Seit gut einem Jahr ist Maike Bielfeldt Hauptgeschäftsführerin der IHK Hannover. Zwar beherrscht nach wie vor Corona das Leben. Aber gegenüber der ungewissen Lage im Herbst 2020 erscheint heute die Zeit nach der Pandemie greifbar. Ein Jahr Hannover – wie war es, und was steht an? Wir haben gefragt.

 

Frau Bielfeldt, was war für Sie in den vergangenen zwölf Monaten in Hannover, in der Region die größte Überraschung?

Wie hoch die Lebensqualität in Hannover ist. Und in der IHK-Region! In der Tat, damit habe ich so nicht gerechnet. Wie grün, die Fahrradwege, wie nett die Menschen sind, was man in der Freizeit alles erleben kann: Das habe ich nicht geahnt. Ich fahre wirklich viel mit dem Fahrrad und erkunde immer neue Strecken. Jetzt, nachdem die Corona-Lage es möglich macht, zu erleben, wo man überall Essen gehen kann, was man überall besichtigen kann, das fand ich schon erstaunlich.

 Aus Sicht der IHK gedacht: Ist das etwas, worauf gerade Hannover als Standort auch aufbauen müsste?

Ja! Das sage ich, gefragt oder ungefragt, fast bei jeder Podiumsveranstaltung. Ich kann nach wie vor nicht so richtig nachvollziehen, warum die Hannoveranerinnen und Hannoveraner ihr Licht so unter den Scheffel stellen. Die Zufriedenheit mit der eigenen Stadt, die freut mich ja. Aber daraus nicht mehr zu machen und es stattdessen hinzunehmen, dass viele Menschen Hannover gar nicht kennen, aber als langweilig einschätzen. Und man muss zudem sehen, dass wir uns als Stadt weiterentwickeln müssen, um auch noch in fünf oder zehn Jahren in Deutschland eine wichtige Rolle zu spielen. Hotellerie, Gastronomie, Zukunft der Messe – in welche Richtung müssen wir gehen, um deutschlandweit gut dazustehen?

Als gebürtige Hamburgerin weiß ich: Dort hat man einen unheimlichen Stolz auf seine Stadt. Das habe ich in Hannover bisher noch nicht so vorgefunden. Woran das liegt? Ich habe noch keine Antwort bisher.

Vor einem Jahr haben Sie die Hoffnung auf einen Impfstoff betont. Heute haben wir mehrere, sind aber nicht aus dem Schneider. Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Das Thema Impfquote ist immens wichtig. Wir sehen andere Länder, auch nah unserer Grenzen, die höhere Impfquoten haben und wo es jetzt viel stärker in Richtung Normalität geht. Es gelingt uns offensichtlich nicht, jetzt noch alle zu

mobilisieren, die wir erreichen müssten. Darauf müssen wir alle einfach besonderes Augenmerk richten: Immer wieder zu sagen, dass jeder, der es gesundheitlich kann, sich bitte impfen lässt. Weil das auch für die Wirtschaft extrem wichtig ist: Ein weiterer, ein vierter Lockdown wäre desaströs. Und es ist auch nicht möglich, die Freiheitsrechte weiter einzuschränken, da bin ich voll und ganz bei der Politik. Denn viele sind geimpft, und das wirkt sich ja auch aus. Wir hatten hohe Inzidenzen, bei denen vor drei oder vier Monaten alles dicht war. Jetzt wäre das nicht zu verantworten – wobei die Menschen, die trotz allem ins Krankenhaus kommen, sehr zu bedauern sind. Aber ich halte es schon für richtig, dass man außer der Inzidenz jetzt andere Parameter heranzieht, Hospitalisierung und Belegung der Intensivbetten. Dafür haben wir uns ja auch schon lange ausgesprochen. Wir unterstützen die Impfkampagne des Landes, posten das in den sozialen Netzwerken und versuchen, immer wieder darauf hinzuweisen. Ab es ist eben am Ende eine Entscheidung eines Bürgers, einer Bürgerin, also können wir immer nur an die Freiwilligkeit appellieren, sich impfen zu lassen.

