Vielleicht reichen die Geschäftspläne des TÜV Nord nicht bis in den Himmel. Zumindest aber bis ins Weltall. Dort ist der hannoversche Prüfkonzern bereits unterwegs. Das erläuterte Vorstandschef Dr. Dirk Stenkamp im April und berichtete außerdem über gestiegene Umsatz- und Ertragszahlen sowie Rekordinvestitionen im Jahr 2023.
Vor der Welle bleiben, das heißt für den TÜV Nord: Vorbereitet sein, noch bevor technologische Entwicklungen in voller Breite auflaufen und ganze Bereiche umgestalten. Also transformieren, wie der heute übliche Begriff lautet. Beispiel: Wasserstoff. Der TÜV Nord habe den Anspruch, über die ganze Wertschöpfungskette Dienstleistungen anzubieten, machte Dirk Stenkamp deutlich. Eine Studie für einen Elektrolyseur an der Küste, die Entwicklung eines eigenen Elektrolyseurs am TÜV-Campus in Essen, die Begleitung des Genehmigungsprozesses für eine H2-Tankstelle. Im Dezember veröffentlichte der Weltenergierat Deutschland eine Studie zu Ammoniak als Energieträger – eine TÜV-Nord-Tochter arbeitete maßgeblich mit. Und der Prüfkonzern bescheinigt „H2-Readiness“.
Weltweite Wasserstoff-Dynamik
Noch liegt das Wasserstoff-Potenzial großenteils in der Zukunft. Aber der Anspruch ist eben: Vorweg surfen. Wobei Dirk Stenkamp in Blick international ausrichtet. Weltweit läuft das Thema hoch, sagte er in Hannover. Und zwar sowohl bei grünem, also mittels erneuerbarer Energien erzeugtem Wasserstoff, als auch bei blauem. Zu dessen Herstellung werden fossile Energieträger genutzt, das entstehende CO2 wird aber abgeschieden und gespeichert. Auch wenn in Deutschland bislang grüner Wasserstoff im Mittelpunkt stand, verweist der TÜV-Chef auf jüngste Signale für ein Umdenken: „Die Dynamik international ist da, in Deutschland wird das kommen.“
Wobei das Ausland für den TÜV Nord insgesamt weiter an Bedeutung zunimmt. Etwas mehr als 30 Prozent des Umsatzes von knapp 1,6 Mrd. Euro werden außerhalb Deutschland gemacht, und dort wuchs der Konzern zumeist auch stärker. Im vergangenen Jahr lag der Auslandsanteil noch bei etwa 26 Prozent.
Insgesamt legte der TÜV-Umsatz im vergangenen Jahr um 9,1 Prozent zu. In einigen Auslandsmärkten war das Wachstum zweistellig. Das hannoversche Unternehmen, das rund 14.000 Menschen beschäftigt, ist heute in 100 Ländern mit insgesamt etwa 500 Standorten vertreten.
Kometenjäger auf dem Prüfstand
Aber, wenn man so will, die Erde ist nicht genug. Stenkamp hat auch die Sterne im Blick. Oder, genauer, die Planeten. Fast hört sich verwegen an, wenn der TÜV-Chef in der Konzernzentrale in Hannover-Döhren über künftige Missionen zum Mars spricht. Aber das Tochterunternehmen Alter Technology prüft der TÜV Nord bereits die Elektronik des Esa-Kometenjägerprogramms Rosetta oder für die Nasa den Mars Rover.
Wasserstand bei KI steigt rasend schnell
In keinem anderen Bereich allerdings dürfte es derzeit so schwer sein, vor der Welle zu bleiben, wie bei der Künstlichen Intelligenz. Für den TÜV ist KI spätestens seit 2017 ein Thema. Dirk Stenkamp hatte immer gefordert, dass Algorithmen geprüft werden müssen. Mit Blick auf die kommenden gesetzlichen Vorgaben für eine sichere KI ist in Hannover ein Testverfahren auf der Zielgeraden, mit dem sich anhand verschiedener Kriterien solche Anwendungen überprüfen lassen: Ausreichender Schutz vor Cyberangriffen, keine Zweckentfremdung, keine Diskriminierung durch die KI-Lösung sind solche Kriterien.
Aktuell setzt der TÜV Nord selbst rund 20 KI-Applikationen ein. Jedoch nie, wie Stenkamp betont, mit Entscheidungskompetenz, sondern immer als Co-Pilot. Er sieht zunehmende Einsatzmöglichkeiten, zumal der TÜV seinen über Jahrzehnte gewachsenen Datenschatz für das Training der Software einsetzen kann. Das Ziel: „Mehr Prüfungen in weniger Zeit und Entbürokratisierung, also weniger Papier.“
Wo der TÜV sich außedem in einer Vorreiterrolle sieht: Aktuell werden Prüfstandards für Rohstoffe entwickelt, mit Blick auf das Lieferkettengesetz oder weitere kommende Regelungen auf europäischer Ebene. Und im traditionsreichen Autogeschäft wird bereits eine Batteriecheck für gebrauchte Elektroautos angeboten.
Solide Zahlen und Rekordinvestitionen
Vor der Welle bleiben: Mit dieser Einstellung hat der TÜV Nord im vergangenen Jahr „solide Zahlen“ produziert, wie Finanzvorstand Jürgen Himmelsbach sagte. Das Ebit vor Sondereffekten stieg um über 10 Prozent und damit stärker als der Umsatz auf 84,5 Mio. Euro. Die Investitionen erreichten mit 134 Mio. Euro einen neuen Allzeit-Höchststand für den TÜV. Lebensmittellabore, vor allem in Asien, Prüfgeräte in der Mobilität, eine Photonik-Labor: Investiert wurde, so Himmelsbach, in allen Geschäftsfeldern.
Nicht investieren wird der TÜV allerdings in eine eigene Hochschule. Das Thema kam vor einem Jahr auf. Der Konzern setzt dagegen verstärkt auf Kooperationen, wie Personalvorständin Dr. Astrid Petersen erklärte. Außerdem ein Schwerpunkt: digitales Lernen. „Unser Ziel ist, einer der weltweit führenden Anbieter von vollständig digitalem Lernen zu werden“, so der TÜV. Dazu hat sich der Konzern das Know-how des Darmstädter Unternehmens 3spin Learning gesichert.