+++ Aktualisiert am 13. März: Im Westen nichts Neues wurde mit vier Oscars ausgezeichnet, unter anderem als bester internationaler Film. +++
An kommenden Wochenende werden in Los Angeles die Oscars verliehen. Nominiert als Bester Film: Im Westen nichts Neues. Die Romanvorlage schrieb Erich Maria Remarque. Der in Osnabrück geborene Schriftsteller wurde vor 100 Jahren für kurze Zeit Chefredakteur der Werkszeitschrift von Continental. Vom Schreiben leben, das begann für einen der meistgelesenen deutschen Autoren in einem hannoverschen Unternehmen. Grund genug, einen Beitrag aus der NW von 2019 über diese Zeit noch einmal zu veröffentlichen. Übrigens: Die erste Verfilmung von 1930 gewann zwei Oscars. Remarque war da aber von Hannover aus schon weitergezogen.
Dunkel. Es mag zutreffen oder auch nicht. Aber denkt man an Hannover in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, taucht schnell dieses Wort auf: dunkel. Das mag zu tun haben damit, dass der Waffenstillstand 1918 in den November fiel. Eine in Stahlgewittern verloren gegangene Generation junger Männer kehrte in eine ausgezehrte und aufgewühlte Heimat zurück. Und keiner ahnte, dass noch vor der kurzen Blüte der goldenen 20er Jahre in der zweiten Hälfte jenes Jahrzehnts die Schranke der Hyperinflation stand mit ihren gleichermaßen dramatischen wie skurrilen Auswüchsen.
Das Land und gleichermaßen die Stadt organisierten sich für die Nachkriegszeit. Im Westen gehörte neu seit 1920 das Industriedorf Linden zu Hannover. Damit lagen, unter anderem, die Hanomag und die Hannoversche Waggonfabrik auf hannoverschem Stadtgebiet. Lokomotiven, Straßenbahnwagen, wenig später die vielleicht erste Fließbandproduktion eines Autos in Deutschland: Hier schlug das Herz der hannoverschen Industrie besonders dröhnend. In dieser industriellen Herzkammer bauten vier junge Männer, allesamt Ex-Militärpiloten, ihr Segelflugzeug, das sie „Vampyr“ nannten und mit dem sie 1921 in der lichtdurchfluteten Rhön den modernen Segelflug begründeten. Vampyr? Erst zwei Jahre später wird Fritz Haarmann, ab und an Vampir von Hannover genannt, mit einer Mordserie nicht nur die Stadt, sondern Deutschland erschüttern. Sein Foto, sein teilnahmsloses Gesicht mit und ohne Hut, verdüstert ebenfalls das Bild Hannovers der frühen 20er Jahre. Zumal der Prozessbeobachter Theodor Lessing nicht nur Taten und Opfer beschrieb, sondern auch ein Bild dumpfer Polizei- und Justizwillkür zeichnete.
Doch davon wusste man 1921 noch nichts: „Der Krieg und die sich anschließenden Ereignisse haben die einst so glänzende deutsche Wirtschaft an den Rand des Abgrundes gebracht“, schrieb Pelikan-Chef Fritz Beindorff im ersten Leitartikel des neuen Wirtschaftsblatts Niedersachsen, des unmittelbaren Vorgängers dieser Zeitschrift, der Niedersächsischen Wirtschaft: „Weite Volkskreise leiden bittere Not.“ Eine riesige schwarze Gestalt, die in jenem Jahr auf dem Titelbild der Jubiläumsausgabe von „Echo Continental“ über den Werksgebäuden thront, ist wohl nicht nur Sinnbild der Reifenproduktion, sondern auch Spiegel des Zeitgefühls. Aber andererseits hatte Continental im Jubiläumsjahr mit 10 000 die Mitarbeiterzahl gegenüber dem Kriegsende bereits verdreifacht.
Mit Ambitionen nach Hannover
1921 wurde die Continental-Cautchouc & Gutta-Percha Compagnie 50 Jahre alt. Es war das Jahr, in dem ein junger Mann aus dem Emsland kommend auf dem Weg zum Weltruhm in Hannover Station machte. Erich Maria Remarque schrieb zunächst als freier Mitarbeiter für das „Echo Continental“, zog 1922 in die Stadt und war dann 1923/24 Chefredakteur der Werkszeitschrift. Vier Jahre später schuf er mit seinem Roman „Im Westen nichts Neues“ einen Welterfolg.
Ein Buch, das bereits 1930 in den USA oscarprämiert verfilmt wurde und mit einer geschätzten Auflage jenseits der 30 Millionen zu den weitverbreitetsten deutschsprachigen Werken zählt. Remarque, der in seinen Romanen die verlorene Generation des ersten Weltkriegs über Inflation, Nationalsozialismus und Exil bis in die 40er Jahre begleitet, fand bei der Continental-Werkszeitschrift erstmals eine Stelle, bei der er fürs Schreiben bezahlt wurde – wie die englische Wikipedia-Ausgabe pragmatisch bemerkt, die ihn als technischen Autor einstuft. Andere beschreiben ihn als Werbetexter. Was denn nun?