Wo sehen Sie darüber hinaus aktuell den größten Handlungsbedarf, um die Pandemie-Folgen in den Griff zu bekommen?

Ein Thema sind die Unternehmen, die im letzten Jahr die Soforthilfe bekommen haben. Da geht es jetzt an die Schlussabrechnung, für die zeitnah das Software-Tool bereitgestellt werden soll. Als IHK Hannover richten wir uns – ebenso wie die anderen IHKs in Niedersachsen – darauf ein, dass es da viel Beratungsbedarf geben wird. Es hat fast 140.000 Anträge gegeben, die alle nicht schlussabgerechnet sind. Das wird eine große Aufgabe werden, bei der wir konkret helfen können.

Aber es ist jetzt auch an der Zeit, nach vorne zu blicken. Nach eineinhalb Jahren Pandemie rufen die Unternehmen nach Orientierung, wie es weiter geht. Die Herausforderung Green Deal steht allenthalben groß auf der Tagesordnung: Was  sind jetzt Rahmenbedingungen, die vorgegeben werden? Es weiß ja jeder: Die Klimaziele müssen erreicht werden. Aber wie, unter welchen Rahmenbedingungen? Das zu begleiten wird für uns als IHK eine große Aufgabe werden.

Sie sind auch Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen und stellen seit einem Jahr in dieser Funktion die Ergebnisse der IHK-Konjunkturumfrage vor: Wie beurteilen Sie aktuell die Lage der Unternehmen im Land?

Ich bin sehr gespannt. Mitte Oktober wird die nächste Umfrage veröffentlicht. Die Umfrage im Sommer hat ja schon ganz klar in Richtung Aufschwung gezeigt, insbesondere bei den Branchen, die nicht so stark von Corona betroffen waren – also Industrie und unternehmensnahe Dienstleistungen. Damals konnte man deutlich sehen, dass der Veranstaltungsbereich noch dümpelte, weil es keine Perspektiven für Öffnungen gab. Der Einzelhandel hatte sich langsam erholt, und ich bin wirklich sehr gespannt, wie dieser Bereich und auch die Gastronomie sich weiter entwickelt haben. Man hört ja verschiedene Stimmen aus dem Handel. Einige sagen, der Nachholeffekt hat etwas nachgelassen. Das kann aber auch mit der Ferienzeit zusammenhängen. Andere sagen, dass es richtig gut läuft. Aber wir haben zumindest ein Indiz, und das sind die Ausbildungszahlen. Die sind gerade im Bereich dieser beiden Branchen, die stark von Corona betroffen waren, sehr, sehr gut. Das könnte ein Hinweis sein, dass der Optimismus siegt. Mich interessiert natürlich aktuell auch, wie sich der Mangel an Halbleitern, an Rohstoffen, in der Industrie auswirkt. Das kann ich ehrlicherweise aber erst sagen, wenn die Ergebnisse da sind.

 

Abgesehen von den Maßnahmen gegen Corona: Welche Aufgaben müssen jetzt grundsätzlich angepackt werden?

 

Ich glaube, auch durch Corona ausgelöst wird es zu einer Rückbesinnung auf nähere Märkte kommen, aus deutscher Sicht auf die europäischen. Das hat ja auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun: Was kann ich vielleicht vor Ort besser produzieren?

Andererseits: Das Angebot, die Nachfrage aus dem asiatischen Markt ist extrem. Das wird sicherlich auch so bleiben. Wenn ich das aus deutscher Perspektive sehe, dann wird es für uns darauf ankommen, dass die Logistik über die norddeutschen Häfen mit den entsprechenden Kooperationen gut funktioniert. Es ist für uns aus deutscher Sicht wichtig, dass wir keine Marktanteile verlieren an andere Häfen, wie das in den letzten Jahren passiert ist.

