Von Nicole Pfrimmer

Die Berufsorientierung von Jugendlichen hat in der Corona-Zeit stark gelitten. Die Jahrgänge, die dies besonders betrifft, machen jetzt ihren Abschluss oder haben ihn gerade gemacht. Politik und Wirtschaft nehmen sich des Themas an.

Gemäß der Ausbildungsumfrage 2023 der IHKs in Niedersachsen konnten 44 Prozent der niedersächsischen Unternehmen nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Rund ein Drittel von ihnen bekam nicht eine Bewerbung. Deshalb wollen 80 Prozent der Ausbildungsbetriebe ihre Aktivitäten in der Berufsorientierung ausweiten – und das, obwohl die Wirtschaft jetzt schon viel unternimmt, um die Jugendlichen bei ihrem Weg in den Beruf zu unterstützen. Dies geschieht beispielsweise durch Praktika, Teilnahme an Messen oder Events mit Schülerinnen und Schülern oder auch in speziellen Projekten und Initiativen wie „Passgenaue Besetzung“, „Logistik macht Schule“ oder „IT macht Schule“. Viele Unternehmen lassen durch die IHK Hannover ihre Auszubildenden schulen, die dann als Ausbildungsbotschafterinnen und -botschafter in Schulen über eine duale Berufsausbildung informieren und so direkte und authentische Einblicke in interessante Ausbildungsberufe ermöglichen.

Bundesweit, auf Niedersachsen-Ebene oder direkt von der IHK Hannover werden auch viele spannende, innovative Formate und Aktionen zur beruflichen Orientierung angeboten – zum Beispiel „Kabinengespräche“, bei denen die IHK Sportvereine besucht und den Jugendlichen in lockerer Atmosphäre Ausbildungsberufe vorstellt, oder Job-Up Stores, TikTok-Kurzvideos oder Instagram Live Talks. Mehr zur IHK-Ausbildungskampagne finden Unternehmen, Jugendliche und Eltern auf der IHK-Website.

Ein Highlight beim Thema Berufsorientierung in diesem Jahr wird die IdeenExpo in Hannover sein. Zu Europas größtem Jugend-Event für Technik und Naturwissenschaften werden ab dem 8. Juni wieder mehrere hunderttausend junge Menschen aus allen Teilen der Republik erwartet.

Welche Bedeutung die Politik dem Thema berufliche Orientierung junger Menschen beimisst, zeigen die aktuellen Entwicklungen in Niedersachsen. Hier arbeitet das Kultusministerium an einer Neugestaltung des Erlasses zur beruflichen Orientierung und bezieht die verschiedenen Akteure mit ein. Mit einer gerade erfolgten Evaluierung der bisherigen Aktivitäten und Maßnahmen wurde in Niedersachsen bereits ein erster großer Schritt gegangen, um nach Möglichkeiten zu schauen, die berufliche Orientierung an Schulen weiter zu optimieren.

Die Bekanntgabe der Evaluationsergebnisse hat die IHK zum Anlass genommen, im März ein Themen-Frühstück zum Austausch zwischen Wirtschaft und Politik zur beruflichen Orientierung von Schülerinnen und Schülern durchzuführen. Mit dabei waren die niedersächsische Kultusministerin Julia Willie Hamburg, IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt, IHK-Vizepräsidentin und Continental-Vorständin Dr. Ariane Reinhart sowie weitere Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen und dem Kultusministerium. Hier wurde sowohl bei der Vorstellung verschiedener Angebote und Initiativen als auch beim anschließenden Austausch der Praxisbezug in der beruflichen Orientierung hervorgehoben und die Notwendigkeit, auch in Gymnasien die betriebliche Ausbildung als eine attraktive berufliche Alternative darzustellen.

