Im Auftrag des Zoos Hannover haben Dr. Clemens Maier-Wolthausen und Dr. Franziska Jahn die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover von 1878 bis 1932 untersucht. Die Studie steht auf der Website des Zoos.

Zwischen 1878 und 1932 wurden im Zoo Hannover nicht nur Tiere aus fernen Ländern präsentiert, sondern auch Menschen – vorrangig aus den Kolonialgebieten. Der Zoo Hannover hat die Zeit dieser sogenannten ‚Völkerschauen‘ von den Historikern Dr. Clemens Maier-Wolthausen und Dr. Franziska Jahn untersuchen lassen. Ihre über 150 Seiten starke Studie Die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover von 1878 bis 1932. Ein Forschungsbericht im Spiegel zeitgenössischer Quellen“ liegt jetzt öffentlich vor.

„Um die Zukunft zu gestalten, müssen wir aus der Geschichte lernen“, erklärte Zoo-Geschäftsführer Andreas M. Casdorff bei der Vorstellung der Studie. „Wir empfanden die bisherige Behandlung des Themas in den Zoopublikationen als unzureichend und haben daher Wissenschaftler gebeten, diese Lücke zu schließen.“ Ende 2022 beauftragte Casdorff den Historiker Dr. Clemens Maier-Wolthausen, die Zeit der sogenannten Völkerschauen zu erforschen, im Juni 2023 ergänzte Dr. Franziska Jahn das Forschungsteam. Der Zoo als Auftraggeber hatte auf die Vorgehensweise der Wissenschaftler und den Inhalt der Studie keinen Einfluss.

Die jetzt vorliegende Studie bietet einen umfassenden Überblick über die im Zoologischen Garten Hannover gezeigten Zurschaustellungen. Sie basiert auf einer umfangreichen Vorarbeit im Feld einer steigenden Zahl von Publikationen zu ‚Völkerschauen‘ allgemein und in anderen Zoos sowie auf systematischen Zeitungsrecherchen. „Unsere Studie stellt die erste ausführliche Untersuchung zu diesem Thema in Hannover dar“, erklärte Historiker Maier-Wolthausen. „Dem Wunsch der Zoo Hannover gGmbH, das Thema transparent und detailliert in die Öffentlichkeit zu tragen, sind wir gerne nachgekommen.“

Sogenannte ‚Völkerschauen‘ wurden ab den 1870er Jahren zu einem weitverbreiteten kulturellen Phänomen, das in Theatern, Varietés, Vergnügungsstätten, Panoptiken, Bierlokalen, auf Jahrmärkten und in Zirkussen, auf Kolonial- oder Gewerbeausstellungen und nicht zuletzt in Tiergärten anzutreffen war. Die Recherche konzentrierte sich hauptsächlich auf den Schaustellungsort Zoo, schließt aber auch die weiteren Ausstellungsorte in Hannover ein. „Sie ergänzen das Bild für den Hannoveraner Zoo um wichtige Informationen zum Umfeld der dort gezeigten Zurschaustellungen und den gesellschaftlichen Bedingungen“, so die Historiker, „die weiteren Schauen in Hannover kontextualisieren auf diese Weise die Motivationen und Organisation der Zurschaustellungen im Zoo.“

Im Rahmen der Recherche konnten Maier-Wolthausen und Jahn etwa 550 Zurschaustellungen im deutschen Sprachgebiet zwischen 1874 und den 1950er Jahren identifizieren. Davon wurden insgesamt 14 solcher Zurschaustellungen mit Sicherheit auf dem Gelände des Zoos in Hannover gezeigt und mindestens 37 an 15 anderen Orten in Hannover.

Die identifizierten Zurschaustellungen im Zoo und in der Stadt Hannover werden in der Studie chronologisch vorgestellt. Jeder Schau ist eine Kurzbeschreibung mit den Informationen über den Titel, den Impresario/Schausteller, die Herkunft der Gruppe, Tiere, die Dauer und den Ort, an dem die Schau in Hannover gezeigt wurde, sowie die Reiseroute vorangestellt. Die Studie beschreibt die Herkunft, die Lebensbedingungen, Unterbringung und Verpflegung der zur Schau gestellten Menschen, die Arbeitszeiten und Entlohnung. Sie beschreibt die Inszenierungen und Darstellungen, mit denen die „Fremden“ vorgestellt wurden, ihre Freizeit sowie den Kontakt zur lokalen Bevölkerung bzw. Zoobesuchenden. Sie untersucht die Motivation der Teilnehmenden und die Rezeption durch Publikum und Presse.

„Ein ‚Sinn‘ der Schauen bestand in der Bestätigung im Vorhinein festgelegter Wertigkeitsskalen“, erklärte Historiker Maier-Wolthausen. „Das Publikum kam nicht bewusst, um beim Zuschauen sein Selbstbild zu bestätigen, sondern es kam aus Neugier, aus Lust am Vergnügen, vielleicht gar aus dem Wunsch heraus, etwas über andere Kulturen zu lernen oder Menschen zu begegnen.“ Dennoch habe das System der ‚Völkerschauen‘ auf den bereits zuvor festgelegten Kategorien von ‚wertvoll‘ und ‚wertlos‘, ‚zivilisiert‘ und ‚wild‘, ‚schön‘ und ‚hässlich‘, ‚oben‘ und ‚unten‘ beruht.

Die Ausgestellten wurden in dieser Logik als ‚minder-zivilisiert‘ und damit als ‚minderwertig‘ eingestuft. „In diesem Sinn beruhten alle Zurschaustellungen in und außerhalb der Zoos auf rassifizierenden Stereotypen, die sie selbst reproduzierten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie Einzelnen auch eine Form der Kontaktaufnahme ermöglichten. ,Völkerschauen‘ taten wohl beides: Bestätigungen liefern und herausfordern“, so die beiden Historiker.

Für die beiden Autoren der Studie sei es unzweifelhaft, dass die Bilder, die oft zehntausende Besuchende sahen, über die in Zeitungen und sicher auch mündlich berichtet wurde, „eine Wirkmächtigkeit entfalteten“. „Auch in Hannover dürften sie Anteil daran gehabt haben, dass die Hierarchisierung von Menschen bis in die Gegenwart hinein fortgeschrieben wurde“, so Maier-Wolthausen.

„Um die Geschichte zu verstehen, müssen wir sie erst einmal beleuchten. Wir sind froh, dass nun ein Licht auf diesen Aspekt der Hannoveraner Zoogeschichte geworfen wird. Wir werden die Studie allen Interessierten zur Verfügung stellen und auf der Website darüber informieren“, sagte Zoo-Geschäftsführer Casdorff.

Die Studie steht auf der Zoo-Website zum Download: https://www.zoo-hannover.de/koloniale-spuren

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