Der Koalitionsvertrag der neuen niedersächsischen Landesregierung gibt in wesentlichen Punkten die politische Richtung für die kommenden Jahre vor. Welche Punkte betreffen die Wirtschaft? Hier eine Übersicht.
Das Programm der neuen Landesregierung für die kommenden fünf Jahre steht fest. SPD und Grüne haben den Koalitionsvertrag ausgearbeitet und bereits mit der Umsetzung begonnen. Für die Wirtschaft in Niedersachsen ergibt sich ein gemischtes Bild. Die IHK Hannover hat sich den Vertrag der beiden Parteien genauer angesehen und Antriebe sowie Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung der Region herausgearbeitet.
Energiekrise: Hilfen schnell umsetzen
Die Energiekrise bringt viele Unternehmen finanziell ans Limit. Die Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag ein Soforthilfeprogramm in Höhe von 1 Mrd. Euro angekündigt. Ein entsprechender Nachtragshaushalt sieht in diesem Rahmen 200 Mio. Euro für Wirtschaftshilfen vor. Hiervon sollen vor allem stark betroffene kleine und mittlere Unternehmen profitieren. Dies ist ein wichtiger Schritt und eine gute Ergänzung zu den Aktionen auf Bundesebene. Nun ist entscheidend, dass die Hilfen von Bund und Land gut miteinander verzahnt werden. Die Beantragung muss für Unternehmen unbürokratisch möglich sein, damit die Hilfen schnell ausgezahlt werden können. Nur so kann Liquidität gesichert und können Betriebsaufgaben vermieden werden.
Verkehr: Schiene und Straße ausbauen
Die Überlegungen zur nachhaltigen und emissionsarmen bzw. emissionsfreien Mobilität sind auch aus wirtschaftlicher Perspektive wünschenswert. Allerdings wird der Transport von Gütern auch weiterhin viel Verkehr insbesondere auf der Straße erforderlich machen. Die geforderte Verlagerung auf Schiff und Schiene ist aufgrund begrenzter Kapazitäten – auch durch Priorisierung des Personenverkehrs – nur sehr eingeschränkt möglich. Vor diesem Hintergrund werden Überlegungen zum Ausbau der Schieneninfrastruktur ausdrücklich positiv gewertet. Allerdings fehlen im Koalitionsvertrag konkrete Vorschläge und Vereinbarungen, wie es gelingen soll, die sehr langen Planungs- und Beteiligungsprozesse so zu verkürzen, dass der zur Umsetzung der Klimaschutzziele erforderliche Infrastrukturausbau bis Anfang der 2030er Jahre tatsächlich realisiert werden kann.
Etwas überraschend ist in diesem Zusammenhang auch die Vorfestlegung des Landes auf einen trassennahen Ausbau der Schienenstrecke Hannover – Bielefeld. Aktuell finden Untersuchungen zu den möglichen Trassenalternativen statt, begleitet von einem Planungsdialog mit einer Vielzahl von Akteuren. Das Wesen einer Variantenuntersuchung ist und muss es auch sein, ergebnisoffen die Vor- und Nachteile der Varianten zu prüfen und so die insgesamt beste Variante zu finden. Aufgrund der überragenden Bedeutung der Straßeninfrastruktur für den Güterverkehr sollte sich das Land außerdem klar zur Notwendigkeit des Erhalts, Ausbaus und Neubaus der Bundesfernstraßen bekennen. Das ist im aktuellen Koalitionsvertrag jedoch nicht der Fall. Da die Planungsverantwortung für die Bundesstraßen beim Land liegt, muss hier auch auf eine Beschleunigung der entsprechenden Verfahren gedrungen werden.
