Die Geschäftslage der niedersächsischen Wirtschaft hat sich trotz ansteigender Inzi­denzwerte und dem andauernden Ukraine-Krieg noch nicht weiter eingetrübt. Die Erwartungen an die Geschäftsentwick­lung sind im Vorfeld der möglichen Versorgungs­engpässe bei Erdgas allerdings stark verschlechtert. „Die immensen Preissteigerungen in nahezu allen Bereichen verunsichern derzeit Unternehmen wie Verbraucherinnen und Verbraucher, so Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen .

 

Es ist die Konsumneigung im Lebensmitteleinzelhandel, die mehr als andere zeigt, was noch auf Wirtschaft und Gesellschaft zukommen könnte: Der in der aktuellen IHK-Konjunkturumfrage gemessene Wert bewegte sich im zweiten Quartal in Folge nahezu geradlinig nach unten und verharrt nur knapp oberhalb eines historischen Tiefststandes. Kaufzurückhaltung spiegelt den Blick der Verbraucherinnen und Verbraucher an einen Herbst und Winter wider, in dem drastisch gestiegene Energiepreise zu stemmen sein werden.

Skepsis bei der Hälfte der Unternehmen
Auch die Erwartungen der Unternehmen insgesamt haben sich im zweiten Quartal nochmals leicht verschlechtert. Die Zahl der Firmen, die in den kommenden Monaten mit schlechteren Geschäften rechnen, stieg um einen Prozentpunkt auf jetzt 52 Prozent. Über die Hälfte der Unternehmen in Niedersachsen blickt skeptisch in die Zukunft: so viele wie noch nie. Eigentlich erwartbar, aber in diesem Ausmaß doch überraschend, so Maike Bielfeldt, die als Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen die Ergebnisse der Konjunkturumfrage vorstellte. Nur acht Prozent erwarten dagegen eine bessere Geschäftslage.
Damoklesschwert Erdgasversorgung

Zukunft schlägt Gegenwart: „Über allem schwebt das Damoklesschwert der Erdgasversorgung“, sagte die IHKN-Hauptgeschäftsführerin. Deshalb ihr deutlicher Appell, gerichtet an Unternehmen ebenso wie an die Gesellschaft insgesamt: „Energie sparen! Es muss uns gelingen, alle zusammen, Energie zu sparen.“ Die Industrie- und Handelskammern arbeiten beispielsweise in den Arbeitsgruppen mit, die von der Landesregierung zur Vorbereitung auf eine Energieknappheit im Herbst und Winter gebildet wurden – darunter auch eine, die sich mit dem Einsparen von Energie beschäftigt. Maike Bielfeldt wies auch auf ein Projekt wie die Energy Scouts hin, das von den Industrie- und Handelskammern seit rund zehn Jahren angeboten wird. Dabei lernen Azubis, welche Möglichkeit es gibt, und tragen dieses Wissen in die Unternehmen.

Klarer Appell: „Energie sparen.“ IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt bei der Vorstellung der aktuellen Konjunkturumfrage.

Noch allerdings gleicht jede Prognose einem Blick in die Glaskugel. Solange jedenfalls, bis klar ist, wie viel Gas aus welchen Quellen zur Verfügung steht. Die aktuelle Geschäftslage ist zwar weiterhin von Lieferkettenproblemen und Coronafolgen geprägt sowie von Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe. Sie hat sich aber gegenüber dem Frühjahr nur vergleichsweise wenig verschlechtert. Knapp einer Drittel der Unternehmen beurteilt ihre derzeitige Situation als gut, etwas mehr als die Hälfte ist zufrieden und 15 Prozent antworten mit schlecht. Für den IHK-Konjunkturklimaindikator, der sowohl die vergleichsweise stabile Lage als auch die sorgenvollen Erwartungen berücksichtigt, bedeutet das einen Rückgang um drei auf 80 Punkte. Damit hat er sich von einem niedrigen Niveau kommend leicht verschlechtert.

Die nach wie vor gute Auftragslage in der Industrie kann derzeit zu einem besonderen Konflikt führen. Rohstoffe und Vorprodukte haben sich nicht nur verteuert, sondern kommen teilweise nach wie vor nicht in den Unternehmen an. Ein Mangel an Fachkräften verschärft die Situation noch. Wenn die Unternehmen aber produzieren können, um Aufträge abzuarbeiten, passt das möglicherweise nicht zum Ziel, Energie zu sparen.

