Seit 75 Jahren baut und restauriert Hillebrand Orgelbau aus Altwarmbüchen mit Passion und Können Kirchenorgeln. Aktuelle Projekte sind die Restauration der Christian-Vater-Orgel aus Sehnde-Ilten und der stilgerechte Neubau der Barock-Orgel aus Voltlage.
Martin Hillebrand hat gerade ein Telefonat mit einem Pfarrer beendet. Viel Zeit für längere Gespräche bleiben dem 63-jährigen Orgelbaumeister an diesem Tag nicht. Sein Sohn Christian steht in der Tür: Eine der wichtigsten Maschinen im Altwarmbüchener Orgelbauunternehmen, die Formatkreissäge, funktioniert nicht mehr. Da selbst der Austausch der Sicherungen nichts gebracht hat, wird klar: Der Motor ist defekt, ein neuer muss gekauft und eingebaut werden – und zwar schnell.
Im Laufe seiner 75-jährigen Unternehmensgeschichte hat Hillebrand fast 700 Orgelprojekte ausgeführt. Zu den Neubauten zählen zum Beispiel die Orgeln in der Alten Inselkirche auf Baltrum (1950), in der Christuskirche in Hannover-Nordstadt (1958), im Dom zu Verden an der Aller (1968), in der Johanniskirche in Hannover-List (1978), in der Dreifaltigkeitskirche in Warschau (1997/1998) oder in der Stiftskirche Fischbeck (2007). „Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre gab es einen Kirchbauboom, der eine entsprechend hohe Nachfrage nach Orgelneubauten mit sich brachte. Zeittypisch war auch der Wunsch, ältere Orgeln nicht mehr in Stand zu setzen, sondern komplett zu erneuern. Hierzu wurden auch die neuen, moderneren Materialien wie Kunststoff, Schaumgummi und Aluminium genutzt“, erklärt Martin Hillebrand. „Dass diese Materalien sich nicht bewährten, zeigte sich nach kurzer Zeit. Nicht zuletzt aus diesem Grunde erfolgte zum Ende der 70er-Jahre ein Umdenken im Orgelbau – hin zum Qualitativen. Es gab auch eine Rückbesinnung auf alte Handwerkstechniken sowie die Wiederverwendung der Materialien des 18. Jahrhunderts.“
Die stark gesunkene Nachfrage nach Orgelneubauten und die Umbesinnung zur traditionellen Fertigung hatten zur Folge, dass sich die 70-köpfige Belegschaft in den Werkstätten in Altwarmbüchen, Braunschweig und Verden zum Ende der 60er-Jahre im Verlauf der letzten Jahrzehnte drastisch reduzierte.
Martin Hillebrand ist seit 1992 Geschäftsführer der Gebr. Hillebrand GmbH Orgelbau KG. Das Unternehmen wurde 1948 von seinem Großvater Hermann Hillebrand gegründet. Nach dessen Tod ging das Unternehmen auf seine beiden Söhne Harry und Guntram über. Inzwischen ist mit Martin Hillebrands Söhnen Nikolas (34) und Christian (23), beide ebenfalls Orgelbauer, auch die vierte Generation im Unternehmen. Zum elfköpfigen Team gehören drei Auszubildende Orgelbauer, die in ihrer dreieinhalbjährigen Ausbildung neben Metall- und Holzverarbeitung auch die Funktionsweisen der mechanischen, pneumatischen oder elektrischen Ansteuerung der Windladen sowie die Intonation und Stimmung der Orgelpfeifen lernen.
Komplexität der Produkte
Nicht umsonst wird die Orgel als Königin der Instrumente bezeichnet. Die komplexen Instrumente bestehen im Wesentlichen aus drei Hauptteilen: Pfeifenwerk, Windversorgung (Gebläse, Bälge, Kanäle, Windladen) und der Mechanik. Letztere besteht aus der Spieltraktur sowie der Registermechanik, die wie bei einem Koordinatensystem dem Wind den Zugang zu den jeweils gewünschten Pfeifen ermöglichen. Die Metallpfeifen, die das Unternehmen aus einer Zinn-Blei-Legierung herstellt, können bis zu zehn Meter lang sein. „Nachdem in den 70er-Jahren die Holzpfeifen meist aus Mahagoni erstellt wurden, kommen nun wieder die heimischen Hölzer Eiche und Fichte zum Einsatz“, so Hillebrand. „Eine kleine Kirchenorgel hat etwa 10 bis 15 Register, verteilt auf ein Manual mit 56 Tasten und ein Pedal mit 30 Tasten. Erst nach dem Ziehen eines Registerzuges erklingt beim Drücken einer Taste auch eine Pfeife, wobei manche Register jedoch auch mehrfach besetzt sind, so dass bei diesen dann zwei, drei oder auch acht Pfeifen gleichzeitig erklingen.“ Dabei muss nicht jede Orgelpfeife auch eine Funktion haben. Vielfach sind Orgelpfeifen im Prospekt, also dem äußeren Erscheinungsbild, schlichtweg aus Schmuckgründen vorhanden.
