Vor genau zwei Jahren hat die EU-Kommission den europäischen Green Deal vorgestellt, mit dem Europa spätestens im Jahr 2050 klimaneutral sein will. Plan und Vision – das ambitionierte Vorhaben wird für Unternehmen in der IHK-Region Chance und Herausforderung zugleich sein.

Atomkraft – nachhaltig oder nicht? Während die Gaspreise zuletzt enorm gestiegen sind, diskutiert Europa über eine Technologie, von der sich Deutschland lange verabschiedet hat. Der vergleichsweise günstige Strom, bei dessen Erzeugung kein CO2 ausgestoßen wird, könnte in Europa eine Renaissance erleben. Gerade Frankreich, aber auch einige osteuropäische Staaten haben sich dafür stark gemacht, sich auf den sauberen Aspekt der Atomkraft zu konzentrieren – und weniger auf die Gefahren oder die Problematik des radioaktiven Abfalls. Es geht um die Frage, ob die EU Atomkraft als nachhaltig einstuft und als Mittel gegen den Klimawandel akzeptiert oder nicht. Bleibt es ein Green Deal oder wird es eher ein Grey Deal?

Die Entscheidung der EU über eine mögliche Aufnahme der Atomkraft in die sogenannte Taxonomie beeinflusst, in welche Projekte und Maßnahmen in Zukunft das Geld aus dem europäischen Grünen Deal fließt. Dabei geht es um beachtliche Summen – ein Drittel des Siebenjahreshaushalts der EU mit einem Umfang von 1,8 Billionen Euro soll für die Investitionen in Nachhaltigkeit eingesetzt werden. Nicht nur Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien verfolgen daher derzeit die Debatte mit großer Aufmerksamkeit.

Denn die gesamte Wirtschaft steht vor einem nie dagewesen Umbau, dem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 mit der Präsentation des europäischen Grünen Deals einen wichtigen Impuls gegeben hat. Der Green Deal ist die Wachstumsstrategie der EU auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Nach der Wirtschaftskrise 1929 prägte die Roosevelt-Regierung in den USA mit einer Reihe an Maßnahmen den Begriff des New Deal, um die Wirtschaft wieder aufzubauen. Beim Spiel heißt New Deal übrigens, die Karten werden neu gemischt. Das Bild des Deals mit Nachhaltigkeitszielen in Bezug zu setzen, wurde übrigens im Jahr 2007 erstmals geprägt – und später von anderen Institutionen und der EU Kommission übernommen. „Wir haben den Europäischen Green Deal ins Leben gerufen. Und damit hat Europa etwas, worum uns heute viele andere Regionen in der Welt beneiden. Wir haben eine gemeinsame Vision für eine nachhaltige Zukunft. Das ist viel, das ist gut. Aber natürlich reicht das noch nicht. Entscheidend ist: Diese Vision, diesen Plan zu implementieren, umzusetzen und zwar schnell“, sagte von der Leyen Mitte November.

Dass es die Politikerin mit Wohnsitz in der Region Hannover ernst meint hat nicht zuletzt das erste europäische Klimagesetz untermauert, auf das sich alle 27 Mitgliedstaaten im Frühjahr dieses Jahres geeinigt haben. „Es geht jetzt nicht mehr um das ,ob‘, sondern nur noch um das ,wie‘. Und damit sind auch unsere Ziele für 2030 und 2050 verbindlich in ein Gesetz gegossen“, erklärte die EU-Kommissionspräsidentin. Mit dem Klimagesetzpaket „Fit for 55“ hat die EU Kommission einen Fahrplan vorgelegt, wie der Europäische Green Deal umgesetzt werden soll – mit ersten genaueren Vorgaben für einzelne Branchen. So soll beispielsweise nach dem Willen der Kommission ab dem Jahr 2035 für neuzugelassene Autos und leichte Nutzfahrzeuge ein Nullemissionsziel gelten. Dies würde das Aus für Verbrennerautos bedeuten. Und ob dieses Ziel am Ende so umgesetzt wird, ist noch offen. Aber gerade im Bereich Verkehr und Mobilität wirken die Ziele des Green Deal besonders ambitioniert, da der Aufwuchs des Verkehrsaufkommens die Einsparungen beim CO2-Ausstoß wieder „aufgefressen“ hat. Der europäische Grüne Deal betrifft aber nicht nur den Verkehr, sondern alle Wirtschaftszweige wie Energie, Landwirtschaft sowie die Stahl-, Zement-, IT-Telekommunikations-, Textil- und Chemieindustrie, nicht zu vergessen den Bau- und Gebäudebereich. Es gibt einen Fahrplan mit Maßnahmen, um den effizienten Umgang mit Ressourcen zu fördern, etwa durch eine Stärkung der kreislauforientierten Wirtschaft.

IHK bekennt sich zu Nachhaltigkeit
Für mehr Kreislaufwirtschaft mit „ambitionierten Verwertungsniveaus“ hat sich auch die IHK Hannover in ihren zwölf Positionen ausgesprochen, die im März dieses Jahres verabschiedet wurden. Der effiziente Umgang mit Material und Rohstoffen sei umweltpolitisch und finanziell von großer Bedeutung. Mit einem Welthandelsanteil von 14 Prozent bei Umweltschutzgütern habe die deutsche Wirtschaft die Chance, mit ihren innovativen Technologien und Produkten von dem beschleunigten Wandel zu profitieren. Damit alle Länder der EU am Green Deal teilhaben können, aber die Ausgangslage nicht in allen Mitgliedstaaten gleich ist, hat die EU-Kommission einen Mechanismus entwickelt, der die Länder unterstützt, die stark von sehr CO2-intensiven Tätigkeiten abhängig sind.

CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM)
Da die Europäische Union ihre eigenen Klimaschutzziele anhebt, während in anderen Region der Welt eine weniger strikte Umwelt- und Klimapolitik vorherrscht, besteht ein hohes Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen. Produkte, die unter laxen Umweltvorgaben anderer Länder kostengünstiger hergestellt werden, würden die europäischen und internationalen Klimaschutzbemühungen untergraben. Deshalb hat die EU einen Mechanismus für die Einfuhr von Waren aus Drittländern vorgeschlagen: Ein System, das einen fairen Preis für das während der Produktion ausgestoßene CO2 vorsieht und eine sauberere Industrie in Drittländern fördert. In der ersten Phase soll das Grenzausgleichssystem zunächst nur für Waren mit besonders hohem Risiko einer Verlagerung von CO2- Emissionen gelten: Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel und Strom. Gemäß dem Vorschlag der Kommission soll das CBAM zunächst mit einer Übergangsphase bis Ende 2025 eingeführt werden. Wie genau das System umgesetzt wird, ist allerdings noch in der Diskussion und auch von nationalen Gesetzgebungen abhängig.

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