Die Müller + Müller-Joh. GmbH + Co. KG ist weltweit einer der wenigen Spezialisten für die Herstellung hochwertiger Glasfläschchen für die Pharmaindustrie. Um die hohe Nachfrage bedienen zu können, erweitert das Unternehmen sein Werk am Stammsitz Holzminden.
Noch steht sie, die dicke Holzwand, die die Produktion bei Müller + Müller-Joh. GmbH + Co. KG und die Außen-Baustelle am Stammsitz in Holzminden trennt. In wenigen Monaten wird das Gelände im Gewerbegebiet an der Weseraue anders aussehen. Denn das auf die Herstellung von hochwertigen Glasfläschchen (Vials) für die Pharmaindustrie spezialisierte Unternehmen hat im Herbst 2021 begonnen, sein Werk zu erweitern. Insgesamt 15 Mio. Euro investiert Müller + Müller in eine neue, vollautomatisierte Fabrikationshalle, und will so unter anderem die gestiegene Nachfrage nach pharmazeutischen Glasverpackungen für Corona-Impfstoffe bedienen. Es ist die größte Investition in der fast hundertjährigen Firmengeschichte.
„Uns geht es ganz klar darum, unsere Kapazitäten zu erweitern, damit wir endlich das auf den Markt bringen können, was wir bringen müssten oder was gefragt ist“, berichtet Florian Müller-Stauch (33), der seit 2015 das 1924 von seinem Urgroßvater im thüringischen Piesau gegründete Familienunternehmen als Geschäftsführer leitet. „Dabei werden auch Roboter am Anfang und am Ende der Linie eingesetzt.“ Neben einer Erweiterung der Produktion um bis zu 14 neue Linien werden auch mehr Lagerkapazitäten geschaffen. Mit der Investition sollen 50 neue Arbeitsplätze, zusätzlich zu den 140 bereits existierenden, entstehen. Im kommenden Sommer soll, so der Plan, alles fertiggestellt sein.
Florian Müller-Stauch machte einen Bachelor und einen Master in General Management, bevor er ins Unternehmen einstieg. Vor zwei Jahren wagten er und sein Vater, Dr. Hubertus Müller-Stauch (66), einen großen Schritt: Sie entschieden sich, nach einem größeren Partner zu suchen. Im Herbst 2020 schlüpfte Müller + Müller unter das Dach der DWK Life Sciences, einem weltweit führenden Hersteller von Laborglas und Life-Science-Verpackungslösungen, mit Sitz in Wertheim (Baden-Württemberg). Dr. Hubertus Müller-Stauch wurde in den Beirat von DWK berufen und vertritt seitdem die Weiterentwicklung der Gruppe insbesondere im Hinblick auf den Ausbau des Bereichs Pharma-Verpackungen.
Müller + Müller hat sich auf die auf die Herstellung von Vials aus Röhrenglas in pharmazeutischer Qualität spezialisiert und gehört damit neben Schott, Gerresheimer, Nipro und Stevanato zur Riege von weltweit fünf Unternehmen, die das können. Die 2 bis 40 Milliliter großen, farblosen oder braunen Glasfläschchen werden aus Borosilikatglas hergestellt und beispielsweise für die Abfüllung von Impfstoffen, Nasensprays oder Labor-Diagnostika verwendet. Je nach Mündungsformen unterscheidet man in der Branche zwischen Injektionsfläschchen, Schraub- oder Rollrandflaschen. Hauptprodukt sind bis heute Injektionsfläschchen. „Wir haben extrem hohe Anforderungen an die Reinheit der Produkte“, so Florian Müller-Stauch. Bei der Herstellung muss Müller + Müller hohe Qualitätsanforderungen erfüllen und ist nach DIN 9001 und GMP (Good manufacturing practice) DIN 15378 zertifiziert. Verpackt werden die Fläschchen unter Reinraumbedingungen.
Zu den Kunden zählen namhafte Pharmakonzerne, darunter auch die bekannten Hersteller von Impfstoffen zur Bekämpfung des Corona-Virus, sowie Unternehmen aus den Bereichen Diagnostik oder Biotech. Genauer möchte der Firmenchef aus Wettbewerbsgründen nicht werden. Wegen der Corona-Krise rechnet er damit, dass die Nachfrage nach Vakzin-Fläschchen hoch bleibt – auch, weil viele Hersteller künftig verstärkt auf Einmaldosen setzen werden.
Aktuell produzieren die Holmindener jährlich rund 300 Mio. Vials aus Röhrenglas und erzielten 2021 einen Umsatz von rund 15 Mio. Euro. Mit der Werkserweiterung soll die Zahl auf 400 Mio. Vials im Jahr steigen. Die Exportquote beträgt 50 Prozent. Hauptmärkte sind Westeuropa und die USA; die Produkte werden aber auch bis nach Indien oder Südafrika geliefert.
Bauchschmerzen bereiten Florian Müller-Stauch derzeit drei Themen: Die Suche nach neuen Mitarbeitern gestaltet sich in dem hochspezialisierten Bereich, in dem seine Firma agiert, sehr schwierig. Um intern Personal für die Produktion qualifizieren zu können, wurde dafür im Herbst 2021 eine Spezial- werkstatt eingerichtet. Zweites Thema: gestörte Lieferketten und damit verbunden Preisexplosionen für Vorprodukte. Drittes Thema: Energie. „Wir haben in den letzten Jahren Energie eingespart, wo man sparen kann, und eine CO2-Bilanz erstellt. Aber die aktuellen Steigerungen bei den Strom- und Gaspreisen sind ein Desaster, weil wir einen sehr energieintensiven Produktionsprozess haben. Für die Energiepreise wünschen wir uns von der Politik mehr Verlässlichkeit.“
Das Unternehmen …
wurde 1924 von den beiden Glasbläsern Albin Müller (dem Urgroßvater von Florian Müller-Stauch) und Albins Cousin Hermann Müller in Piesau in Thüringen gegründet. Die Unternehmer stellten zunächst unter anderem Christbaumschmuck her. Später erfanden sie eine der ersten Flachläufer-Maschinen, mit denen man Glasfläschchen produzieren konnte. Nach der Enteignung ließen sich Albin und Hermann Müller 1949 in Holzminden nieder und fokussierten sich auf die Herstellung von Tablettengläsern. 1983 wurde eine neue Halle mit Reinraumfertigung gebaut. 1998 übernahm Dr. Hubertus Müller-Stauch die Geschäftsführung, 2015 übergab er den Staffelstab an seinen Sohn Florian Müller-Stauch. Seit 2020 gehört Müller + Müller zur DWK Life Sciences Group in Wertheim. Die Gruppe beschäftigt 1900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erzielte 2021 einen Umsatz von 280 Mio. Euro. Neben Florian Müller-Stauch sind Armin Reiche und Bernhard Scherer Geschäftsführer bei Müller + Müller.