Seit 1787 gehört die Börse zu Hannover. Noch vor jeder industriellen Revolution: Der in London residierende hannoversche König hatte sie genehmigt. Die historischen Kurszettel werden im Wolfenbütteler Wirtschaftsarchiv aufbewahrt.
Leicht, allzu leicht ist man geneigt zu denken, die Wirtschafts-, insbesondere aber die Industriegeschichte (jedenfalls die richtige), fände ihre Anfänge in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Yeah, die ökonomische Klassik ist auf dem Weg und wird mindestens die kommenden zwei Jahrhunderte prägen! In Hannover zum Beispiel wurden gegründet: Hanomag 1835, Pelikan 1838, Sprengel 1851. Oder 1843 die heute noch bestehende Farbenfabrik Jänecke & Schneemann.
Veränderung findet in Köpfen statt – oder gar nicht
Zu dieser Zeit erfasste die Kraft der Dampfmaschine in ganzer Breite den europäischen Kontinent und trieb die erste industrielle Revolution vor sich her. Aber noch wichtiger, denn jede Veränderung hat ihren Ursprung in Köpfen und findet letzten Endes entweder dort oder gar nicht statt: Die Gedanken der frühen Ökonomen brachen sich Bahn, namentlich Adam Smith und David Ricardo.
Puderperückiger Merkantilismus?
Mit der Zeit davor scheint zumindest die heutige Ökonomie doch eher zu fremdeln. Merkantilismus, herrje, das Wirtschaftssystem puderperückiger Feudalherren, seltener Feudalherrinnen. Die nicht den Wohlstand der Nation(en), sondern ihren eigenen im Sinn hatten. Denn der Staat, das waren ja sie: L’etat c’est moi, frei übersetzt: Der Etat gehört mir, und den gilt es zu mehren. Handelsschranken? Ja, bitte, wenn’s dabei hilft, die eigene Kasse zu füllen. Wobei: Kehren nicht gerade solche Vorstellungen weltweit zurück?
Der dritte Georg sitzt in London
Aber gehen wir vielleicht lieber davon aus, dass es so holzschnittartig damals dann doch nicht gewesen ist. Sondern Veränderung in der Luft lag. Ganz abgesehen davon war in Hannover der König sowieso weit weg: Seit 1760 regierte der dritte Georg, und zwar von London aus nicht nur Großbritannien und Irland, sondern auch ein norddeutsches Kurfürstentum so in etwa von Hannover bis Cuxhaven. Vielleicht dauerte es deshalb so lange, über zwei Jahre, bis der im August 1785 entstandene hannoversche Börsenclub die königliche Genehmigung unter Dach und Fach hatte. Also ward gegen Ende 1787 die hannoversche Börse gegründet.
Wirtschaftsförderung in Hannover
Und tatsächlich, die rund 90 Club-Mitglieder hatten sich seinerzeit die Förderung der Wirtschaft in Hannover auf die Fahnen geschrieben. Deren Entwicklung sei durch Eigennutz, Privatinteresse und eine etwas ungünstige Lage behindert: „Und gewiss war es lang der geheime Wunsch eines jeden unter uns, den Flor der hiesigen Handlung nach besten Kräften zu befördern.“ Ohne Zweifel: Es sind Zeiten des Umbruchs. Anderthalb Jahre nach der Börsengründung wird in Paris die Bastille gestürmt, was jedenfalls dort das Ende des Der-Staat-bin-ich-Denkens bringt und aus Sicht vieler am Beginn eines langen, bürgerlichen Jahrhunderts steht, das bis Ende des ersten Weltkriegs andauern sollte mit wachsender Bedeutung der Wirtschaft.
Schon sehr lange ein Teil der Stadt
Die Börse war nicht nur in diesen Jahren, sondern ist bis heute Teil Hannovers. Und auch den Börsenclub gibt es nach wie vor. Gar nicht so leicht manchmal, alles zu entwirren: Zunächst Warenbörse, spätestens ab 1845 getragen vom Handelsverein, zu dessen Sekretären der spätere Gründer der Handelskammer Hannover gehörte. Als die Kammer 1867 ihre Arbeit aufnahm, wurde der Handelsverein aufgelöst, sein Vermögen und das Börsengebäude gingen an die Handelsinnung, die den Börsenhandel weiter ausbaute. Das schreibt die heutige BÖAG Börsen AG, unter deren Dach die Börsen Hannover, Hamburg und Düsseldorf arbeiten, mit Blick auf ihre Geschichte.
Im Jahr 1923 zog die die Börse ins –nach dem Krieg wiederaufgebaute Gebäude der Calenberg-Grubenhagenschen Landschaft am hannoverschen Opernplatz. 1999 schloss sich die hannoversche Börse mit der in Hamburg zur BÖAG zusammen, seit 2017 gehört die Düsseldorfer Börse dazu. Beide sind noch weit älter als die in Hannover, stammen aus dem 16. Jahrhundert. So viele Meilensteine, so viele Jahreszahlen. Noch ein paar: Seit 1900 ist die Hannoversche Börse als amtliche Wertpapierbörse zugelassen. Die beiden ersten deutschen Volksaktien, Preussag und VW, hatten dort ihre Heimat. Diese Zeitschrift, die Niedersächsische Wirtschaft, war lange amtliches Pflichtblatt der Niedersächsischen Börse zu Hannover.
Kurszettel im Wirtschaftsarchiv
Die Kurszettel der Börse werden seit 2006 im Niedersächsischen Wirtschaftsarchiv in Wolfenbüttel aufbewahrt. Sie sind dort für die Forschung uneingeschränkt zugänglich, wie Archivleiter Dr. Brage Bei der Wieden schreibt. Womit ein weiterer Teil niedersächsischer Wirtschaftsgeschichte gesichert wäre.
Auch Sie hüten Schätze aus Niedersachsens Wirtschaftsgeschichte? Wenden können Sie sich an das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv, Forstweg 2, 38302 Wolfenbüttel, Tel. 05531 935-0, wolfenbuettel@nla.niedersachsen.de