Das Land Niedersachsen hatte eine Wirtschaftsdelegation aus Mykolajiw zur Hannover Messe eingeladen. Bei einem Rundgang über das Messegelände haben wir die Gruppe aus der Ukraine begleitet.
Vor dem Krieg hatte das Unternehmen rund 8000 Beschäftigte. Heute sind es noch etwa 3000 Menschen, die für Zorya-Mashproekt arbeiten. Die Firma aus Mykolajiw stellt unter anderem Gasturbinen und Schiffsantriebe her. „Früher war Russland unser größter Abnehmer“, erklärt Yuriy Deriy, der als Mitglied der Geschäftsführung zusammen mit seinem Chef nach Hannover gekommen ist. Ihr Ziel ist es, Kooperationspartner zu finden, vor allem im Bereich Wasserstoff. Das Unternehmen hat nach Beginn des Kriegs neue Geschäftsfelder in den Blick genommen, um den Wegfall des Russlandgeschäfts zumindest teilweise zu kompensieren. „Unsere Turbinen können auch mit Wasserstoff betrieben werden, damit sind wir für das wichtige Zukunftsthema gut aufgestellt“, sagt der 52-Jährige.
Er und sein Chef sind Teil einer Delegation aus Mykolajiw, die das Land Niedersachsen zur Hannover Messe eingeladen hat. 14 Ukrainerinnen und Ukrainer aus neun Unternehmen sind der Einladung gefolgt. Die Gruppe wird am dritten Tag der Hannover Messe durch die Hallen geführt. Das Programm hat die IHK Hannover für das Land Niedersachsen organisiert, IHK- Länderreferentin Beate Rausch begleitet die Gruppe an den zwei Tagen ihres Besuchs. Damit es keine Sprachbarrieren gibt, hat die IHK zwei erfahrene Dolmetscherinnen aus Berlin engagiert. Sie übersetzen die Erklärungen des Messe-Mitarbeiters und die Kurzvorträge an den Ständen. Über Headsets kann die Gruppe alles auf Ukrainisch verfolgen.
Während sich die Gruppe ihre Wege durch die Hallen bahnt, klingeln immer mal wieder Smartphones. Ein Unternehmer schiebt es zwischen Headset und Ohr und bleibt etwas abseits stehen. „Die sind immer mit einem Ohr in der Ukraine“, erklärt Diana Kasabian, die als einzige aus der Gruppe auch Deutsch spricht. Wie sich später herausstellt, ist es ihr Mann, der gerade telefoniert. Da er weder englisch noch deutsch spricht, hatte er sich darum bemüht, dass auch seine Frau die Delegation begleiten kann. Sie ist aus Fürth angereist, wo sie seit Beginn des Kriegs mit ihren Kindern lebt. Seit Monaten hat sich das Ehepaar nicht gesehen. Ihr Mann Mykola Logvinov ist Chef des kommunalen Unternehmens Mykolaivoblteploenergo das mit seinen Kraftwerken für 60 Prozent der Wärmeversorgung der Stadt Mykolajiw verantwortlich ist. Auch die Versorgung der 480 000-Einwohner-Stadt im Süden der Ukraine mit sauberem Trinkwasser sowie mit Strom ist für ihn und das kommunale Unternehmen mit rund 1000 Beschäftigten ein wichtiges Thema.
Das Auseinanderreißen der Familien durch den Krieg ist bei fast allen Teilnehmern ein Thema. „Die Frauen und Kinder sind alle irgendwo in Europa“, sagt Diana Kasabian. Die Frau von Yuriy Deriy etwa lebt mit ihrem Sohn in Innsbruck. Gesehen haben sie sich vor Monaten das letzte Mal. „Offiziell ist das eigentlich kaum möglich, weil die Männer nur aus wichtigem geschäftlichen Grund die Ukraine verlassen dürfen“, erklärt Kasabian, die in Georgien aufgewachsen ist. Die 46-Jährige arbeitet bereits seit zwei Jahren als Deutschlehrerin an der Volkshochschule in Fürth.
Man könnte annehmen, dass die ukrainische Wirtschaftsdelegation das intelligente Energiemanagement, das Phoenix Contact auf der Hannover Messe vorstellt, weniger interessiert. Dabei geht es unter anderem um die effektive Nutzung Solarstroms für die Produktion sowie das Laden von E-Fahrzeugen. Aber die Annahme täuscht. „Das ist für uns für die Zukunft sehr interessant. Wir denken auch jetzt, wo es vielerorts nur um Erhalt der wichtigsten Infrastruktur geht, an die Zukunftsthemen“, sagt Logvinov. Und auch die anderen aus der Gruppe zeigen großes Interesse an den Vorträgen der Unternehmen, zum Beispiel als der globale Cloudanbieter AWS erklärt, wie Künstliche Intelligenz bei der Steuerung einer Produktion unterstützt.
Produktion ist zerbombt – Kooperationen gesucht
Aber auch das Interesse an individuellen Gesprächen auf der Hannover Messe ist groß. Natalia Konstantynova vom Unternehmen Nikotex ist mit der Hoffnung nach Hannover gereist, Investoren zu finden. Die Produktion des Herstellers von Vliesstoffen, die etwa in Autos, als Basis von Linoleum-Böden und Straßenbau verwendet werden, wurde im Juli 2022 durch den Einschlag einer Rakete vollständig zerstört. Ein Video bei Youtube zeigt das ganze Ausmaß der Zerstörung. Das Unternehmen, das eigentlich 50 Beschäftigte zählt, hat einen Plan für den Neustart erstellt, mit dem die junge Frau nun auf der Messe unterwegs ist. „Uns läuft langsam die Zeit weg“, sagt Konstantynova.