine „Leerstelle“: Die ist Teil des Konzepts. Hierkönnen Besucherinnen und Besucher sich beteiligen. Was fehlt aus ihrer Sicht in der Ausstellung?

Solche Rückmeldungen werden dann wichtig für die Neukonzeption des Historischen Museums. Denn die läuft natürlich weiter. Auch mit Blick auf Hannovers Wirtschaft. Sie soll, so Anne Gemeinhardt, auf jeden Fall eine große Rolle bekommen: „Unternehmensgeschichte als Teil der hannoverschen Gesellschaftsgeschichte – das wurde noch gar nicht genug gespielt“, sagt sie.

Ein gewisser Vorgeschmack: Das Museum August Kestner zeigt bis Mitte Januar aus seiner bedeutenden Münzsammlung Städtebilder auf Geldstücken.

Danach schließt auch dieses Museum – allerdings nur für wenige Wochen, um das Museumsfoyer umzugestalten. Eine umfassende Sanierung auch des Museums August Kestner steht jedoch ab Sommer 2026 an. Ein weiteres Riesenprojekt: Wenn das keine Herausforderung ist.

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