Niedersachsen macht sich sturmfest: Das war die Botschaft von Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann nach einem Krisengespräch in Hannover. Die Landesregierung rechnet mit einem Stopp der russischen Gaslieferungen in den nächsten Wochen.
Es geht darum, in der heraufziehenden Krise die Gesellschaft zusammenzuhalten, sagte Stephan Weil. Zweieinhalb Stunden hatte die Runde mit Vertreterinnen und Vertretern nahezu aller Bereiche getagt, darunter verschiedene Wirtschaftszweige ebenso wie die Sozialverbände oder die Tafeln. Ergebnis der „sehr intensiven, sehr konstruktiven Gespräche“ war aber aus Weils Sicht nicht nur eine bedrückende Analyse, sondern auch die Bereitschaft zu gemeinschaftlichem Handeln in einer äußerst schwierigen Lage, die sich aus heutiger Sicht über die nächsten beiden Jahre hinziehen werde.
Noch steht die endgültige Zuspitzung einer Energie-Notlage nur im Raum: Der Herbst könnte einen Engpass bringen, betonte Bernd Althusmann. Die nötigen Vorkehrungen müssten aber jetzt getroffen werden, so der Wirtschaftsminister, die Gefahr sei real: „Keine Zeit verlieren.“ Dabei geht es sowohl um die Vermeidung sozialer Härten als auch um Schutzmaßnahmen für die Wirtschaft. Das betrifft die Stabilität der Energieversorgungsunternehmen ebenso wie Hilfen für besonders betroffene Branchen. Althusmann nannte als Beispiele die Glas-, Stahl- oder Papierindustrie. Wenn es zu einer Notfallsituation komme, seien Tausende Arbeitsplätze in Gefahr. Er warnte aber ebenso wie Weil vor den sozialen Auswirkungen der Energiekrise, die Preissteigerungen von 500 bis 600 Prozent bringen könne: Althusmann sprach von „Energiearmut“, also einer äußerst hohen finanziellen Belastung, die bis in die breite Mitte der Gesellschaft reichen könne.
Wer im Falle des Falles überhaupt Gas bekommt und wer nicht, hängt dabei an verschiedenen, auch technischen Voraussetzungen. Etwa die Qualität der Gasnetze: Die sei in Niedersachsen gut, so Ministerpräsident Weil. Trotzdem gebe es auch im Land unterschiedliche technische Voraussetzungen. Der hannoversche Versorger Enercity hatte zuvor erklärt, dass man sehr genau die Gasversorgung in manchen Fällen bis in einzelne Häuser steuern könne. Solche regionalen Voraussetzungen müssten jetzt geprüft werden, sagte Weil. Die Feinsteuerung der Gasversorgung werde auch vor Ort bis auf kommunaler Ebene geregelt. Althusmann forderte zudem mehr Tempo für eine Auktionsplattform, auf der eingespartes Gas verkauft werden soll: Es sei zu spät, wenn sie erst im Oktober eingerichtet werde.
Bei dem Treffen in Hannover stand mehr der breite gesellschaftliche Konsens im Mittelpunkt als konkrete Ergebnisse. Die sollen jetzt in Arbeitsgruppen bis Ende des Monats besprochen werden. Eine konkrete Zusage hatte Weil aber doch: Die Wohnungswirtschaft habe sich bereiterklärt, auf Kündigungen zu verzichten, die auf Probleme durch die Energiepreise zurückzuführen sind.
Ansonsten standen unter dem Strich eher Leitlinien für die Politik in der Krise. Und die betreffen nicht nur das Land, sondern richten sich auch an die Bundes- und Europapolitik. Ein wesentlicher Punkt aus Sicht der Landesregierung: Prioritäten setzen. Kurz gesagt: Alles was jetzt hilft, nach vorne ziehen, alles andere zurückhalten. Wirtschaftsminister Althusmann sprach in diesem Zusammenhang von einem Moratorium bei Belastungen von Unternehmen und nannte in diesem Zusammenhang das Lieferkettengesetz oder die gerade verabschiedete Taxonomie. Er forderte die Absenkung der Stromsteuer auf die Mindesthöhe und eine ausgeweitete Pendlerpauschale.
Mit Blick auf die Finanzkrise vor zehn Jahren und nach den Erfahrungen in der Pandemie sprach sich Ministerpräsident Weil auch für Überlegungen aus, die Notfall-Klausel des Grundgesetzes zu nutzen. Auch andere Kriseninstrumente kommen wieder in den Blick, etwa das Insolvenzrecht.
Höchste Priorität hat dagegen aus Sicht der Landesregierung neben dem Energiesparen auf allen Ebenen die Energiewende. Dazu hatte bereits am Tag vor dem Treffen in Hannover Energieminister Olaf Lies ebenfalls einen breiten Schulterschluss signalisiert. An einem Tisch mit Verbands- und Gewerkschaftsvertretern der chemischen Industrie hatte er sich unter anderem zum Stand beim geplanten Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven geäußert. Termin für die Fertigstellung ist der 21. Dezember. Sollten dann auch LNG-Tanker eintreffen, könnte ein Teil des russischen Gases ersetzt werden. Auch Lies sprach von der realistischen Perspektive, dass nach den derzeitigen Pipeline-Wartungen kein russisches Gas mehr fließt. Die zurzeit knapp über 60 Prozent gefüllten Speicher wären dann im Frühjahr leer, mit entsprechenden Konsequenzen für den folgenden Winter.