Bei den Aufträgen der Industrie hält das Polster

Dass die Auftragseingänge in der Industrie leicht zurückgegangen sind, ist auch Sicht von IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt nicht als Besorgnis erregend. Noch gibt es ausreichendes Polster, das für acht Monate reicht: noch nicht alarmierend, so Bielfeldt. Allerdings wurden sowohl Investitions- als auch Beschäftigungspläne leicht zurückgenommen.

Die vor allem bei Lebensmitteln jetzt bereits spürbare Konsumzurückhaltung wegen der erwarteten Preissteigerungen bei Strom und Gas wirken sich auch in anderen Bereichen aus. Von rückläufigen Umsätzen ist erstmalig auch der über Jahre erfolgsverwöhnte Online-Handel betroffen. Zwei von drei Einzelhandelsunternehmen rechnen mit einer ungünstigen Entwicklung. Auch der Großhandel ist betroffen. Ebenso befürchtet die Gastronomie wegen der schwindenden Kaufkraft rückläufige Umsätze und einen wirtschaftlich unangenehm stürmischen Herbst.

Preise für Energie und Rohstoffe sind das Top-Risiko

Wenig überraschend haben sich gegenüber dem Vorjahr die Energie- und Rohstoffpreise als Top-Konjunkturrisiko mit großem Abstand auf Rang 1 geschoben. Dahinter folgt der Fachkräftemangel, der im Jahresvergleich ebenfalls drängender geworden ist und nahezu allen Branchen betrifft. Angesichts der aktuellen Weltlage verwundert es auch nicht, dass die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ebenfalls als wesentliches Risiko für die Wirtschaft gesehen.

Bei der aktuellen IHKN-Konjunkturumfrage für das zweite Quartal wurden zwischen dem 21. Juni und dem 7. Juli rund 1900 Unternehmen in ganz Niedersachsen befragt. Derzeit läuft darüber hinaus eine weitere Umfrage zu den Einsparmöglichkeiten beim Energieverbrauch von Unternehmen.

 

IM VIDEO: IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt

Die Wirtschaftslage in Niedersachsen ist geprägt von großen Preissteigerungen bei Energie, Rohstoffen, Vor- und Endprodukten. Dabei hat sich die Lage im zweiten Quartal kaum verän­dert: Die aktu­elle Geschäftslage wird von 31 Prozent (Vor­quartal: 33 %) der Unternehmen als gut beurteilt, 53 Prozent (Vq. 51 %) sind zufrieden und 15 Prozent (Vq. 17 %) beurteilen ihre Lage als schlecht. Die Erwartungen an die kommenden Monate haben sich vor dem Hinter­grund möglicher Versorgungsengpässe bei Energie, rückläufigem Konsum und unverändert weltweit stockender Lieferketten weiter eingetrübt: Nur 8 Prozent der Unternehmen (Vq. 10 %) rechnen mit einer günstigeren Geschäftsentwicklung, 41 Prozent (Vq. 39 %) erwarten gleich­bleibende Geschäfte und 52 Prozent (Vq. 51 %) rechnen mit einer ungünstigeren Entwicklung. Die Investitions- und Personalplanungen wurden entsprechend etwas zurückgenommen.

Die Geschäftsentwicklung der Industrie ist unverändert von einer guten Auftragslage einerseits und mangelnder Lieferfähigkeit andererseits bestimmt. Rohstoffe und Vorprodukte haben sich teilweise kräftig verteuert, womit die Planbarkeit von Prozessen und die Kalkulation heraus­fordernd bleiben. Der Schwung bei den Auftragseingängen hat merklich nachgelassen, das vorhandene Auftragspolster ist allerdings noch groß. Die vielfältigen Unsicherheiten rund um die Verfügbarkeit von Vorprodukten, Preise und Lieferfähigkeit dämpfen die Investitions­absichten deutlich. Zentrale Bedeutung hat aktuell die Versorgungssicherheit bei Energie.

Die Geschäftslage der Bauwirtschaft ist aufgrund des großen Auftragsbestandes noch gut. Die Preissteigerungen bei Baumaterialien, der Fachkräftemangel und der deutliche Anstieg bei den Finanzierungskosten der Projekte bremsen den privaten Eigenheimbau. Die Erwartungen der Bauunternehmen sind aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen daher mehrheitlich ungünstig.

