Von Michael Kuchenbecker | LNC GmbH
Die Mobilität gilt manchen als Wiege der Sharing Economy, der Ökonomie des Teilens. Bei allen inzwischen etablierten Angeboten: Es gibt noch Potenzial, gerade für die Logistik. Ein Kongress in Hannover nimmt das Thema in den Blick.
Die Sharing-Economy stellt ein Ökosystem dar, in dem Verbraucher und Verbraucherinnen oder Unternehmen Gegenstände oder Dienstleistungen vorübergehend teilen, mieten oder leihen, statt diese zu kaufen und zu besitzen. Dabei sind die Menschen auf der Nachfrage- und auf der Angebotsseite direkt miteinander verknüpft, bilden also ein Peer-to-Peer-Netzwerk. Solche Netzwerke wurden durch digitale Plattformen, vor allem durch das mobile Internet, Apps und durch Online-Bezahlfunktionen stark vereinfacht.
Mobilität als Heimat der Sharing-Economy
Sharing-Plattformen können zum Beispiel Eigentümerinnen und Eigentümer nicht ausgelasteter Fahrzeuge, Anlagen oder Lagerflächen mit Unternehmen zusammenbringen, die diese Angebote nachfragen möchten. Mobilität wird mitunter als die eigentliche Heimat der Sharing-Economy bezeichnet.
Die Vielzahl von Mobilitätsanbietern, die ein Sharing insbesondere von Verkehrsmitteln ermöglichen, scheint diese Aussage zu untermauern: Uber, Miles, Free2Move, Bolt, SIXT Share, Cargoroo, Lime, Nextbike, TIER, Voi oder Emmy – um nur einige zu nennen – sind bereits in vielen deutschen Städten aktiv. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise haben sich auch persönliche Präferenzen verändert: Bei hoher Arbeitslosigkeit und schlechten Beschäftigungsperspektiven wurde Sharing im Vergleich zum Besitzen für viele Menschen weltweit attraktiver. Rückblickend war häufig gerade die Verknappung oder der Mangel die Initialzündung für entsprechende Angebote.
Engpässe fördern Innovationen
So führten ökonomische Engpässe Ende der 2000er Jahre zu einer Verknappung von Taxis und bezahlbarem Wohnraum in San Francisco. Daraus entwickelten sich heute weltweit bekannte Vermittlungsdienste. In Folge ist die Zahl der Taxi-Fahrten in San Francisco von Januar 2012 bis Juli 2014 um rund 65 Prozent gesunken. Zudem hat die Covid-Pandemie das Interesse an der Sharing Economy weiter steigen lassen.
Der Umsatz der Sharing-Economy betrug weltweit 2013 rund 15 Mrd. US-Dollar. 2025 sollen die Umsätze bereits auf über 335 Mrd. US-Dollar steigen, wie die Unternehmensberatung PwC prognostiziert. Aber nur ein sehr geringer Teil der B2B-Sharing-Plattformen werden von Unternehmen der „alten Wirtschaft“ betrieben. 94 Prozent werden von Start-Ups gemanagt, die neu in diesem Bereich sind, so die Beratungsfirma Porsche Consulting.
Luft nach oben in Deutschland
In Deutschland werden Sharing-Angebote bislang nicht so stark genutzt wie in anderen europäischen Ländern: Nur 10 Prozent der Befragten in Deutschland machen von Sharing-Angeboten Gebrauch, wie eine Untersuchung von Capterra herausfand. In Frankreich sind dies 15 Prozent, in den Niederlanden 16 und in Großbritannien 30 Prozent. In Australienmachen sogar 38 Prozent der Befragten Gebrauch von Sharing-Angeboten. Es besteht also noch erhebliches Wachstumspotenzial.
Ökonomische Erwägungen sind die Hauptmotivation für die Inanspruchnahme von Sharing-Angeboten. Wenn Produkte nur gemietet werden, anstatt sie zu kaufen, können Unternehmen oder Privatpersonen Geld sparen. So können Unternehmen Sharing-Angebote nutzen, um preiswerter einzukaufen und vorübergehend benötigte Assets nutzen zu können, ohne diese dauerhaft vorzuhalten und dafür mitunter erhebliche Investitionen tätigen zu müssen.
Teilen statt besitzen
Auch ein steigender Digitalisierungsgrad – „Internet der Dinge“, datenbasierte Geschäftsmodellen, künstliche Intelligenz und Blockchain – führt mehr und mehr dazu, dass Menschen zunehmend den Besitz als weniger wesentlich betrachten. Der Begriff des Wohlstands wandelt sich, wobei Teilen anstelle von Besitzen zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Die zweite wichtige Motivation ist das Streben nach Nachhaltigkeit. Viele Menschen und Unternehmen möchten einen Beitrag leisten, die Umwelt zu schonen, den Ressourcenverbrauch zu senken und bewusster und sozialer zu konsumieren.
