Es muss was passieren: Darüber gab es keine zwei Meinungen beim Jahresauftakt der IHK Hannover. Ministerpräsident Stephan Weil will mit Blick auf die wirtschaftliche Dynamik von der „mageren Bilanz“ 2023 weg. IHK-Präsident Präsident Gerhard Oppermann sprach im Hannover Congress Centrum sogar von einem „Bild des Jammers“, das Deutschland in manchen Bereiche abgebe. Zu den Aufgaben gehören unter anderem die Energiepolitik, Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel sowie Entbürokratisierung. Dazu kam Stephan Weil mit einem konkreten Angebot ins HCC.
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Von Klaus Pohlmann und Barbara Dörmer / Fotos: Stefan Finger
IHK-Neujahrsempfang unter dem Eindruck vieler Krisen. Und auch das Hochwasser in Niedersachsen gehört dazu. Gerhard Oppermann, Präsident der IHK Hannover, dankte nicht nur den mehr als 100.000 Menschen, die in Niedersachsen gegen die hohen Pegelstände gekämpft haben: Er bat die Unternehmen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch weiterhin für diese Einsätze freizustellen. „Das Thema ist in den Schlagzeilen rückäufig, das Wasser ist es noch nicht“, sagte auch Ministerpräsident Stephan Weil und sprach mit Blick auf die vielen Helfenden von einer „Sternstunde der Blaulichtfamilie.“
Oppermannn betonte die Auswirkungen der internationalen Krisen – für die unmittelbar betroffenen Menschen, aber auch wirtschaftlich für ein exportorientiertes Land wie Niedersachsen. Der Nahe Osten mit noch nicht absehbaren Gefahren und seit fast zwei Jahren der Angriffskrieg gegen die Ukraine: Israel als wichtiger Innovationspartner deutscher Unternehmen, die Energiekrise mit steigenden Preisen als drängendes Problem. „Dass Deutschland seine modernen AKWs abgeschaltet habe, solange die Krise nicht überwunden gewesen sei, war ein großer Fehler. „Doppelmoral und wirtschaftspolitischer Unfug“, so Oppermann. Ministerpräsident Stephan Weil stellte ausdrücklich fest, dass hohe Preise für Strom und Gas nicht nur energieintensive Unternehmen, sondern die Wirtschaft in ihrer Breite betreffen.
Und das Schwergewicht China? „Die große Unbekannte – und gleichzeitig der wichtigste Handelspartner der deutschen Wirtschaft“, so Gerhard Oppermann. Man dürfe sich nicht abhängig machen, sagte der IHK-Präsident.
Das verband er mit einem grundsätzlichen Forderung: „Wir erwarten von der Politik, den globalen Freihandel weiter zu forcieren, um den Unternehmen die Chance zu geben, Partner überall auf der Welt zu finden und neue Absatzmärkte zu erschließen.“
Die Haushaltskrise und das Urteil des Verfassungsgerichtes ohne Plan B sei grob fahrlässig und habe das Land wieder verunsichert, sagte Oppermann. Positiv sei, dass die Bundesregierung nicht den bequemen Weg über die Aussetzung der Schuldenbremse gehe. „Trotzdem ist ein Konzept weiter nicht erkennbar, die Wirtschaft wird weiter belastet – nicht zuletzt durch steigende Energiekosten. Das ist definitiv nicht das Aufbruchssignal, auf das wir alle so dringend warten!“
Mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen Monate und Jahre kamen weder Oppermann noch Weil zu einer positiven Einschätzung; „Wir geben aktuell kein gutes Bild ab! Es ist eher ein Bild des Jammers“, so der IHK-Präsident. Und Niedersachsens Ministerpräsident zog mit Blick auf die fehlende Dynamik der aktuellen Dynamik der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich eine „magere Bilanz“.
Was also tun? Gerhard Oppermann verwies vor den Teilnehmenden, deren Zahl noch nach Beginn der Veranstaltung auf rund 950 anstieg, auf die Positionen der deutschen Industrie- und Handelskammern, die Deutschland zukunftssicher machen sollen:
■ Schneller werden – beim Planen, Genehmigen und Umsetzen von Projekten
■ Energieanbote ausbauen – und Stromsteuer senken
■ Fachkräfteeinwanderung vereinfachen
■ Steuersystem reformieren
■ Mehr Berufsorientierung in die Schulen bringen – auch für Gymnasien
■ Innovationen ermöglichen – Forschung technologieoffen fördern und nicht bürokratisch bremsen
■ Mehr Freihandelsabkommen
■ Bürokratieabbau – auch mit Blick auf EU-Regelungen
■ Infrastruktur fit machen – und zwar ebenso Daten- wie Verkehrsnetze
Ministerpräsident Stephan Weil konzentrierte sich auf drei Themen, die sich schon seit langem durch die Diskussion ziehen, aber zuletzt noch ungleich drängender geworden sind: Arbeitskräftemangel, Energie und Bürokratie. Nicht nur Fachkräfte fehlen, sondern auch Arbeitskräfte: Das hatte Weil schon vor zwölf Monaten gesagt. Bildung ist ein Mittel dagegen. Der Regierungsschef wies darauf hin, dass mit dem Zuwachs bei den Lehrkräften auch die Herausforderungen gestiegen seien: Die Schule sei einfach ein Spiegel der Gesellschaft. Bei der Berufsorientierung insbesondere an den Gymnasien könnte man besser werden, so Weil, und das gemeinsam mit der Wirtschaft. Es gebe aber Fortschritte bei der digitalen Bildung an den Schulen.
