Das von der EU geplante PFAS-Verbot hätte drastische Folgen für nahezu alle Unternehmen. Betroffen wären nicht in großem Umfang Produkte: Eine Verordnung, wie sie aktuell auf dem Tisch liegt, würde tief in Produktionsprozesse und Lieferketten einschneiden. Noch läuft das Konsultationsverfahren. Bei einer Veranstaltung in der IHK Hannover wurde informiert – und gewarnt. Durch ein Verbot wären auch die  Transformation der Wirtschaft, wären Energie- und Mobilitätswende gefährdet.

Was für eine Welle da auf Unternehmen aller Branchen zurollt, das wurde im Plenarsaal der IHK Hannover nur allzu deutlich. Gleich drei durchaus unterschiedliche Institutionen hatten eingeladen, um über das geplante EU-Verbot von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen oder kurz PFAS zu informieren: die IHK, der Verband der Chemischen Industrie (VCI Nord)  und das niedersächsische Wirtschaftsministerium. Schon diese Dreierkonstellation unterstreicht die Bedeutung eines EU-Vorhabens, das nach übereinstimmender Meinung gravierende Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft hätte.

Betroffen von einem PFAS-Verbot – üblicherweise wird die Abkürzung P-Fas ausgesprochen – wären rund 10.000 Stoffe, die für verschiedenste Produkte genutzt und umfassend in der Wirtschaft eingesetzt werden. Oder, wie Wirtschaftsminister Olaf Lies sagte: „Es fällt schwer, einen Bereich zu nennen, der nicht betroffen wäre.“ PFAS ist, das machte auch Renate Klingenberg vom VCI Nord deutlich, kein Thema allein der Chemie, sondern geht weit über die Branche hinaus: „Ein Anwendungsthema.“

Womit sich Unternehmen jetzt befassen müssen

Dass so viele Unternehmen sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen, aber noch nicht alle ausreichend für sensibilisiert sind, hatte IHK-Chefin Maike Bielfeldt auf den Plan gerufen: Mehr als 100 Unternehmen verfolgten Ende Juni vor Ort in der IHK oder virtuell die Informationsveranstaltung. Bielfeldt rief – und das zog sich auch durch viele andere Beiträge – dringend die betroffenen Unternehmen dazu auf, sich an dem noch bis in den September laufenden EU-Konsultationsverfahren zu beteiligen.

IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt und Wirtschaftsminister Olaf Lies.

PFAS-Produkte können extremen Bedingungen standhalten, unter anderem hohen Temperatur- und Druckdifferenzen widerstehen und dauerhaft die Funktions- und Leistungsfähigkeit von Produkten und Anlagen sichern: Genau das macht sie so nützlich. Allerdings hat gerade die Langlebigkeit der Stoffe nicht nur zu der Bezeichnung Ewigkeitschemikalien geführt, sondern auch zu der aktuellen Verbotsinitiative beigetragen, die von Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden und den Niederlanden ausging.

Die Liste der Produkte, in denen sich PFAS finden, ist fast unübersehbar und umfasst nahezu alle Branchen. Auch Anwendungen, die für die Transformation des Energie- und Verkehrssektors wichtig sind, gehören dazu: Zum Beispiel in der Wasserstoffwirtschaft – PFAS-Polymere in der Membran-Elektrodeneinheit, einer Kernkomponente der Brennstoffzelle. In der Medizintechnik geht es um Kontaktlinsen, Herzschrittmacher, Stents oder faserbasierte Laserchirurgie, im Maschinen- und Anlagenbau zum Beispiel Dichtungen oder O-Ringe unter anderem in Notstrom-Diesel-Generatoren. Umfassend betroffen ist auch die Automobilindustrie. Und das alles sind nur Beispiele: Die Anwendungsbereiche sind umfassend.

Einhellig kritisiert wurde deshalb bei der Veranstaltung in der IHK Hannover immer wieder das pauschale Verbot einer ganzen Stoffgruppe. Auch Wirtschaftsminister Lies sprach sich für eine differenzierte Betrachtung aus. Er machte deutlich, dass es neben den wirklich problematischen PFAS-Substanzen auch unproblematische gibt. Und bei denen, die dazwischen liegen, müsse man sich fragen, wie gefährlich, aber auch, wie ersetzbar diese Stoffe überhaupt sind. Alles verbieten? Das sei „ehrlicherweise absurd“, so Lies.