Planung und Genehmigung beschleunigen
Insbesondere bei Klimaprojekten will die Landesregierung Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen, digitalisieren und beschleunigen. Das ist auch für die Wirtschaft ein wichtiges Signal. Allerdings sollte das Land hier noch einen Schritt weiter gehen: Denn beschleunigte Verfahrensabläufe sind auch in Bereichen ohne Klimavorrang notwendig, um unternehmerische Investitionen zu erleichtern. Gleiches gilt für die Ausnutzung rechtlicher Gestaltungsspielräume und die Vereinfachung vieler Verwaltungsabläufe. Beides würde es den Unternehmen ermöglichen, sich stärker auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. In der vergangenen Legislaturperiode wurde zudem mit der Clearingstelle des Landes Niedersachsen ein gemeinsames Instrument von Land und Wirtschaft geschaffen, das Bürokratie in neuen Gesetzesvorhaben verhindern sollte. Die Clearingstelle wird im neuen Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Sie leistet aber aus Sicht der Wirtschaft hervorragende Arbeit und sollte deshalb fortgeführt werden.
Energie: Niedersachsen zukunftsfähig machen
Die neue Landesregierung will Niedersachsen zum Energieland Nr. 1 für erneuerbare Energien und zur Drehscheibe für grünen Wasserstoff machen. Wasserstoff wird bei der Energiewende eine Schlüsselfunktion einnehmen. Regionale Wasserstoffcluster sollen weiter ausgebaut und der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur durch Innovationsförderung unterstützt werden. Perspektivisch setzt das Land damit die richtigen Ziele, um Niedersachsen zukunftsfähig aufzustellen.
Forschungspolitik für Industrie und Mittelstand
Zur Bewältigung anstehender Transformationsprozesse setzt das Land auf neue Technologien. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Förderung von Startups – auch
in ländlichen Räumen. Für die wirtschaftliche Entwicklung in der Region ist das ein positives Signal. Innovationszuschüsse sollen fortgeführt und bestehende Förderstrukturen weiter optimiert werden. In laufenden Transformationsprozessen
will die neue Landesregierung hingegen vor allem die Landwirtschaft unterstützen
und sieht besondere Förderpotenziale in der Bioökonomie sowie in der Sozial-, Kultur- und Kreativwirtschaft. Hier sollten Industrie und mittelständische Produktionsunternehmen nicht vergessen werden, die hierzulande seit jeher Innovationen maßgeblich vorantreiben und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Niedersachsen sichern.
Aus- und Weiterbildung – alle Branchen mitdenken
Aus- und Weiterbildung bezieht sich im Koalitionsvertrag vorrangig nur auf das Handwerk. Engpässe mit gesamtwirtschaftlichen Folgen gibt es aber auch in anderen Berufsgruppen. Hier sollten alle Branchen aus Industrie, Handel und Dienstleistung angesprochen und einbezogen werden. Die deutlich angesprochene Stärkung der Berufsbildenden Schulen mit ihrer tragenden Rolle für die duale Berufsausbildung wird ausdrücklich begrüßt und unterstützt.
Bessere Bildung für die Fachkräfte von morgen
Von frühkindlicher Bildung über die Schule bis hin zur Berufsbildenden Schule will die neue Landesregierung konsequent die Qualität der Bildung verbessern. Das kann auch aus wirtschaftlicher Sicht nur begrüßt werden. Denn guter Fachkräftenachwuchs braucht für einen erfolgreichen Ausbildungseinstieg solide Grundkompetenzen. Auch die geplante Verbesserung der Ganztagsangebote ist angesichts sprachlich und kulturell immer heterogener Klassen durchaus zielführend.
Vermögenssteuer – Standort nicht belasten
Im Koalitionsvertrag spricht sich die neue Landesregierung für die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer aus. Für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wäre das allerdings schädlich. Mit Substanzsteuern wie der Erbschaftsteuer oder der Vermögenssteuer verschlechtern sich die Standortbedingungen und die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen. In Zeiten massiv steigender (Energie-)Kosten sollten weitere Steuererhöhungen deshalb unbedingt vermieden werden.