Weil sprach sich ausdrücklich mit Blick auf den europäischen Asylkompromiss dafür aus, für Menschen ohne Bleibeperspektive schnelle Entscheidungen zu finden. Rund zwei Drittel kämen aber mit Schutzrechten nach Deutschland: Hier müsse man bei der Integration besser werden. Das gelte auch für die dringend notwendige Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland: „Integration geht über den Grenzübertritt hinaus“, sagte Weil und forderte damit eine entsprechende Willkommenskultur auch in den Unternehmen.
Zwiespältiges Bild aus Weils Sicht beim Thema Energie: Die unmittelbare Bedrohung sei weg, auch durch die im „Deutschlandtempo“ umgesetzten LNG-Terminals. Die Stromsteuer müsse gesenkt werden, sagte der Ministerpräsident im Gleichklang mit Gerhard Oppermann. Allerdings könnten die Erleichterungen durch höherer Netzentgelte wieder aufgefressen werden. Stephan Weil: „Deutschland hat extrem gute Erfahrungen damit gemacht, ein Industrieland zu sein.“ Und Niedersachsen arbeitet daran, dass es so bleibt: „Der Ausbau als Energieland Nr. 1 läuft gut“, so Weil. Und beim Wasserstoff sieht Weil das Land in einer Pole-Position, will als Vorreiter die ersten vollständigen Versorgungsketten dafür schaffen.“
Konkreter Vorschlag im Endlos-Thema Entbürokratisierung: Dabei, das regte Weil an, soll die Wirtschaft über die seit einigen Jahren bestehende Clearingstelle zur Entbürokratisierung, die bei den Industrie- und Handelskammern angesiedelt ist, Vorschläge für Entbürokratisierung bündeln und koordinieren, um so zu schnelleren Erfolgen zu kommen. Weil jedenfalls will hier zu einem spürbaren Schritt nach vorn kommen.
Live aus den den Auslandshandelskammern Saudi-Arabien, China, Baltische Staaten, USA und Ukraine
Teilweise live im Saal, teilweise zugeschaltet waren die Vertreterinnen und Vertreter der fünf Auslandshandelskammern (AHK) Baltische Staaten, Saudi-Arabien, Ukraine, USA und China und berichteten aktuell aus ihrem Land. Die privatwirtschaftlich organisierten AHKs gibt es in 93 Ländern mit 150 Standorten. „Wir sind ein weltweites Netzwerk – das ist einzigartig“, so IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt. Wichtig in diesem Kontext seien auch die Delegationsreisen, die die IHK zusammen mit dem Land Niedersachsen organisiere. „Das Tolle ist, dass wir vor Ort die Kontakte haben. Wir nehmen da immer unheimlich viel mit.“
Dr. Dalia Samra-Rohte von der AHK Saudi-Arabien berichtete von dem Transformationsprozess, in dem sich das Land unter dem neuen Kronprinzen befinde und skizzierte den Veränderungsprozess anhand einiger Großprojekte – Tourismusausbau am roten Meer, Bau einer Unterhaltungsstadt und Energiediversifizierung mit einem der weltweit größten Wasserstoffprojekte.
Jens Hildebrandt von der AHK China sprach von einem „angeschlagenen Image Chinas“. Das BIP-Wachstum im Reich der Mitte lag 2023 bei 4,5 Prozent. China sei kein Selbstläufer mehr. Dennoch seien die Wachstumsaussichten gut. „Wir sind als Deutschland immer noch gut angesehen – und China braucht Deutschland.“ Es sei die richtige Zeit für Selbstbewusstsein und Kooperationssuche.
Florian Schröder von der AHK Baltische Staaten skizzierte die erstaunliche digitale Entwicklung Estlands seit 1997 in nahezu allen Bereichen – Schule, Gesundheit, Staat, Wirtschaft. Estland sei das Land mit der geringsten Bürokratie-Rate, mit dem besten Steuersystem und bei PISA auf Platz 1.
„Das Wahljahr 2024 wirft seine Schatten voraus“, sagte Dr. Christoph Schemionek von der AHK USA. Auch in den USA fehlten Arbeitskräfte, das BIP-Wachstum belief sich 2023 auf 2,5 Prozent und es herrsche Vollbeschäftigung. Der Fokus des Landes sei auf die nationale Sicherheit, auf das Inland gerichtet – und gegen China. Die rund 5800 deutschen Tochter-Unternehmen schafften eine Million Arbeitsplätze, seien der zweitgrößte Arbeitsgeber im Land und wegen der überdurchschnittlichen Löhe und der guten Berufsausbildungen angesehen.
Reiner Perau von der AHK Ukraine berichtete von 150 Mrd. Euro Kriegsschäden in der Ukraine, von verminten Flächen in der Größenordnung Großbritanniens. Dennoch gebe es Optimismus: „Die Ukraine funktioniert als Staat. Überall, wo Sie weiter weg sind von der Front, funktioniert die Wirtschaft.“
Zum Schluss der von Antje Diller-Wolff moderierten Talkrunde berichtete Alexandra Gerhardy, Geschäftsführende Gesellschafterin der Muster-Schmidt Verlagsgesellschaft mbH aus Northeim von ihren Erfahrungen mit Auslandshandelskammern und Delegationsreisen: „Für uns sind die Kontakte vor Ort sehr wichtig und wertvoll“, resümierte die Unternehmerin.
In den nächsten Monaten finden bislang zwei Delegationsreisen mit dem Land Niedersachsen statt – nach China (26. bis 31. Mai) und nach Marokko (25. bis 28. Juni).