Warum überhaupt so viele Stoffe ins Blickgeld gerieten

Das weitreichende Verbot, wie es jetzt geplant ist, geht auf die umfassende OECD-Definition dieser Stoffe zurück. Das erläuterte Dr. Mirjam Merz vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Insgesamt würde sich ein PFAS-Verbot in der jetzt geplanten Form massiv auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Denn Stoffe, mit denen man die Per- und Polyfluoralkylsubstanzen ersetzen kann, gibt es in vielen Fällen nicht oder noch nicht. Und wenn es sie gibt, dann möglicherweise nicht in ausreichender Menge. Merz sprach den generischen, undifferenzierten Ansatz des jetzt geplanten PFAS-Verbots an. Und obwohl es noch nicht beschlossen sei, sondern noch diskutiert werde, fallen nach ihren Worten deswegen bereits heute Investitionsentscheidungen gegen den Standort Deutschland. Umso mehr rief auch die BDI-Vertreterin gerade Unternehmen dazu auf, sich am – allerdings aufwändigen – Konsultationsprozess zu beteiligen: Es reiche nicht, wenn sich dabei nur die Verbände zu Wort meldeten: „Sie müssen selber etwas tun.“

In der IHK Hannover jedenfalls kamen Unternehmen zu Wort, die jeweils eigene Facetten der Betroffenheit zeigten. Für Klaus Deleroi, Geschäftsführer des Hamelner Schiffsgetriebeherstellers Reintjes GmbH ist, wäre ein PFAS-Verbot angesichts einer Exportquote von 99 Prozent eine existenzielle Bedrohung. Dichtungen, Schläuche oder Lacke sind nur Beispiele für PFAS in Reintjes-Getrieben. Er wies aber auch auf weitere Probleme hin: Alternativen ohne PFAS wären nicht nur teurer, sondern stünden noch nicht einmal zur Verfügung stehen, wenn sie mit Anlagen hergestellt würden, die selbst durch ein PFAS-Verbot stillgelegt werden müssten. Ein Verbot, wie jetzt geplant, zöge sich damit durch die gesamte Lieferkette eines Unternehmens.

In vielen Fällen müssen Unternehmen also zunächst ermitteln, wo überall sie von einem Aus für PFAS betroffen wären. Was nicht unbedingt leicht ist, denn es ist entlang der Lieferkette oft noch unklar, ob Produzenten von bestimmten Materialien und Vorprodukten PFAS für ihre Fertigung benötigen

Was die EU-Pläne vorsehen

Dr. Gitta Egbers von der BASF Polyurethanes GmbH in Lemförde machte zudem auf einen Widerspruch aufmerksam: Die zum Teil teuren PFAS werden aus gutem Grund eingesetzt, weil sie durch ihre Eigenschaften zum Beispiel Emissionen verhindern. Jetzt werde genau das Instrument verboten, mit dem dieses Ziel erreicht werde. Und sie erinnerte daran, dass PFAS zum Teil Stoffe wie Asbest oder Quecksilber verdrängt haben.

Olaf Tanner von der Aerzener Maschinenfabrik GmbH warnte vor einer Verlagerung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in Regionen außerhalb der EU und sprach ebenfalls grundlegende Widersprüche an. Ein pauschales Verbot von PFAS gefährde die Transformation der Wirtschaft in wesentlichen Bereichen wie Mobilität und Energieversorgung. Und wenn alternative Materialien nicht mehr so widerstandsfähig seien, leidet die Nachhaltigkeit schon deshalb, weil schnellere Wartungszyklen erforderlich seien.

Auch Thomas Sewald vom hannoverschen Technologiekonzern Continental sieht Zielkonflikte bei einem umfassenden PFAS-Verbot und sprach sich für eine differenzierte Betrachtung aus. Hans Marschhausen von der hannoverschen Renk GmbH sieht zwar eine Chance, in den Produkten seines Unternehmens PFAS in den kommenden zwei bis drei Jahren zu ersetzen. Das aber nur mit einem höherer Aufwand gegenüber heute.

Warum die Zeit knapp ist

Die Uhr tickt also. Mit einem Inkrafttreten einer PFAS-Verordnung wird 2026 oder 2027 gerechnet. Die Übergangszeit beträgt im Regelfall 18 Monate. Danach dürfen PFAS nicht mehr in den Verkehr gebracht, nicht mehr nachproduziert und nicht mehr importiert werden.