Aktuelle Großprojekte
Seit etwa eineinhalb Jahren bearbeitet das Hillebrand-Team parallel zwei große Aufträge: die Restauration der Christian-Vater-Orgel aus der Kirchengemeinde Sehnde-Ilten und der stilgerechte Neubau der Barock-Orgel aus der St. Katharina-Kirche in Voltlage. Hinzu kommen regelmäßige Wartungen, die in den Kirchen vor Ort durchführt werden. „Bei der Christian-Vater-Orgel aus Ilten wurden alle Beschädigungen beseitigt und alles Fehlende rekonstruiert – etwa die erhaltenen Orgelpfeifen Vaters restauriert bzw. fehlende rekonstruiert, Registerknöpfe nachgedrechselt sowie eine vierfache Keilbalganlage zur Windversorgung neu erstellt, die neben dem Orgelgebläse auch in traditioneller Art und Weise wieder von Calcanten auf mechanischem Wege betrieben werden kann.“
Die Voltlager Barockorgel befand sich aufgrund mehrerer Umbauten im jeweils zeittypischen Stil in einem beklagenswerten Zustand. Originalsubstanz war nur noch im Pfeifenwerk aufzufinden. Der Barockprospekt soll von Hillebrand im Innern wieder eine klangschöne Orgel im traditionell gefertigtem Stil erhalten. Das stark in Mitleidenschaft gezogene Orgelgehäuse wird restauriert und ergänzt, die Windladen, die Spiel- und Registermechanik sowie die Windversorgung neu hergestellt. Neben den restaurierten Originalpfeifen werden neue Holzpfeifen aus Eiche und Fichte verbaut und in den Prospektfeldern kommen wieder neue Pfeifen aus Zinn zur Aufstellung.
In einer zweiten Werkstatt in Altwarmbüchen ist unter anderen die unter der Leitung von Hermann Hillebrand 1958 gebaute Orgel aus der Christuskirche in Hannover eingelagert. Die Orgel, die sich seit 2012 unter Denkmalschutz befindet, besteht aus einem Hauptwerk und einem Oberwerk mit jeweils 12 Registern, einem Brustwerk mit 7 Registern, einem Rückpositiv mit 10 Registern sowie einem beidseitig angeordneten Pedal mit 14 Registern. Sie verfügt somit über 55 unterschiedliche Stimmen, die mittels der mehr als 4200 Pfeifen erklingen können. „Sie ist die einzige von vier viermanualigen Orgeln aus Hannover, die noch nicht verändert wurde. Die Intonation ist noch neobarock. Auch die Disposition – also die Registerauswahl – soll in dieser Form erhalten bleiben“, so Hillebrand. Wegen Schimmelbefalls musste sie 2011 ausgebaut werden. Die Gemeinde möchte die Orgel wieder einbauen lassen. Erste Gelder wurden bereits gespendet.
2017/2018 hat Hillebrand an einem Forschungsprojekt zur Verminderung von Bleikorrosion an Orgelpfeifen aus dem 17./18. Jahrhundert teilgenommen. Heute ist das Problem sogar noch virulenter: „Seit der Jahrtausendwende hat die Luftfeuchtigkeit kontinuierlich zugenommen, so dass heute eine Schimmelpilzbildung innerhalb der Orgeln fast zum Normalfall geworden ist. Dazu kommt, dass die Kirchen immer kürzer und weniger beheizt werden. Die hierdurch im Kirchenschiff erhöhte Luftfeuchtigkeit führt zu stärkerer Korrosion und Schimmelpilzbildung, so dass Orgeln nun etwas früher zur Reinigung anstehen.“
Am Nachmittag ruft der Lieferant an: „Montag wird der neue Motor eingebaut.“ Martin Hillebrand kann aufatmen.