Zwei Drittel der Einzelhandelsunternehmen sind mit der Geschäftslage im zweiten Quartal zufrieden, ein knappes Drittel beurteilt die Lage als schlecht. Aber die Konsumneigung der Kundschaft erreicht – abgesehen von der Zeit der Corona-Schließungen – die schwächsten Werte seit der Konjunkturkrise von 2002 und der Finanzkrise von 2008. Die höheren Preise vor allem bei Gas und Strom schmälern das verfügbare Einkommen für alle Arten von Konsum­gütern. Dabei sparen die Verbraucherinnen und Verbraucher auch bei Lebensmitteln. Marken­produkte verlieren Marktanteile zugunsten der Handelsmarken. Von rückläufigen Umsätzen sind erstmalig auch die über Jahre erfolgsverwöhnten Online-Angebote betroffen. Knapp zwei Drittel des Einzelhandels rechnet insgesamt mit einer ungünstigen Entwicklung. Die Geschäfte des Großhandels sind mit Aus­nahme der IT-Technik ebenfalls betroffen. Die Einkaufspreise und Verfügbarkeiten bleiben die größten Probleme nicht zuletzt verursacht durch die anhaltend fragilen weltweiten Lieferketten.

Die Geschäftslage der Verkehrsunternehmen hat sich durch den Tankrabatt verbessert. Die Beförderungspreise sind jedoch noch nicht bei allen privaten und öffentlichen Aufträgen an die neuen Kraftstoffpreise angepasst worden. Insofern bleibt die Branche skeptisch und rech­net in den kommenden Monaten zudem mit einem Rückgang des Beförderungsvolumens.

Das Gastgewerbe berichtet von guten bis zufriedenstellende Geschäfte. Die meisten Betriebe mussten ihre Preise bereits den gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen anpassen. Gleichzeitig befürchten die Gastronominnen und Gastronomen aufgrund der schwindenden Kaufkraft der privaten Haushalte rückläufige Umsätze. Der Branche stehen aufgrund der höheren Preise, geringerer Kauf­kraft und der kräftigen Mindestlohnerhöhung im Oktober schwierige Zeiten bevor.

Die Geschäftslage der Kreditinstitute bleibt zufriedenstellend. Das Kreditgeschäft mit Privat­personen und Unternehmen lief im zweiten Quartal weiterhin gut. Die steigenden Preise und die Inflationserwartungen werden unternehmerische Investitionen wie auch den privaten Kon­sum beeinträchtigen und damit auch das Geschäft der Kreditinstitute dämpfen. Das Geschäft der Versicherungen ist zufriedenstellend, allerdings rechnet die Branche aufgrund der rück­läufi­gen Kaufkraft mit einem nachlassenden Geschäft.

Die Dienstleistungsunternehmen berichten anhaltend von einer zufriedenstellenden Geschäftslage. Mittlerweile rechnet die Branche mit nachlassenden Umsätzen, da die hohen Energie- und Rohstoffpreise die Geschäfte der Kundschaft beeinträchtigen. Aufgrund der geringeren Bedeutung von Vorprodukten und Energiepreisen bei Dienstleistungsunternehmen bleibt der Fachkräftemangel das größte Risiko für den Geschäftserfolg.

Ausblick

„Die Verflechtungen der Branchen in einer Volkswirtschaft sind komplex. Die Politik hat nach unserer Einschätzung nicht die Option, zwischen lebensnotwendigen Branchen wie beispiels­weise der Lebensmittelindustrie und anderen Branchen zu unterscheiden. Die nieder­sächsische Wirtschaft ist auf eine stabile Energieversorgung angewiesen. Unser Appell lautet: Sparen Sie Energie ein, wo immer möglich. Dies ist für Unternehmen, Verwaltung, Politik aber auch für uns Bürgerinnen und Bürger das Gebot der Stunde. Die Bereitschaft zu Einsparungen seitens der Wirtschaft ist da, aber im Gegenzug wird auch erwartet, dass die Politik klar kommuniziert und die Grundversorgung der Wirtschaft so lange wie möglich gewährleistet wird“, so die Einschät­zung der IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt.

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