Es gibt allerdings Ausnahmen. Für wenige Einsatzgebiete gibt es unbefristete Ausnahmen, zum Beispiel in Pflanzenschutzmitteln. Befristete Ausnahmen von 6½ bis zu 13½ Jahren sieht der Beschränkungsvorschlag nur für einige Verwendungen vor. Die erste greift, wenn PFAS-Alternativen noch zu Ende entwickelt werden müssen, das aber in der Übergangsfrist von 18 Monaten nicht zu schaffen ist. Oder wenn es bereits Alternativen gibt, sie aber nicht in den eineinhalb Jahren in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Dann greift eine Übergangszeit von sechseinhalb Jahren. Eine zweite, noch längere Frist kann relevant werden, wenn keine Alternativen in naher Zukunft oder eine entsprechende Zertifizierung nicht in Sicht sind. Dann bleiben 13 ½ Jahre Zeit, um sich umzustellen.

Was Unternehmen jetzt tun sollten

Die jetzt geplanten Ausnahmen und Übergangsfristen greifen nicht weit genug, sie werden in der Wirtschaft vielfach als Tropfen auf den heißen Stein gesehen. Weiter gibt es Entwicklungs- und Produktionszyklen, die gerade in der Automobilindustrie deutlich länger sind als etwa die sechseinhalb Jahre, die als eine der Ausnahmefristen vorgesehen sind. Das machte Continental-Vertreter Sewald in Hannover deutlich. Außerdem werden für so viele Stoffe Alternativen gebraucht, dass für deren Entwicklung Kapazitäten und insbesondere Fachleute nicht ausreichend vorhanden sind.

Nur ein Beispiel für konkrete Stolpersteine: Ein Unternehmen nimmt 2025 eine brandneue Produktionsanlage in Betrieb, in der PFAS-Dichtungen oder ähnliche Komponenten eingesetzt werden. Die Anlage könnte 15 oder 20 Jahre laufen. 2035 gehen mehrere PFAS-Dichtungen kaputt, die Maschine kann nicht mehr betrieben werden. Dürfen dann Ersatzteile nicht mehr produziert und in Verkehr gebracht werden, bleibt die Maschine außer Betrieb. Wenn aber Ersatzteile aus einem alternativen Material vorhanden sind, gibt es neues Problem: Die Genehmigung der Anlage ist auf einer anderen Grundlage erteilt worden, die Maschine kann ohne neue Genehmigung auch nicht weiterbetrieben werden. Entsprechend wurde bei der Veranstaltung in der IHK auch immer wieder bezweifelt, ob eine Verordnung mit derart unübersehbaren Auswirkungen handwerklich überhaupt gut gemacht sei.

Noch einmal: Aufruf zur Teilnahme am Konsultationsverfahren

Von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) gibt es Handlungsempfehlungen für die Beteiligung an der Konsultation der Europäischen Union und generell für den Umgang mit einem möglichen Verbot. Noch bis zum 25. September dieses Jahreskönnen Unternehmen an der Konsultation teilnehmen und die eigene Betroffenheit deutlich machen.

Die DIHK empfiehlt Unternehmen aktuell folgende Schritte:

  • Analyse der eigenen Produktpalette, der Herstellungsprozesse und der Lieferkette, um die Verwendung von PFAS zu identifizieren
  • Ausnahmeregelungen, wie aktuell vorgesehen, mit Blick auf die eigene Betroffenheit prüfen
  • Auswirkungen und Folgen eines Verbots abschätzen sowie PFAS-Ersatzstoffe bewerten
  • Ergebnisse dieser Bewertungen und Prüfungen im Rahmen der EU-Konsultation einreichen
  • Langfrist-Planung für den Einsatz von PFAS-Ersatzstoffen

Auf Basis dieser Ergebnisse können sich Unternehmen dann in die Konsultation einschalten. Auch Renate Klingenberg, die für den VCI Nord durch die Veranstaltung in der IHK Hannover führte, betonte die Notwendigkeit, das zu tun: „Gemeinsam sind wir stark.“

Im Umfeld der Veranstaltung hat unser Redakteur Georg Thomas Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies und betroffene Unternehmen zum Thema interviewt: Video-Statements von Wirtschaftsminister Olaf Lies und betroffenen Unternehmen zum geplanten PFAS-Verbot

Vielfältig verbunden in der Kritik an PFAS-Plänen: Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Unternehmen und Institutionen mit Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (4.v.l.).

 

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