Kultusministerium lädt zur Diskussion

Derzeit lädt das Kultusministerium die entsprechenden Akteure und Institutionen aus dem Bereich berufliche Orientierung zu Workshops ein, um verschiedene Ansätze und Maßnahmen zu diskutieren. Die IHKs sind dabei ebenfalls vertreten, um die Sicht der Wirtschaft einzubringen. Geplant ist, dass zum Schuljahr 2025/2026 ein neuer Erlass zur beruflichen Orientierung vorliegt.
Die niedersächsischen IHKs haben sich bereits 2023 mit den sogenannten „Gelingensbedingungen“ einer guten Berufsorientierung beschäftigt. Dazu gehört vor allem, wie bereits genannt, dass berufliche Orientierung an allen Schulformen – insbesondere den Gymnasien – weiter vorangetrieben und systematisiert werden muss. Auch wenn darunter sowohl Berufs- als auch Studienorientierung zu verstehen ist, ist es wichtig, den Jugendlichen zusätzlich immer die Karrieremöglichkeiten mit einer dualen Berufsausbildung als Alternative zu verdeutlichen.

Immer wieder wird auch deutlich, wie essenziell es ist, in allen Schulen für Maßnahmen und Angebote der beruflichen Orientierung die notwendigen personellen und zeitlichen Ressourcen bereitzustellen. Dies gilt besonders, wenn es darum geht, auch Aktivitäten mit externen Partnern wie Unternehmen zu koordinieren. Es darf nicht sein, dass in Zeiten von Lehrkräftemangel und steigenden Anforderungen durch diversifizierte Schülerschaft die Berufsorientierung als zusätzliche belastende Aufgabe verstanden wird, die schnell von der Agenda rutscht.

Wichtig ist aus IHK-Sicht außerdem, dass die einzelnen Maßnahmen zur beruflichen Orientierung in den jeweiligen Schulen immer im Rahmen des gesamten Konzepts der beruflichen Orientierung gedacht und angegangen werden. Dabei ist möglich viel Praxisbezug hilfreich – insbesondere über Praktika, aber etwa auch mittels Kooperationen von Unternehmen mit Schulen und ähnliches. Dabei gibt es auch hier Optimierungsmöglichkeiten. Dazu könnte gehören, mehr Praktika für Gymnasien festzulegen oder die Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, dies auf freiwilliger Basis zu tun. Sinnvoll ist auch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen durch gute Vor- und Nachbereitung der Praktika in allen Schulen sowie eine Entzerrung der Praktikumszeiträume und frühzeitige Kommunikation.

Auch die Rolle der berufsbildenden Schulen als Experten sollte neu gedacht werden. Es gibt schon viele eingespielte Kooperationen zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Das kann weiter systematisiert und mit Ressourcen hinterlegt werden. Zudem sollten selbstverständlich die Arbeitsagenturen immer mitgedacht werden und auch die Eltern in verschiedene Angebote einbezogen werden.

Forderungen aus Sicht der Wirtschaft

Die Forderungen aus Unternehmenssicht in Bezug auf mehr berufliche Orientierung und Praxiserfahrung finden sich auch in den Schulpolitischen Leitlinien, die von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zusammen mit den Industrie- und Handelskammern und Unternehmensvertreterinnen und -vertretern erarbeitet wurden. Hier eine Zusammenfassung:

■ Eine frühzeitige und praxisorientierte berufliche Orientierung ist Grundvoraussetzung, damit die Jugendlichen eine Chance haben, sich bei den umfangreichen Aus- und Studienangeboten zurechtfinden zu können.
■ Jugendliche brauchen mehr und flexiblere Möglichkeiten, betriebliche Erfahrungen im schulischen Kontext zu sammeln.
■ Die Praxiseinblicke und vor allem
die Kontakte zu den Ausbildungs-
unternehmen helfen auch dabei, Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt zusammen zu führen.
■ Konkrete Kenntnisse über Berufe und die Arbeitswelt können nur mit Praxisbezug in Zusammenarbeit mit den Unternehmen vermittelt werden.
■ Die Schülerinnen und Schüler sollten in allen Schulformen auch über die Chancen der Beruflichen Bildung informiert werden.
■ Festgelegte Kapazitäten für Berufsorientierung in den Lehrplänen können berufliche Orientierung stärken.
■ Eine Verankerung der beruflichen Orientierung als Querschnittsthema in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung würde das Thema voranbringen.

Die Schulpolitischen Leitlinien stehen auf der IHK-Website.

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