Die niedersächsische Landesregierung will in der Breite Bürokratie abbauen. Es gehe darum, die Schleifspuren einer überbordenden Bürokratie in der Gesellschaft zu verringern, sagte Ministerpräsident Stephan Weil in Hannover. Das wird von der Wirtschaft ausdrücklich gefordert, der Ansatz der Landesregierung daher grundsätzlich unterstützt. Mitte August stellte Weil gemeinsam mit drei Ministerien bisher Erreichtes und die nächsten Schritte vor.

Einfacher, schneller, günstiger: Kurz nach den Olympischen Spielen legte sich mit dieser sportlich gefärbten Ansage die Landesregierung selbst eine hohe Messlatte, was den Abbau der Bürokratie angeht. Und der, das machte Stephan Weil jetzt deutlich, ist dringend geboten: In der Summe führen die vielen, immer zumindest gut gemeinten Regelungen zu einem bürokratischen „Overkill“, so der Ministerpräsident in Hannover.

Dass der Regierungschef dabei über alle Bereiche hinweg Verwaltungshandeln vereinfachen, beschleunigen und damit billiger machen will, wurde allein dadurch unterstrichen, dass Weil zusammen mit seiner Stellvertreterin, Kultusministerium Julia Willie Hamburg, sowie mit Wirtschaftsminister Olaf Lies und Umweltminister Christian Meyer vor die Presse trat. Der Auftrag, die Verwaltung zu verschlanken, geht aber an die komplette Landesregierung: Im Herbst sollen weitere Ministerien ihre Entbürokratisierungsprojekte vorstellen.

Aus Sicht der Wirtschaft nur ein Anfang

Angesichts der unter der Bürokratielast ächzenden Wirtschaft begrüßen die niedersächsischen Industrie- und Handelskammern den Ansatz der Landesregierung. Monika Scherf, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen (IHKN), wies aber auch darauf hin, dass die jetzt schon umgesetzten oder geplanten Vorhaben nur ein Anfang sein können. Aus Sicht der Unternehmen gebe es noch viel zu tun, machte Scherf deutlich.

Dabei kommen große Bürokratie-Brocken auch vom Bund oder von der EU: Dr. Mirko-Daniel Hoppe, Konjunkturbeobachter für die IHKN, sagte im NDR, dass allein das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die CSRD-Berichtspflichten den Puls bei Unternehmerinnen und Unternehmern hochschnellen ließen. Apropos Berichts- und Dokumentationspflichten: Im niedersächsischen Wirtschaftsministerium wurden rund 200 solcher Vorgaben, die man dort erfüllen muss. Einsicht beim Wirtschaftsminister: „Sie können davon ausgehen, dass die nicht alle bleiben.“

Insgesamt sieht sich die Landesregierung auf dem Weg: Von den Ende vergangenen Jahres im Bund-Länder-Pakt zur Verwaltungsbeschleunigung beschlossenen Maßnahmen seien gut 40 Prozent bereits abgeschlossen und noch einmal über 40 Prozent in Arbeit.

Daneben verfolgt das Land aber auch eine eigene Entbürokratisierungsziele. Für seinen Bereich brachte Olaf Lies vier Themen in die Pressekonferenz, die sowohl für mehr Freiräume in der Verwaltung sorgen und dadurch Unternehmen entlasten sollen: „Entfesseln statt Korsett“, das nannte Lies als Ziel angesichts eines schwierigen Umfeldes für die Wirtschaft.

Schwellenwerte und Wertgrenzen im Vergabeverfahren anheben

Konkret will Lies noch in diesem Jahr die Wertgrenzen und Schwellenwerte bei öffentlichen Aufträgen teils deutlich hochsetzen. Die Wertgrenzenverordnung sei bereits auf dem Weg, das Vergabegesetz soll noch im Herbst ins Kabinett. Unter anderem sollen durch die neuen Regelungen Liefer- und Dienstleistungen bis zu einem Auftragswert von 10.000 Euro – statt bislang 1000 Euro – vergeben werden können, ohne dass ein Vergabeverfahren erforderlich ist.

Bei Bauleistungen will das Ministerium das bis zu einem Auftragswert von 15.000 Euro ermöglichen. Außerdem sind weitere Erhöhungen geplant: Freihändige Vergaben im Baubereich etwa sollen bis zu einem Auftragswert von 200.000 möglich sein – acht Mal mehr als bislang. Lies sprach dabei aber auch die Notwendigkeit an, angesichts dieser neuer Spielräume bisherige Ziele nicht aus dem Blick zu verlieren: Es müssten weiterhin Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen zum Zuge kommen, die sich an gesellschaftliche Spielregeln halten, betonte er. Auch aus Sicht der Wirtschaft ist künftig  ein verantwortungsvoller Umgang der Verwaltung gegenüber den anbietenden Unternehmen unverzichtbar.

Niedersächsische Bauordnung mit Erleichterungen im Wohnbau

Lies verwies auch auf die Novelle der niedersächsischen Bauordnung. Die habe bereits eine Reihe von Vereinfachungen für den Wohnungsbau gebracht. Dazu gehört etwa, dass die Pflicht für Kfz-Einstellplätze weggefallen ist. Ebenso wurden die Grenzabstände im Neubau verringert. Die Wirtschaft fordert allerdings auch weitere Erleichterungen für den Gewerbebau. Man habe bei der aktuellen Novelle nicht alle Vorschläge berücksichtigen können, sagte Lies in Hannover und kündigte eine weitere Novelle der Bauordnung an, die weitere Erleichterungen bringen soll.

Auf der Habenseite verbucht der Wirtschaftsminister ebenso die erweiterten Möglichkeiten der Clearingstelle. Diese bei der IHKN angesiedelte Einrichtung soll künftig nicht nur bei geplanten Gesetzesvorhaben Bürokratie vermeiden helfen, sondern auch akute Belastungen bei den Unternehmen sammeln und an die Landesregierung weitergeben. Hier warte man aber noch auf konkrete Vorschläge, wie das ablaufen soll. Das machte IHKN-Hauptgeschäftsführerin Monika Scherf deutlich. Bereits jetzt liegen außerdem konkrete Vorschläge der Wirtschaft zur Bürokratieentlastung auf dem Tisch. Die Industrie- und Handelskammern sind, so Scherf, nicht nur bereit, den Bürokratieabbau weiter zu begleiten: Sie Wirtschaft erwartet auch, in diesen Prozess einbezogen zu werden.

Denn ein Prozess wird es werden, wenn tatsächlich Schneisen in den Bürokratiedschungel geschlagen werden sollen. So drückte es Stephan Weil aus. Sein Stoßseufzer: „Mein Gott, sind wir kompliziert.“ Und Olaf Lies wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Fülle der Vorschriften ein Sicherheitsdenken in Verwaltung und Gesellschaft hervorgebracht habe. Davon müsse man sich verabschieden, wenn man durch weniger Vorgaben mehr Spielräume und mehr Dynamik erreichen wolle. Was auch der schwächelnden Wirtschaft Impulse geben soll.

 

 

 

 

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