Von Klaus Pohlmann
Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit: Wie ein hannoverschen Start-Up zwei zukunftsbestimmende Themen verbindet. Die von der choyze GmbH entwickelte Lösung kann zeigen, wie Nachhaltigkeit zum Beispiel in einer Unternehmensbelegschaft verankert ist.
Nachhaltig – bin ich. Oder? Aber verhalten Sie sich nachhaltig? Und wenn ja: Was ist mit Ihrer Umgebung, Ihren Mitarbeitenden? Ein hannoversches Start-Up verspricht Antworten und setzt dabei auf Künstliche Intelligenz.
„Wir machen etwas sichtbar, was nicht sichtbar ist.“ Sagt Raphael Meyer-Alten. Nicht nur, wie jemand ganz persönlich tickt in Sachen Nachhaltigkeit. Sondern auch, wie es um eine ganze Gruppe steht – zum Beispiel die Beschäftigten eines Unternehmens. Meyer-Alten hat die choyze GmbH gegründet, bildet heute zusammen mit Lukas Nolte und Uwe Berger die Führung des im Oktober 2022 gegründeten Unternehmens.
Ein lernfähiger Algorithmus steht dabei im Mittelpunkt: Machine learning, maschinelles Lernen – ein Teilbereich auf dem Gebiet der KI. Wie ordnet man mit einer überschaubaren Zahl von Fragen jemanden zutreffend in ein Spektrum ein, dass von „ablehnend“ bis „konsequent nachhaltig“ reicht? Und zwischen diesen beiden gibt es noch andere Gruppen: die Skeptischen, Unent- und die Aufgeschlossenen, die Orientierten. Entscheidend sind zwei Kriterien: Wie ist die Einstellung gegenüber Nachhaltigkeitsthemen? Und handelt man auch danach?
Damit schließt choyze an die Umweltbewusstseinsforschung an. Die ist seit inzwischen mehr als 25 Jahren im Umweltbundesamt verankert, mit dem choyze kooperiert. Von dort stammt auch ein guter Teil der Daten, mit denen der Algorithmus trainiert wurde und weiter gefüttert wird.
Das Umweltbundesamt habe, sagt Meyer-Alten, rund 330 Nachhaltigkeitskriterien erfasst. Aus denen filterte das choyze-Team für sein Modell etwa 15 heraus, die ausreichen, um zu erkennen, wie nachhaltig jemand denkt und sich dann tatsächlich verhält. Wieviel Zeit fließt in nachhaltiges Handeln? Und immer ein guter Gradmesser: Wieviel Geld ist man bereit, für Nachhaltigkeit auszugeben? Konkrete Fragen sind zum Beispiel: Kann jemand sich vorstellen, auf weniger Fläche zu wohnen? Oder: Wie fährt man zur Arbeit, mit Fahrrad und S-Bahn vielleicht?
Um es vereinfacht zu sagen: Mit Methoden des Machine Learning hat choyze ein Instrument geschaffen, mit dem sich ziemlich genau feststellen lässt, wie Nachhaltigkeit in einer Gruppe tatsächlich verankert ist. Eine Art Röntgenbild, das da entsteht, mit nicht immer angenehmen Erkenntnissen. Wenn sich zum Beispiel zeigt, dass die Mitarbeitenden weit weniger nachhaltig denken als von der Führungsebene eingeschätzt: KI ersetzt das Bauchgefühl. Aber: „Wir untersuchen das ohne moralischen Zeigefinger“, sagt choyze-Chef Meyer-Alten. Ziel ist zunächst, ein zutreffendes Profil zu erstellen. Erst dann folgen Handlungsempfehlungen. Ein solches Profil kann auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen wichtig sein, die vom kommenden Jahr in Schritten auf immer mehr Unternehmen ausgedehnt wird.
Unabhängig davon: „Nachhaltigkeit wird immer mehr zu einem Reputationsthema“, meint Uwe Berger. Der Geschäftsführende Gesellschafter der hannoverschen Agentur B&B engagiert sich nicht ohne Grund bei choyze. Nachhaltigkeit: „Schon jetzt ist sie lebensnotwendig für deine Marke, ein Kernbestandteil in deiner Markenkommunikation und in deiner Arbeitgebermarke.“ So heißt es auf der B&B-Website.
Der Gedanke hinter dem Ansatz des hannoverschen Start-Ups lässt sich etwas holzschnittartig, aber wohl zutreffend so zusammenfassen: Der Blick ins Unternehmen bietet eine Grundlage, um – falls nötig – nachhaltiger zu werden und das auch nach außen zu vermitteln. Ebenso sieht Berger aber die Möglichkeit, über das KI-Modell auch die Marktchancen neuer Produkte mit Nachhaltigkeitsanspruch zu testen: „Potenzialanalyse im Bereich des nachhaltigen Konsums.“ Also: Wer kauft ein nachhaltiges Produkt wirklich? Keine Wunder, dass choyze für eine Kommunikations- und Markenagentur wie B&B hoch interessant ist.
Schwerpunkt bislang in der Finanzwirtschaft
Bislang arbeitet choyze zum überwiegenden Teil in der Finanzwirtschaft, vor allem für Versicherungen. Wenig überraschend, wenn man sieht, dass hinter dem jungen Unternehmen neben B&B auch die Limburger vtmw AG steht: Das IT-Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt Finanz- und Versicherungswirtschaft steuert die KI bei. Lukas Nolte aus dem choyze-Führungsteam ist bei vtmw für strategische Partnerschaften zuständig.
Gegründet wurde das mehrfach mit Preisen ausgezeichnete noch junge Unternehmen im Umfeld der VentureVilla, einer Einrichtung der hannoverschen Wirtschaftsförderung Hannoverimpuls. Dort sollen Technologie-Start-Ups unterstützt werden, die noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen. Hier entstanden auch die Kontakte zu Uwe Berger und B&B. Inzwischen hat choyze neun Mitarbeiter mit fünf Nationalitäten. Darunter zwei Entwicklerinnen – das liegt etwas über dem Durchschnitt in der IT-Branche. Hat hier aber auch noch Luft nach oben, sagt Raphael Meyer-Alten.
Diversität: Auch das ist ein Aspekt von Nachhaltigkeit. Choyze arbeitet auf der Grundlage der ESG-Kriterien, die neben Umwelt – Environment – auch Soziales und Governance, also die nachhaltige Führung eines Unternehmens oder einer Organisation umfassen – womit Arbeitsbedingungen und ökonomischer Erfolg in den Blick kommen.
Mit choyze sieht sich Meyer-Alten an der Schnittstelle zweier die Zukunft bestimmender Themen: Nachhaltigkeit und Künstliche Intelligenz. Was choyze macht, sagt er, sei ein „kleiner analytischer Teil der Transformation.“ Also einer Entwicklung, mit der „Wirtschaft und Gesellschaft in die planetaren Grenzen eingeordnet werden müssen“, so Meyer-Alten. So weit das große Ganze. Choyze, das macht er deutlich, will über das KI-gestützte Sichtbarmachen von Einstellungen verschiedener Anspruchsgruppen – sonst auch gerne Stakeholder genannt – Zielkonflikte erklären. Wenn es gelingt, die zu lösen, käme man vielleicht dem näher, was Meyer-Alten nach eigenem Bekunden ganz wesentlich antreibt: „Die Welt ein klein wenig besser machen.“