Mehr Flexibilität ermöglicht
Produkte und Dienstleistungen zu teilen, kann entsprechend positiv und nachhaltig wirken. Für das Sharing kann zudem die einfache Zugänglichkeit sprechen. Über Vermittlungsplattformen können Unternehmen Sharing-Angebote genau dann in Anspruch nehmen, wenn diese benötigt werden. Damit erhalten Unternehmen die Möglichkeit, flexibel zu reagieren und Ressourcen schnell und bedarfsgerecht nachführen zu können.
Aber auch die Sharing-Welt hat ihre Schattenseiten. So bietet Uber zwar eine preiswerte Alternative zu Taxifahrten, durch das Angebot nutzen jedoch mehr Leute Fahrdienste. als sie es sonst tun würden. Viele Fahrten mit E-Scootern ersetzen eher Wege zu Fuß statt mit dem Pkw. Dadurch erhöhen sich gefahrene Kilometer und der Carbon Footprint.
Verdrängung bestehender Geschäftsmodelle
Die Sharing Economy hat disruptive Eigenschaften: Akteurinnen und Akteure der „alten Wirtschaft“ werden verdrängt. Das Hotelgewerbe leidet unter dem Geschäftsmodell von Airbnb, das Taxigewerbe unter dem von Uber. Wer eine Plattform betreibt, verdient, indem Angebot und Nachfrage zusammenbracht werden, ohne dass die angebotene Leistung selbst erbracht wird – teilweise gegen eine hohe Provision. Bemängelt wird mitunter auch der Schutz der Plattformnutzenden sowie die Arbeitsbedingungen, unter denen diese Leistungen erbracht werden.
Fehlender Arbeitsschutz und mangelnde Regulierung sind Ausdruck einer sozialen Schieflage. Begriffe wie „Plattformkapitalismus“ und „Uber-Jobs“ sind in diesem Zusammenhang entstanden.
Die Regulierung läuft der rasanten Entwicklung in der Sharing-Economy oftmals hinterher. Die EU möchte mit dem „Gesetz über digitale Märkte“ (seit Mai 2023) sicherstellen, dass es auf den Plattformen fair zugeht. Gemeinsam mit dem „Gesetz über digitale Dienste“ (seit November 2022) ist es eines der Kernelemente der EU-Digitalstrategie.
Es lohnt dennoch, sich mit den neuen Angeboten, Akteurinnen und Akteuren und ihren disruptiven Ansätzen auseinanderzusetzen und die Potenziale für die eigene unternehmerische Tätigkeit zu erkennen. Wie passen die Angebote der Sharing-Economy zum eigenen Geschäftsmodell? Welche Chancen bieten sich und welcher Aufwand muss betrieben werden, um das eigene Geschäftsmodell zu erweitern oder gänzlich neu auszurichten? Insbesondere für den Mittelstand kann es sich lohnen, die Angebote der Sharing Economy besser kennenzulernen und zu nutzen. Für etablierte Unternehmen wäre es fatal, Veränderungen zu spät zu erkennen und nicht darauf zu reagieren. Transformationsprozesse müssen aktiv gestaltet werden.
Wirtschaftlich und ökologisch erhebliches Potenzial
Bei aller berechtigen Kritik: Die Sharing-Economy birgt für die Logistik ein erhebliches Potenzial – vor allem wirtschaftlich und ökologisch. Es gibt bereits einige Beispiele von Sharing-Ansätzen in der Logistikbranche. Offensichtliche Beispiele sind die kosteneffektivere Nutzung von Lagerkapazitäten, das Vermeiden von Leerfrachten und die Optimierung der letzten Meile. Es gibt jedoch auch weitere zukunftsweisende Ideen, bei denen der Personentransport stärker in den Frachttransport integriert werden könnte, und umgekehrt.
Im Rahmen des 8. TRANS4LOG Kongresses 2024 am 20. Juni in Hannover werden die erfolgreichsten Geschäftsmodelle und Entwicklungen der Sharing Economy in der Logistik vorgestellt. Der Kongress beleuchtet flexible Lagerkapazitäten für geplante und ungeplante Ereignisse, das Teilen von Arbeitsmitteln und von Fachkräften, sowie das Sharing von Logistikdaten als intelligente und unternehmensübergreifende Steuerung. Darüber hinaus werden auch urbane Sharing-Konzepte wie Bikes oder Roller, Hubs, anbieteroffene Paketstationen, Liefer- und Ladezonen und vieles mehr thematisiert.