Darin liegen aber auch Chancen. Die Zukunft liegt an der Küste, gerade was das Thema Energieversorgung und –erzeugung angeht. Wenn ich mir anschaue, was in Wilhelmshaven geplant wird, als Knotenpunkt für eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion zusammen mit der Salzgitter AG, dann ist das ein Zukunftsthema für ganz Deutschland. Und für mich stellt sich die Frage nach der Ansiedlung neuer Industrie im Norden. Das ist aus meiner Sicht ein Megathema in den nächsten zehn oder 20 Jahren.

 Andere Themen könnte man unter dem Aspekt sehen, dass man gar nicht mehr eigens darauf hinweisen muss: Digitalisierung, Entbürokratisierung. Den Green Deal hatten Sie angesprochen. Was vielleicht aber lange Zeit – zumindest bis kurz vor der Bundestagswahl – nicht so in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, war das Thema Steuern …

Doch, in meinen Gesprächen bei Mitgliedsunternehmen wird mir das ständig mitgegeben. Es wird schon sehr stark artikuliert: „Keine Steuererhöhungen, wir haben alle genug nach Corona zu tun, und würgt unsere wieder erstarkende Industrie und Wirtschaft nicht wieder ab.“ Man könnte nun meinen: Das sagen Unternehmerinnen und Unternehmer immer. Aber ich halte das auch für richtig. Wie schafft man denn Wachstum? Aus unternehmerischer Sicht über kluge Investitionen und verstärkte Angebote, das ermöglicht Arbeitsplätze und die führen dann auch zu Nachfrage. Das ist ein ganz klares Thema, und wir als Organisation sprechen uns auch immer für eine Senkung und für Angleichung der Unternehmenssteuern auf europäischer Ebene aus. Denn da sind wir – mit Ausnahme Skandinaviens – schon ziemlich weit oben. Und was das Thema Digitalisierung angeht: Ja, die meisten Unternehmen sind jetzt besser vorbereitet. Aber der Staat hat noch eine Riesenaufgabe. Stichwort 2022, Onlinezugangsgesetz. Das ist nicht mehr lange hin. Dann muss der Staat bis in die Kommunen, bis in die Rathäuser, alle Dienstleistungen, alle Verwaltungsvorgänge digital anbieten – mindestens digital ausfüllbar. Da wird noch eine große Veränderung auf uns alle zukommen, und ich bin mir noch nicht sicher, wie weit das gelingen wird. Als IHK sind wir ebenfalls mit im Boot und werden in den kommenden Monaten einiges zu tun haben. Das wird noch eine große Sache.

Die Innenstädte sind Ihnen wichtig. Vor einem Jahr haben Sie gesagt: Man darf sie nicht hängenlassen. Aktuell wird insbesondere auch in Hannover um deren Zukunft gestritten. Sie haben sich in die Diskussion eingeschaltet – mit welchen Zielen?

Sie hatten ja schon die Frage gestellt, was mir an Hannover gut gefällt. Und das kann man auf die kleinen Städte und Mittelzentren übertragen: Lebendige Städte, wo man gerne lebt, wo man viel unternehmen kann, sind für mich ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität eines Standorts. Weil sich aber das Kaufverhalten verändert hat und weiter verändern wird, kommt es auch zu einer Neustrukturierung von Innenstädten. Die Aufgabe ist ja in der Tat die: Wie hält man die Innenstadt für den Handel attraktiv und bringt auch wieder mehr Gewerbe und Wohnen in die Städte? Dazu gibt es ja in Hannover einen moderierten Innenstadtdialog, der gerade begonnen hat, der zurzeit aber noch sehr im virtuellen unterwegs war, geschuldet auch der Corona-Situation. Es gab aber auch Experten-Interviews, in die wir eingebunden waren. Ich erwarte jetzt, nach der Kommunalwahl, dass es etwas konkreter wird, dass wir Arbeitsgruppen zu verschiedenen Bereichen haben werden.