Werbetexter wohl eher nicht im Sinne markiger Sprüche. Die Zeitschrift mit teils aufwendigen, von Künstlern gestalteten Titeln brauchte Texte, in der Tendenz journalistisch und erzählend, auch Glossen und Unterhaltendes. Das Journal erschien zwischen 1913 und 1941 mit insgesamt fast 230 Ausgaben. Sie wurde an ein breites Publikum verkauft, die Anzeigen kamen nicht nur von Continental, und die Themen waren vielfältig – solange sie Bezug zu einem Conti-Produkt hatten. Klar, es ging um Tipps für Autofahrer und die Begeisterung für das Auto. Luftfahrt war ebenfalls ein Riesenthema für die von jeher innovationsorientierte Continental: „Welche Entwicklung dieses Verkehrsmittel in der Zukunft nehmen wird, läßt sich heute kaum ahnen“, heißt es unter dem Bild eines tatsächlich so genannten Riesenflugzeugs. Sogar eine eigene „Flugnummer“ erschien 1919. Ganz groß auch der Sport: Auto- und Radrennen, Tennis und Fußball (schließlich stellte Continental Blasen für die Bälle her). Und Reisen, die Welt sehen. Natürlich, die Produkte standen im Mittelpunkt, spielten auf den oft aufwendig illustrierten Titeln eine Rolle. Wenn Remarque seine Beiträge selbst getippt hat, dann dürfte ihm irgendwann ein Begriff wie „Continental Cord Reifen“ wie von selbst in die Tasten geflossen sein, so oft kommt er vor. Allerdings sind Beiträge nicht namentlich gekennzeichnet. Remarque spielte wohl auch mit Pseudonymen, auch ein fünfzackiger Stern wird ihm als Autorenzeichen zugeordnet. Unter den Bildergeschichten jedoch, frühen Comics, mit ihren gereimten Texten steht regelmäßig das E.M.R., wenn auch nicht unter allen.
Remarque als Autor früher Comics im Echo Continental: das wurde auch schon wissenschaftlich untersucht. Zunächst waren da die Abenteuer des Kapitäns Priemke und seines Begleiters Okuhahayu, gefolgt 1923 vom erstmaligen Erscheinen der Conti-Buben Fritz und Franz. Die gehen auf Remarque zurück, er scheint die beiden auch sehr gemocht zu haben: Als er Anfang 1925 Hannover verließ, schrieb er weiter für die beiden.
Bekanntschaft mit den Kameraden des Motorsports
Vermutlich weist ja auch das Autorenkürzel „Emerik“ auf Remarque; dessen Reportage über das Baden-Badener Automobil-Turnier von 1924 beginnt so: „Der Wecker rasselt. Ich fahre hoch; – in 1 ½ Stunden fährt mein Zug ab.“ Packen muss der Autor auch noch, das hört sich etwas übernächtigt an. Aber als Motorsport-Beobachter für das Echo Continental hat er jedenfalls genug Benzin geschnuppert, um seinen 1936 erschienenen Roman „Drei Kameraden“ um einen Rennwagen und autobegeisterte Freunde ranken zu lassen. Und gut 30 Jahre nach seiner Zeit in Hannover erscheint „Der schwarze Obelisk“, der während der Inflation in einer fiktiven Stadt spielt, deren Name an Remarques Heimat Osnabrück erinnert. Am Rande beschreibt er die grotesken Abläufe, die Ende 1923 von der rasenden Geldentwertung erzwungen wurden – die Remarque vermutlich überwiegend in Hannover erlebt haben dürfte.
Wenn er gerade nicht in Patagonien war: Im Inflationsjahr machte Remarque dort eine Paddeltour – Continental stellte Bezüge für Faltboote her, dieser Wassersport war auch wiederkehrendes Thema im „Echo“. Unterwegs sein, schreiben, redigieren, des Heft organisieren: Remarque lernte nach eigenem Bekunden in Hannover das Redaktionshandwerk – eine weitere Lehrzeit für den ausgebildeten Lehrer. Und das Sprungbrett für die nächste Redakteursstelle ab 1925 in Berlin.
Es ging also aufwärts nach den ersten dunklen Nachkriegsjahren. Das gilt für Remarque. Aber auch für Deutschland. Aber der Schriftsteller beschreibt in seinen Romanen eben auch das Heraufziehen der Düsternis, die in den 30er Jahren endgültig das Land überschattete. Und aus diesem Grund erscheinen die 20er Jahre im Rückblick niemals ganz unbeschwert und oft auch einfach: dunkel.
Wir danken dem Erich Maria Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück für die Unterstützung. www.remarque.uni-osnabrueck.de