Dabei wird es sicher Bereiche geben, wo Kulturschaffende ihre Themen stärker beleuchten. Wir werden stärker Erreichbarkeit ansprechen, die Öffnung von Straßen oder welche Gewerbe man wieder stärker ansiedeln kann. Und es wäre gut, diese Diskussion um autofreie Innenstädte mal zu beerdigen und mehr in Richtung umweltfreundliche Mobilität zu gehen. Das ist unser Fokus. Und wir sprechen dabei ja über einen Prozess von mehr als fünf Jahren. Wir wollen uns vor allem der Diskussion nicht verschließen. Erreichbarkeit von Städten nicht nur mit dem Auto, sondern auch mit dem Fahrrad oder Carsharing finde ich ja durchaus überlegenswert und interessant. Aber der Platz ist eben begrenzt, und es darf halt nicht nur ein Verkehrsträger nach vorne gestellt werden – und alle anderen fallen hintenrunter. Das sollte nicht passieren.

 

Stichwort Digitalisierung: Sie haben sich einiges für die IHK vorgenommen. Welche Fortschritte verbuchen Sie in Ihrem ersten Amtsjahr dabei und in anderen Bereichen?

Wir haben in der Tat schon einiges gemacht. Wir haben einen CIO-Bereich etabliert und bauen ein Projektbüro auf, das sich um dieses Thema kümmert. Wir überlegen mit allen Kolleginnen und Kollegen: Welche Prozesse haben wir, wie sind die Abläufe? Wie gehe ich es an, wenn ich Dinge, die ich bislang auf Papier erledigt habe, digitalisieren will? Wie werden wir noch kundenfreundlicher? Wir haben Themenfelder identifiziert, die wir jetzt abarbeiten müssen – und wollen! Das können auch kleine Dinge sein: Rechnungen werden nicht mehr händisch freigezeichnet, sondern digital. Wir sind kurz davor, auf Office 365 umzustellen, also ganz anders miteinander zu arbeiten. Wir werden uns im IT-Bereich viel stärker strategisch aufstellen und Shared Services mit anderen IHKs anbieten. Wenn ich nochmal das Thema Online-Zugangsgesetz erwähnen darf: Es gibt sieben Anwendungen, die wir pilotieren. Eintragungen in Register, die wir als IHK führen, zum Beispiel. Wir haben unsere Server erneuert und ertüchtigt, wir haben umgestellt auf modernere Programme. Wir haben weniger Papier, und mehr digitale Kommunikationsprozesse. Wir stellen unseren Internet-Auftritt um hin zu einer auch von vielen anderen IHKs genutzten Lösung. Das führt dazu, dass wir untereinander Daten und Informationen leichter austauschen können. Ein Jahr – ich hätte mir noch mehr gewünscht. Aber das ist schon ganz gut, was wir gemacht haben.

Als Sie nach Hannover kamen, haben sie davon gesprochen, das wahre Gesicht der Stadt erkunden zu wollen. Haben sie vielleicht einen Lieblingsort entdeckt, in Hannover oder woanders in der IHK-Region?

Mir ist es wirklich wichtig, und das habe ich auch schon vor einem Jahr gesagt: Wir heißen zwar IHK Hannover, aber wir sind die IHK für die Region von der Bremer Landesgrenze bis Göttingen. Das ist mir wirklich ganz wichtig. Ich war auch, bevor das im letzten November wieder schwieriger wurde mit den Besuchen, in jeder unserer Geschäftsstellen, in den Landkreisen, die zu unserer IHK gehören, und mache das jetzt auch wieder. Das ist mir superwichtig, und das möchte ich auch nochmal ganz deutlich sagen. Von daher habe ich ganz viele Lieblingsorte. Die ich neu entdeckt habe oder in einigen Fällen auch schon kannte. Da würde ich mich gar nicht festlegen wollen – jeder Ort ist liebenswert. Aber wenn Sie nach meinem persönlichen Ausflugsziel fragen, dann fahre ich gerne mit dem Fahrrad am Mittellandkanal entlang – das finde ich wirklich immer wieder herrlich.

 


 

 

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Klaus Pohlmann

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